Botschafter der Wildnis

Die Rueckkehr der Woelfe nach Deutschland ist sicher nicht einer Verwilderung der Landschaft Brandenburgs oder Sachsens geschuldet, wie das manchmal angenommen wird. Auch sind duenne Besiedelung und abnehmende Einwohnerzahlen nicht alleine ausschlaggebend. Das Wunder hat vielmehr die Wende vollbracht. Mit der Oeffnung der Grenzen und dem Fall des Eisernen Vorhangs bekamen Woelfe aus dem Osten die Chance, ihre alten Wanderwege wieder aufzunehmen – ohne Gefahr zu laufen, vom erstbesten Waffentraeger getoetet zu werden. Und sie nutzten sie! [Dass trotz geltender Schutzgesetze immer wieder Woelfe erschossen wurden, steht auf einem anderen Blatt.] Woelfe sind enorm anpassungsfaehig. Entgegen landlaeufiger Meinung benoetigt Canis lupus naemlich nicht unbedingt ausgedehnte, undurchdringliche Waelder und menschenleere Regionen und auch nicht >Wildnis< oder >Urwald< im romantischen Sinn.

Um leben zu koennen wie ein Wolf, also seiner Art gerecht, braucht er ein ausreichend grosses Revier, die Moeglichkeit des Wanderns und des ungestoerten Rueckzugs. Er braucht Nahrung, die in unserer >Kulturlandschaft< mit ihrem Ueberangebot an wildlebenden Paarhufern wie Reh, Hirsch oder Wildschwein reichlich vorhanden ist. [Dass Schafe hier nicht unbewacht bleiben duerfen, versteht sich von selbst]. Und er braucht Menschen, die anderen Menschen Toleranz gegenueber einem Wildtier beibringen, das ueber Jahrhunderte verfemt, verfolgt und schliesslich bei uns ausgerottet wurde. Nicht wenige Menschen empfanden klammheimliche Freude, als durchsickerte: Die Woelfe sind zurueck! Inzwischen wird der Wolf auch ganz offiziell willkommen geheissen. Wer sich mit Hunden beschaeftigt, wer sein Leben mit Hunden teilt, kommt zwangslaeufig auf den Wolf. Und stoesst ausserdem schnell auf die wohl beruehmtesten Wolfforscher Konrad Lorenz und Erik Zimen. Die Faszination, die Woelfe ausueben, ist moeglicherweise ebenso in ihrer wilden, unbezaehmbaren Natur zu suchen, wie im Bekannten, Vertrauten ihrer aeusseren Erscheinung. Und nicht zuletzt in ihrem Freiheitsdrang, der gefangene Zoo-Tiere oftmals >ausbruchsichere< Gehege ueberwinden laesst. Einem wildlebenden Wolf zu begegnen, bleibt allerdings in unseren Breiten ein ueberaus seltener Gluecksfall. Es muss auch gar nicht sein. Seine Spuren sowie das Wissen um sein Dasein genuegen. Inzwischen hat es sich auch herumgesprochen: Niemand muss Angst vor dem Wolf haben. Dass es nicht die Woelfe sind, die sich - wie im Maerchen - den kleinen, niedlichen Maedchen naehern, sie verletzen oder gar toeten, weiss heutzutage jedes aufgeklaerte Kind. Und dann gibt es da noch etwas, was man vielleicht als Solidaritaet oder Mitgefuehl mit einer besonderen Spezies bezeichnen koennte. [Das englische Wort >compassion< trifft es genauer]. Solidaritaet mit dem seit Jahrhunderten Verfolgten, Fremden, Anderen. Dem Ausgestossenen, dessen Sprache man nicht versteht und dessen Gesang manchem braven Buerger kalte Schauer ueber den Ruecken jagt. Der Wolf, welch geeignete Projektionsflaeche fuer die eigene Befindlichkeit! Wer kennt sie nicht, die irrationalen Aengste vor dem Fremden, Unbekannten? Die beschaemenden Treibjagden auf Andersartige, Andersglaeubige, Andersdenkende in unseren Staedten? In den Staedten der zivilisierten Welt, nicht in der Wildnis! Hier wird es klar: Mensch - Tier, Tier - Mensch, die Parallelen sind unuebersehbar, der Unterschied ist ein kuenstlicher. Die Trennlinie laeuft mitten durch unseren Kopf. Vielleicht ist es auch unser Herz. Zum Glueck sind die Zeiten vorbei, in denen der Erleger eines Wolfes als Held gefeiert wurde. Auch werden Jaeger nicht mehr als Stellvertreter der Staatsmacht gesehen. Die Akzeptanz der Jagd als Freizeitbeschaeftigung sinkt rapide, was neuere Umfrageergebnisse zeigen. Eine am Tier- und Naturschutz interessierte Oeffentlichkeit sieht das Toeten von Wildtieren aus Passion und ohne zwingenden Grund mit zunehmenden Befremden. Dennoch koennen es einige der ueber 300.000 Hobby-Jaeger nicht lassen, die Angst vor dem >boesen Wolf< zu schueren. Sie sehen den Wolf als Konkurrenten, der ihnen ihre Beute streitig macht. Ganz objektiv haben sie sein Schicksal in der Hand, denn sie brauchen nur abzudruecken. Die Ausrede nach dem Schuss, man habe das Wildtier mit einem streunenden Hund verwechselt, verfaengt erst dann nicht mehr, wenn Jaegern das Recht genommen wird, auch Haustiere zu toeten. Die Frage, wieviel Wildnis der Bevoelkerung zugemutet werden kann und wer bei uns Lebensrecht hat, darf nicht von der Gnade oder dem Wohlwollen einer kleinen Minderheit abhaengen. Der Wolf verkoerpert auch ein Symbol fuer den gemeinnuetzigen Tier- und Artenschutzverein animal public. Der Leitspruch >Achtung vor dem Tier< ist Programm. Seine Mitglieder wollen Fuersprecher sein fuer die Rechte von Wildtieren, die in Freiheit oder Gefangenschaft unter der Willkuer von Menschen zu leiden haben. Wildtiere haben ein Recht auf Freiheit, auf ein artgerechtes Leben, auf Unversehrtheit, auf den Schutz ihrer Lebensraeume. Natuerlich haben sie auch ein Recht auf Wildnis. Wobei dieser Begriff sehr weit gefasst werden kann. Denn die erstaunliche Artenvielfalt in den Staedten - Berlin ist ein gutes Beispiel - steht der in der >freien Natur< nicht nach. Im Gegenteil: Sie wird sogar noch uebertroffen. Mit den Mitteln der Recherche, Dokumentation und Oeffentlichkeitsarbeit soll auf allen Ebenen ein respektvoller Umgang mit Tieren und Natur erreicht werden. Zudem will animal public Mut machen, Mut zu mehr Wildnis, die ohne Eingriffe und Nutzung durch den Menschen auskommt.

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