Charlotte Chronicles.23 [land of plenty]

Zu den beliebtesten Beschaeftigungen in grossen Teilen der Welt gehoert das so genannte >America Bashing< – das scharfe Kritisieren >der Amerikaner<. Nun mag es zu vielen Kritikpunkten eine sachliche Grundlage geben, doch ist diese generalisierte Kritik oft stark vereinfachend. Vielen Menschen, die dabei Regierung und US-Buerger in einen Topf werfen, ist nicht bewusst, wie unterschiedlich auch in den USA die Meinungen zu den entsprechenden Themen sind. Das haeufig sehr undiplomatische Vorgehen in der Aussenpolitik spiegelt sich zum Beispiel nur aeusserst selten im privaten Verhalten der Amerikaner, auch Auslaendern gegenueber, wider. Dort ist Ruecksichtnahme auf Andere ein bedeutendes Element des taeglichen Miteinanders und Entschuldigungen fuer Kleinigkeiten, die man aus deutscher Sicht nicht fuer entschuldigungsbeduerftig haelt, gehoeren zum guten Ton.

Darueber hinaus faellt es schwer, >den Amerikaner< zu definieren, denn in einem Land dessen Flaeche knapp unter der Europas liegt, gibt es fast ebenso grosse Mentalitaetsunterschiede wie auf dem >Alten Kontinent<. Selbst wenn man nur eine eng definierte ethnisch-religioese Scheibe der Gesellschaft betrachtet, z.B. die WASPs [White Anglo-Saxon Protestants], stellt man fest, dass zwischen dem rauen und direkten Umgangston eines New Yorkers, der ueberbetonten Freundlichkeit eines Suedstaatlers und der Entspanntheit eines >laid back Californians< Welten liegen. Auch innerhalb der USA wird Wert auf Abgrenzung gelegt: Die Entsprechung des deutschen >Weisswurstaequators< ist die >dividing line< zwischen den Nord- und den Suedstaaten aus der Zeit des Sezessionskriegs. Suedstaatler beschimpfen ihre noerdlichen Landsleute als >Yankees<, waehrend diese im Sueden jede Menge >Rednecks< vermuten. In Texas, das alleine doppelt so gross wie Deutschland ist, gibt es Stimmen, die sich gerne aus dem Bund mit den aus ihrer Sicht >zu liberalen< Staaten loesen wuerden. Die >Hippies und Schwulen< aus San Francisco sehen in Texanern hingegen hauptsaechlich >schiesswuetige Radikale<.

Zieht man dazu noch Kategorien wie die ethnische und religioese Zugehoerigkeit in Betracht, so findet sich jede denkbare Schattierung zwischen all den Asiaten, Schwarzen, Latinos, Weissen, Indianern, Baptisten, Buddhisten, Anglikanern, Juden, Muslimen, Quakern und unzaehligen weiteren Religionen, die einen grossen Einfluss auf das taegliche Leben ausueben. Wie unvollstaendig mein Bild der Amerikaner war – bis dahin hauptsaechlich aus Filmen, der Popkultur und Urlaubsaufenthalten gespeist – stellte ich bei meinem ersten Ausflug ins Landesinnere fest. Ich hatte mich auf einer mehrtaegigen Tour durch Tennessee auf der Suche nach der Jack Daniel’s distillery verfahren und hielt vor einem einsamen Haus, um nach dem Weg zu fragen. Mit meiner Vorstellung, die sich wohl eher auf eloquente Staedter bezog, hatten die drei Gestalten dort nicht viel gemeinsam. Weder verstand ich ein Wort von dem, was sie sagten, noch war ich mir sicher, wozu das Gewehr auf dem Beifahrersitz ihres Pickups diente und wie gross der Inzuchtanteil in ihrer Familie war. All die guten und weniger guten Erfahrungen, die ich gemacht habe, fuegen dem Puzzle >der Amerikaner< in meinem Kopf staendig neue Teile hinzu – Ende offen.

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