Bloggen, lernen, unterrichten

Sie sitzen in den Klassenzimmern und wissen mehr über das Internet als ihre Lehrer – ein gängiges Klischee, wenn es um die Digital Natives geht. Doch die Situation ist vielschichtiger, denn inzwischen gibt es auch viele Lehrer, die das Internet als Arbeitsinstrument für sich entdeckt haben. Einer von ihnen ist Torsten Larbig. Er reflektiert in seinem Blog über alles, was mit Lernen und Bildung zusammenhängt. Gleichzeitig nutzt er die Struk- turen des Web 2.0, um selbst vernetzt zu lernen.

Als Schüler hatte ich das Glück, zumindest einem Lehrer zu begegnen, an dem ich mich früh intellektuell reiben konnte. Es gab Stunden, in denen wir so leidenschaftlich stritten, dass die Mitschüler wohl erwarteten, dass dies meinen Noten massiv schaden würde. Was sie nicht wussten: Der Lehrer hatte mich nach einer Stunde einmal beiseite genommen und mir verkündet, dass ich solange sehr gute Noten bekommen würde, wie ich Argumente in unsere Diskussionen einbringe.

Angesichts konträrer politischer Einstellungen, die in den Diskussionen aufeinander prallten, steigerte diese Einstellung meinen Respekt vor diesem Lehrer enorm. Aber jetzt brauchte ich Argumente. Und so machte ich eine erste Erfahrung, wie institutionalisiertes Lernen und selbständiges Lernen ineinander greifen. Geschickt hatte es dieser Lehrer geschafft, mein Interesse zu wecken, indem er akzeptierte, dass es unterschiedliche Sichtweisen auf gleiche Sachverhalte geben konnte, die jeweils argumentativ untermauert werden müssen.

Neugier auf Wissen

Die Folge war, dass ich Zeitungen las, der bisher besuchten „Stadtbücherei“ mit all ihren Jugendbüchern den Rücken kehrte und mich in die Kataloge der Landesbibliothek vertiefte, in denen ich so manche Werke fand, die mit dem Lernen in der Schule auf den erste Blick nichts zu tun hatten.

Das erste Buch, das ich mir dort als sechszehnjähriger entlieh, war eine Einführung in die philosophische Ontologie. Ich hatte damals keine Ahnung, was es mit einer solchen „philosophischen Seinslehre“ auf sich hat und ich habe wohl nicht einmal die Hälfte des Buches verstanden, in Wahrheit habe ich wahrscheinlich sogar fast gar nichts verstanden. Aber ich machte die Erfahrung, dass es Wissen und Neugier auf Wissen gibt, die weit über Schule und deren Inhalte hinaus reichen.

Die Zeit zum Lernen ist begrenzt

Diese Neugier wurde innerhalb der Institution Schule geweckt. Und so blieb es dann auch bei meinem weiteren Gang durch Institutionen der Bildung: Die vorgegebenen Inhalte ließen mich immer auf Inhalte stoßen, die wesentlich weiter gingen und Inhalte, die nicht in den Lehrplänen der institutionalisierten Bildungsprozesse vorkamen, konnten dennoch fast immer in diese eingebunden werden.

Aufgrund dieser Erfahrungen habe ich bis heute ziemlich viel Zeit mit Lernen verbracht und konnte auch noch fast immer das lernen, was ich lernen wollte. Das sehe ich als Privileg, der Normalfall scheint es eher nicht zu sein. Ich konnte mir immer Zeit zum Lernen nehmen, weil meinen Eltern Bildung wichtig war und ich da nie unter ökonomischen Druck stand.

Aber natürlich sind Lernressourcen endlich. Die Zeit zum Lernen ist, selbst unter besten Bedingungen, begrenzt. Damit habe ich mich abgefunden. Ich musste mich irgendwann auf bestimmte Lernbereiche konzentrieren. Aber sollte ich mal wieder Zeit zur Erweiterung dieser Lernbereiche finden, dann werde ich wohl noch ein oder zwei Sprachen lernen.

Vernetzter Lehrer: Bildungs-Neuron und Lehrerblog

Ein Ort, an dem mein Lernen heute verortet ist, ist mein Blog, dessen Untertitel „Bildungs-Neuron | Lehrerblog“ die zwei Seiten meines heutigen Lernprozesses ausdrücken soll. Die Neuronenmetapher habe ich von dem Eichstätter Französischdidaktiker Jean-Pol Martin übernommen, der in seinem Konzept „Lernen durch Lehren“ davon ausgeht, dass Lernprozesse in Lerngruppen genau so funktionieren, wie im Gehirn: Wenn dort ein Neuron einen Impuls bekommt, dann „feuert“ es, gibt diesen Impuls weiter und gibt somit das weiter, was der Impuls bei ihm ausgelöst hat.

Diese Impulse werden dann vom gesamten „System“ verarbeitet, nicht relevante Impulse werden als solche erkannt und nicht weiter verarbeitet. Genau so verstehe ich mein Blog, das in ein Netzwerk eingebunden ist, das weit über dieses Blog hinausgeht und in dem intensiv diskutiert wird. Im Zentrum stehen dabei der Informationsaustausch über Twitter und die Nutzung aller Möglichkeiten, die das Internet (Web 2.0) für den Austausch zur Verfügung stellt, die in nicht wenigen Fällen auch zur persönlichen Begegnungen führen. Da es in diesem „neuronalen“ Netzwerk meist um Fragen der Bildung im umfassenden Sinn geht, wählte ich die Bezeichnung „Bildungs-Neuron“ als erste Beschreibung meines Blogs.

Die zweite Bezeichnung im Untertitel „Lehrerblog“ spiegelt die zweite Seite des Blogs wider. Es ist das private Blog eines Lehrers, der nicht nur lernt, sondern als Lehrer auch Lernprozesse begleitet, anregt, initiiert, diese aber auch reflektiert. Und Teile dieser Reflexionen fließen in mein Blog ein.

Fortbildung 2.0

Ich habe das Netzwerk, in dem mein Blog eingebunden ist, schon kurz erwähnt. Ich bin mit anderen, ständig „feuernden“ Neuronen dauernd über Twitter in Kontakt. Blogs werden gegenseitig gelesen und kommentiert, auf Tagungen finden persönliche Begegnungen statt, Tagungen selbst werden im Internet vor- und nachbereitet.

Ich nenne diesen Prozess des Lernens „Fortbildung 2.0“. Und in diesem Jahr probieren wir mit den Bildungsreportern auf Anregung des Heidelberger Informatikdidaktikers Christian Spannagel und dem Journalisten Lutz Berger eine neue Form der Entdeckung spannender Bildungsprojekte aus.

Im vergangenen Jahr sind Spannagel und Berger mit einem kleinem Team noch durch Deutschland gereist, um interessante Bildungsprojekte zu besuchen und zu dokumentieren, was dort geschieht; nun laden sie dazu ein, dass Leute vor Ort selbst auf Entdeckungsreise gehen und interessante Bildungsprojekte vorstellen, sei es per Video oder auch in Form von Blogartikeln, Audioproduktionen etc, die von so genannten „Korrespondenten“ auch direkt auf der Website bildungsreporter.de veröffentlicht und zur Diskussion gestellt werden können.

Für mein Lernen ist das Internet, neben Büchern, zu einem zentralen Medium geworden. Entsprechend wünsche ich mir, dass die Hinführung zu dieser Form des Lernens auch in den Schulen ein ganz normaler Bestandteil des Fachunterrichts würde. Dabei kann es durchaus sinnvoll sein, Schülerinnen und Schüler in größeren zeitlichen Zusammenhängen gezielt mit den Möglichkeiten des vernetzten Lernens vertraut zu machen und dabei auch die Fallstricke des Arbeitens im Netz thematisieren.

Vernetztes Lernen als „Interneterziehung”

Ich denke vor allem an Datenschutzfragen, aber auch an das Problem des umfassenden Zitierens ohne entsprechende Quellenangaben. Ich glaube aber nicht, dass es dafür ein eigenes Fach „Interneterziehung“ geben müsste, wie das Sascha Lobo in einem Spiege-Artikel vorschlug, es sei denn, ein solches Fach würde helfen, vernetzte Lernstrukturen stärker in schulische Lernprozesse zu integrieren. Denn ein derart vernetztes Lernen halte ich für Lernprozesse bereits heute für bedeutsam. Und nach der Schule begleiten sie einen das ganze Leben.

Wir wissen heute nicht, wie die Welt in zehn Jahren aussieht. Ziel des (institutionalisierten) Lernens muss entsprechend sein, Menschen die Möglichkeit zu verschaffen, mit Herausforderungen umzugehen, von denen wir heute noch gar nicht wissen, dass sie auf uns zu kommen werden. Abgesehen davon, dass der Mensch von Anfang an und in seinem ganzen Leben ein Lernender ist, sind es diese unabsehbaren Entwicklungen, die ein „lebenslanges Lernen“ notwendig machen. Ich meine damit nicht primär ein „lebenslanges Lernen“, das darauf abzielt, dass Menschen aus ökonomischen Gründen von Umschulung zu Umschulung gehen, sondern ein Lernen, das Teil der allgemeinen Menschwerdung ist.

6 Kommentare zu “Bloggen, lernen, unterrichten

  1. Es ist dabei geblieben und wird sich wohl auch nicht verändern: “Wir wissen, dass wir nicht wissen”. Aber die Forderung auf “lebenslanges Lernen” kommt bishervordergründig den Verbänden der Wirtschaft. Schön wäre es, wenn es anders kommen könnte.

  2. Ich finde den Beitrag prima und frage mich, wie man andere Lehrer dazu bringen kann, selbst Erfahrungen mit Fortbildung 2.0 zu machen.

  3. Guter Artikel. Den geschilderten Erfahrungen kann ich nur beipflichten, denn auch für mich ist das Internet ein Raum, über den ich beständig lerne und über den ich mich mit anderen vernetze.
    Es gehört zweifelsohne zu den Aufgaben von Schule, Schülern das Netz auch in diesem Zusammenhang näher zu bringen.Sie müssen die Möglichkeiten zumindest kennen, auch wenn sie später wohl eher auf die Konsumangebote des Netzes setzen werden. Das ist mit dem Fernsehn und Radio auch nie anders gewesen Beide bieten durchaus sehr informative und bildende Inhalte, die aber nur von einer Minderheit der Nutzer angenommen werden. Die Nutzungsgewohnheiten Jugendlicher in Bezug auf das Netz spiegeln da eigentlich nichts anderes wieder.

  4. Vielleicht interessiert es euch, dass ich mit einer Kollegin ein Buch über den Komplex ‘Lernen lernen’ (und vorher ebenfalls Bücher darüber) verfasst habe.
    Genaueres in meiner Website unter der Rubrik ‘Publikationen” bzw. ‘Veröffentlichungen’.
    .
    Beste Grüße
    Peter O. Chott

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