Boom in Bagdad

18.06.2003: Die Fahrt von Amman nach Bagdad habe ich gut ueberstanden. Nur ab und zu anhalten waere auf 600 km Wuestenfahrt nicht schlecht gewesen. Aus Angst vor Ueberfaellen weigerte sich jedoch mein Fahrer. Er selbst schien keinerlei Verdauung zu haben.

Die erste Nacht war dann unertraeglich. Von Maschinengewehrsalven bin ich ein paarmal schweissnass aufgewacht und habe schlecht getraeumt. Es sind nachts etwa 35 Grad und 50 Grad am Tag. Bei Stromausfall bringt auch der Ventilator keine Frische oder wenigstens die Illusion davon.

Hier reden alle von >der Gefahr<, vor allem nach dem Anbruch der Dunkelheit. Die Ursache sind die sogenannten Ali Babas, amnestierte Schwerverbrecher, die sich durch Meuchelmord Respekt verschaffen. Wer die Gefahr sucht in Bagdad, begibt sich an die Seite eines US Soldaten oder in die Naehe eines irakischen Polizisten. Ein kleiner Witz sagt: Pro totem Amerikaner gibt es zwei Stunden keinen Strom. Strom fliesst uebrigens nie laenger als drei Stunden ohne Unterbrechung. Zu Mittag habe ich mit ein paar Maschinenbaustudenten der al-Mustansirijah-Universitaet gegessen. Da ich bei dem Thema Maschinenbau aber nach wenigen Saetzen versage, waren wir gleich bei ihrem zweiten Lieblingsthema: Das Judentum. Sie beklagten, dass Hitler nicht nach Arabien sondern nach Deutschland gekommen ist. Schwarzer Humor ueberkam mich und ich lud sie nach Marzahn-Hellersdorf ein, um den Austausch mit Gleichgesinnten fortzusetzen. Schweissgebadet sitzte ich in einem der vielen Internet-Cafes, links neben mir der typische abbasidische Moslem im gebuegelten Hemd mit Magnum-Bart und rechts der 20-jaehrige US-Soldat im Wuestenlook: mit dem Maschinengewehr zwischen den Beinen beim Emailchecken. Das Ding wuerde ihm glatt das Kinderlaecheln wegblasen, wenn er aus Versehen auf seinen Sex-Spam klicken wuerde. Jetzt ist meine Zeit im Internet um. Ich nehme mir ein Taxi und hoffe, dass kein Ali Baba am Steuer sitzt. August 2003: Wer Geschaefte machen will in Bagdad, hat es nicht leicht. Obwohl die Steuerfreiheit lockt, kann schon die Autobahn Amman-Bagdad zur ersten Finanzierungsrunde werden. Eine andere Strasse in diese Stadt gibt es nicht. 2000 Menschen befahren taeglich den abenteuerlichen Handelskorridor, beladen mit Satellitenschuesseln, Gebrauchtwagen und anderen Konsumguetern. Westliche Neueinsteiger werden von den Ali Babas mit ihren weissen BMWs und den schwarzgetoenten Scheiben diskret bedraengt. Dann heisst es rechts ranfahren und Geld abgeben. Das haben alle schon einmal mitgemacht: Der Alcatel Mitarbeiter, das Rote Kreuz und sogar die deutsche Botschafterin, allein sie ist angeblich weitergefahren, denn der Wagen war gepanzert. Bagdad ist attraktiv fuer Geschaeftsleute aus dem Ausland, denn der Handel ist bis auf weiteres steuerfrei, hier kann man fuer viel Geld loswerden, was auch zuhause gut funktioniert: BMWs und Satellitenschuesseln. Aber auch die mutigen Wissenschaftler sind dabei; das Fraunhofer Institut moechte dort die neuen Internet-over Satellitensysteme an den Mann bringen, ein Hamburger DJ-Kollektiv Scheiben drehen und ein prominenter Berlin-Mitte Kneipier einen Laden eroeffnen. Boomed Bagdad? Klar, aber Aufpassen schadet sicher nicht. Obwohl entlang der Uferpromenade des Tigris bereits wieder Karpfen gebraten werden und man im Englisch Club bei Dattelschnaps und Arrak Tennis schaut, sollte der auslaendische Gastronom das Bier besser in Cola Dosen verkaufen; cleveres W-LAN hat man dort bereits aus Dubai oder China. Was ist also der heisse Wind of change? Die meisten Bagdader sind unter 30. Unter ihnen sind nicht nur traumatisierte Baathisten und radikale Schiiten, sondern auch Studenten, Intellektuelle, Kuenstler und gewiefte Entrepreneurs, die das Umkrempeln ihres Landes nicht allein Regierungen und NGOs ueberlassen. Die Zukunft Bagdads wird sicher davon abhaengen, was diese Leute tun und wo sie es tun. Gemeinsam mit der Universitaet Bagdad [entworfen 1957 von Walter Gropius] planen wir zur Zeit den Aufbau von Bagdad FM, ein Community Radiosender in arabischer Sprache - vor Ort.

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