Brief an die Nixe

Der Sommer brachte zunaechst Kuestenwetter in die Bucht. Erhellende Winde, die als Luftschlangen die Bruecken der Stadt umgarnten, sich drehten, verwehten und leise Zunge schnalzten. Unter einem Himmel, der wie eine halbwegs flache Meeresstelle das Sonnenlicht in ein helles Blau verwandelte, liessen sich bei der Reise von einer zur anderen Rheinseite schaeumende Gedanken entwickeln ueber alles was dazu gehoert zu einem Dasein als Fisch im Aquarium: die Liebe, das Lernen, die Politik, den Pop.

Natuerlich ist das Aquarium auch ein Haifischbecken. Ein Gedanke, den man gerne mit den Wolken ziehen sieht. Frischer Wind ist immer gut, mag ein Marktgesetz lauten. Selbstredend ist er nie von Dauer. Steter Tropfen hoehlt den Stein, aber ein maechtiger Impuls schlaegt viel hoehere Wellen. Auch Gesetz.

Als Kind habe ich das Aquarium im Wartezimmer meines Arztes gerne betrachtet. Darin waren neben den Fischen auch zwei Taucherfiguren und eine Schatztruhe zu bewundern. Im Zoologischen Garten bin ich beim Balancieren auf der Mauer abgerutscht und in den Teich geplumpst. Eine Sekunde Todesangst. Als ich fuenf Jahre alt war, beschloss mein Vater, mir das Schwimmen beizubringen. Immer wieder der Sprung ins kalte Wasser. Ein paar Jahre spaeter waren es die in den Untergrund abgetauchten Terroristen der RAF, denen meine Faszination galt, erste Zeitungslektuere neben dem Sportteil. Nachher ging ich selbst auf Tauchstation, ab in die Subkultur, fort vom Mainstream und wasserdichten Alibis.

Die meisten meiner Freunde bestehen zu zwei Dritteln aus Wasser. Diesen Satz habe ich spontan geklaut: Philip K. Dick-Referenz in einer Kurzgeschichte von Kelly Link. Oft gehen mir Saetze im Kopf herum. Auch eigene. Und dieser ist wahr. Manche Freundschaft ist doch nur ein Sturm im Wasserglas – wie die Liebe, das Lernen, die Politik, der Pop. Auf die Brisen der ersten Sommertage folgten die schwuelen Tage und Dschungelnaechte mit ihren sanft rauschenden Regenfaellen. Beinahe wie Installationen, die dem entfremdeten Menschen die Natur nahe bringen sollen. Zwischen den sich aendernden Umstaenden klagt unterdessen die Routine ihr Recht ein. Der als natuerlich wahrgenommene Warenkreislauf entlaedt sich am vorlaeufigen Ende des Wegs, der die Bruecke zwischen privat und oeffentlich schlaegt, auf der linken Rheinseite, wo die >Arbeit< lauert. Hier im Kulturbetrieb, im Buero. Das Aquarium ist eine Realitaet. Darin bekennt man Farbe oder man wird durchsichtig, oder eins von den Exemplaren, die am Boden nach Kruemeln suchen oder die Scheiben saeubern. Es gibt immer was zu tun, auch wenn es von aussen vielleicht nicht so scheint. Und immer Unterhaltung. Das Wasser traegt den Schall, z.B. die neue Goldies-Platte: Die Entstehung der Nacht, guter Titel, sie entstand wie die Liebe, das Lernen, die Politik, der Pop. Zu zwei Dritteln aus Wasser, alles, so wie wir, jeder eine eigene Welt fuer sich. Und trotzdem wuerde ich gerne noch mal mit Dir, die Du zu wissen scheinst, dass das geheimnisvolle Wasser ohne Gnade ist, am Ufer sitzen und ueberlegen, wer aus dem Establishment es noch verdient haette auf dem Grund des Flusses mit Gewichten versenkt zu werden. Wenn ich ein paar Minuten lang auf den Rhein blicke, fluten diese verbotenen Gedanken alle meine Sinne. [Anm.d.Red.: Von Wolfgang Froemberg, ex-Spex, jetzt Kulturredakteur bei intro, erscheint im Oktober bei Hablizel sein Debuetroman >Spucke<.]

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