Chinesisch, Japanisch – alles das Gleiche

Ich bin ein unabhaengiger Filmemacher, Autor und Produzent, der sich in Mexiko-Stadt, dem >Distrito Federal<, niedergelassen hat. Ich lebe in der Innenstadt, und zwar in einer Gegend, die >Zona Rosa< genannt wird.

Die >Zona Rosa< ist ein deprimierender Touristenschauplatz in der Naehe des Museums und des Parks von Mexiko-Stadt. Sie war einst eine kuenstlerische und glamouroese Hochburg, aber im Laufe der Jahre wurde das Viertel von immer mehr Striplokalen und Schwulenbars besiedelt; trotzdem oder vielleicht deswegen stolpert man ab und zu ueber eine Gruppe weisser, blonder und in kurzen Hosen gekleideter Leute, die mit ihren Kameras in der Luft umherwinken und darauf warten, dass etwas Exotisches passiert. Mein Buero und Atelier ist zehn Haeuserblocks von meiner Wohnung entfernt. Da ich den Weg jeden Tag laufe, durchquere ich die >Zona Rosa< zu den unterschiedlichsten Zeiten und durch verschiedene Strassen. Diese Spaziergaenge geben mir Zeit zum Beobachten. Ich nutze diese Wege auch, um meine Ideen zu sortieren. Ausserdem bekomme ich so einen ziemlich guten Eindruck von Personen und Situationen. Ich erinnere mich nicht genau daran, unter welchen Umstaenden ich das erste Mal mit der deutschen Sprache in Kontakt kam, aber soweit ich mich entsinnen kann, habe ich die Idee >Deutsch zu sprechen< schon ziemlich lange. Diese Idee duerfte manch einem ungewoehnlich erscheinen, denn es geht mir dabei darum, alle spanischen Woerter wie deutsche Woerter klingen zu lassen. Vermutlich so, wie ein Deutscher versucht Spanisch zu sprechen. Ich erinnere mich, die amerikanische Serie >Combat!< - in spanischer Synchronisation - im Fernsehen gesehen zu haben, und diese deutschen Soldaten sprachen so wie eben beschrieben. Das war fuer mich als Kind Deutsch. Allerdings habe ich niemals in Betracht gezogen, Deutsch wirklich zu lernen, denn es war mir viel wichtiger, mir zuerst Englisch anzueignen. In der Praxis sieht es naemlich in Mexiko so aus, dass mit Englisch Deine Jobaussichten viel besser sind. Als ich heranwuchs, trugen Filme von Fassbinder, Herzog, Wenders und Tykwer dazu bei, dass ich gesprochenes Deutsch zusehends natuerlicher empfand - obwohl es mir nach wie vor unmoeglich war, etwas zu verstehen -, denn vorher waren lediglich die Bilder aus Hitlers >Rockkonzert< in Nuernberg [Triumph des Willens] meine einzige, echte Quelle der deutschen Sprache. Sehen Sie! Was sich nach Deutsch anhoert oder so aussieht, ist fuer mich auch Deutsch. Analog zu dem alten Sprichwort >Chinesisch, Japanisch – alles das Gleiche<. Ein vielleicht kurioses Beispiel: Auch wenn Mozart aus Oesterreich war, spielt das im Grunde keine Rolle, denn er wird in meinen AugenOhren so sehr mit Deutschland assoziiert wie Rammstein. Vor kurzem war ich in Berlin, und die Meinung, die ich mir zuvor gebildet hatte, stimmte nicht mit dem ueberein, was ich tatsaechlich zu sehen bekam. Ich nehme an, die gleiche Erfahrung haben Leute, die nach Mexiko reisen und erwarten, von einem Eselsgespann durch die Gegend chauffiert zu werden. Und manchmal sind diese Touristen sogar von dem Fakt ueberrascht, dass wir hier auch Strassen und Toiletten haben. In Mexiko sind wir von der deutschen Geschichte aber auch von der Gegenwart Deutschlands umgeben: Die Strassen sind voll von Autos der Marken VW, BMW, Audi und Mercedes-Benz; wir konsumieren so viel Bayer-Aspirin wie die Deutschen auch; und wir koennen sogar die Spiele und Ergebnisse der Deutschen Bundesliga im mexikanischen Fernsehen anschauen. Wie all das kommt? Aus meiner Sicht ist es sehr einfach: Deutsche Braumeister wurden irgendwann im 18. Jahrhundert nach Mexiko gebracht. Sie fuehrten eine alte und sehr gute deutsche Tradition fort, die ziemlich mexikanisch geworden ist: Bier brauen. In meinem Film >Cabecitas< spielt ein Deutscher namens Volker eine wichtige Rolle. Eigentlich sollte er den Charakter des Heiligen Juan Diego repraesentieren, einen einheimischen Mexikaner, der von der Jungfrau von Guadalupe auserwaehlt wurde, ihr Wortfuehrer zu sein. Volker ist gewissermassen die deutsche Uebersetzung davon; er ist ein Einheimischer aus Deutschland. Daniel, der Schauspieler, der Volkers Rolle uebernahm, ist der Grossenkel von deutschen Einwanderern, die nach dem Krieg nach Mexiko kamen. Daniel sprach Deutsch, das er auf dem Deutschen Lyceum in Mexiko gelernt hatte. Er war vorher nur ein einziges Mal in Deutschland gewesen, naemlich als er zwoelf Jahre alt war und dort einen Sommer mit einer echten deutschen Familie verbrachte. Daniel gefunden zu haben, war essentiell, denn er machte den Film glaubhaft und rund. Zudem ist Daniel ein guter Junge. Die Idee hinter dem Film >Cabecitas< bestand darin, auf allen Ebenen so viel Chaos und Missverstaendnisse wie nur moeglich zu produzieren. Volkers Unterfangen ist von Anfang an falsch und zum Scheitern verurteilt. Er haette gar nicht erst nach Mexiko reisen sollen. Aber er tut es, und die Entfremdung und das Leiden sind die Kennzeichen seiner Reise. Wenn wir reisen, verlassen wir das Haus normalerweise mit dem Hintergedanken, wie geplant zurueck zu kommen. Wir ueberlassen unter Umstaenden sogar die Katze fuer ein paar Tage sich selbst, denn wir wollen ja zurueckkehren. In Volkers Fall wollte ich den Touristen nicht zurueckkommen lassen - nicht nur als Metapher, sondern weil ich eine Fortsetzung drehen will ... Kleiner Scherz! Verwirrung zu stiften und trotzdem in der Lage zu sein, eine Geschichte zu erzaehlen, waren die Hauptgedanken hinter dem Film. Ich weiss, dass es eine verrueckte Idee war, Spanisch, Englisch und Deutsch zu mischen – besonders weil ich ueberhaupt kein Deutsch spreche –, aber ich denke, ich brauchte diese Sprachkonfusionen und das Driften durch die Szenen mit dieser konstanten Veraenderung der Sprache. Ich fuehlte mich zeitweise wie ein Tourist, und das ist auch der Gedanke, der sich in Volkers Person vereint: der globale, internationale Tourist! Meine Umgebung wird permanent von >Fremden< beruehrt - ich sollte besser sagen, von ihnen besucht. Entweder sind es Freunde oder Freundes Freunde, die Mexiko besuchen und sehr schnell von der mexikanischen Kunstszene angetan sind. Letztlich spreche ich sehr viel Englisch mit US-Amerikanern, Kanadiern und Europaeern.

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