Black Box Apolda: Wie das Projekt TreuhandTechno unerhörte Geschichte(n) schreibt

Die Treuhand hat in der ehemaligen DDR massenhaft Staatseigentum in Privateigentum verwandelt, angeblich alles im Sinne der Bevölkerung. Doch die Privatisierung hat vielfach zum Scheitern, zu Frustration und zu Arbeitslosigkeit geführt, beispielhaft dafür ist die Stadt Apolda. Das Kunstprojekt TreuhandTechno erzählt unerhörte Geschichte(n) aus dieser Stadt und vitalisiert die brachliegenden Potenziale auf eine überraschende Weise. Anna Stiede, die das Projekt gemeinsam mit Susann Neuenfeldt und dem Kollektiv Panzerkreuzer Rotkäppchen realisiert, steht Rede und Antwort. Ein Interview.

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Apolda ist eine Kreisstadt im Landkreis Weimarer Land und ein Städtedreieck mit Weimar und Jena. Sie sind dort aufgewachsen. Was waren die prägendsten Erfahrungen?

Prägend war das Grau Apoldas im Kontrast zum bunten Weimar, in welches ich all zu gern nach der Schule oder am Wochenende flüchtete. Weimar kam mir weltoffen vor. Apolda hingegen war in den 1990ern und 00er Jahren perspektivlos und hatte wenig zu bieten. Ich ging dort auf das ehemals größte Gymnasium Thüringens. Es gab kein Kino (mehr) und die Jugendclubs waren nach sogenannten „Zeckenclubs“ und Naziclubs aufgeteilt. Die Straßen, die wir durchstreiften waren einigermaßen trostlos; Arbeitslosigkeit und Alkoholismus waren omnipräsent. Prägend war meine Tanzgruppe auf dem Dorf, in dem ich lebte. Jeden Montag Nachmittag Training! Das war der einzige Ort, an dem die klassenpolitische Differenzierung zwischen Gymnasiastinnen und Realschülerinnen etwas aufgebrochen wurde. Außerdem prägte mich Musik. Zuhause liefen oft die von McDonalds produzierten CDs mit DDR-Musik, weshalb ich wie viele andere die ganzen Klassiker von Karat über Lift bis Nina Hagens vergessenen Farbfilmklassiker auswendig kann.

Meine Eltern waren mit Musiker:innen befreundet und der Großteil meines Freundeskreises inklusive mir selbst machte „Mucke“. Ständig waren wir auf Konzerten oder hingen in Proberäumen ab: das war unsere Abschottung von der Normalogesellschaft und den Nazis. Neben Schule, Familie, meinen Freunden und amüsanten Jugendmomenten in der Tristesse ist und bleibt der alltägliche Antifaschismus eine der zentralsten Erinnerungen. Angst war jenseits unserer subkulturellen Räume ständiger Begleiter. Nazis gehörten zum Stadtbild und große Ansammlungen von Ihnen, die immer wieder auf Dorffesten auf liefen, um die Feste auf zumischen oder alternative Veranstaltungen und Orte angriffen, war Normalität. Prägend war zu guter letzt die Erkenntnis: Nur weg von hier sobald ich kann! Obwohl ich doch tolle Freunde vor Ort hatte. Das mit dem Weggehen hatte was Befreiendes. Ehrlich gesagt schmerzt es aber irgendwie auch nachhaltig.

Die Textilindustrie ist in Apolda stark vertreten. Die Stadt entwickelte sich “zeitweise zur wichtigsten Industriestadt in Sachsen-Weimar-Eisenach”. Wodurch zeichnete sich diese Industrie bis 1989 aus? Was war der Status der Arbeiter*innen, wie waren sie organisiert, wie und wo lebten sie in der Stadt?

„Bockwurscht, Bier & Wolle: wir kommen aus Apolle“ war der Schlachtruf beim Fasching und Stadtfesten. Dieser Lokalpatriotismus, oft begleitet mit männlichen Alkohol- und Gewaltexzessen, widerte mich an. Dank der Arbeit am Projekt TreuhandTechno mit dem Theaterkollektiv Panzerkreuzer Rotkäppchen (PKRK) hab ich eine Auseinandersetzung mit der wirklich interessanten Industriegeschichte, jenseits der Bratwurst und der Stadtbrauerei beginnen können. Apolda ist Textilstadt. Bis 1972 arbeiteten viele in kleinen Familienbetrieben bis diese verstaatlicht wurden und große zentrale sogenannte Volkseigene DDR-Textilbetriebe installiert wurden, wie in Apolda Nord mit dem VEB Thüringer Obertrikotagen Apolda (TOA). Rund herum wurden Neubausiedlungen mit Plattenbauten und Zentralheizung angelegt. Im Stadtkern von Apolda hingegen erkennt man noch an vielen Stellen kleine Manufakturen oder aber Arbeiter:innen-Wohnsiedlungen aus dem 19. Jahrhundert. Rund um den Bahnhof hingegen finden sich eindrucksvolle Fabrikantenvillen, von denen viele heute nur verfallen.

Im Vergleich zu Weimar war Apolda eben eine proletarische Stadt und die Apoldaer:innen stolz auf ihre Arbeit „in der Wolle“. Stricker gewesen zu sein, war ein prestigereicher und gut entlohnter Beruf. Das VEB TO Apolda bildete jedes Jahr hunderte von Näherinnen und Stricker aus. Die Berufe waren geschlechtlich zugeordnet, wenngleich in der Ausbildung alle sämtliche Maschinen kennen- und bedienen lernen mussten, um zu wissen wie das Textil am Ende zustande kommt. Neben den Textilien für Kinder, Herren und Damen wurden auch Wirkmaschinen wie die Textima-Nähmaschinen in Apolda hergestellt. In Apolda nistete demnach nicht nur Expert:innenwissen um Stoffe und Design, sondern auch, durch enges Verhältnis zwischen Arbeiter:in und der Maschine, genauste Maschinenkenntnisse.

Was ist daraus nach der “Wende” geworden? Welche Rolle spielte die Treuhand bei Transformation der Industrie, die so prägend für die Stadt war?

Die DDR existierte noch, als ab dem 01. Juli 1990 mit dem verabschiedeten Treuhandgesetz keine VEB‘s mehr in Apolda existierten – vier Monate nach der Gründung der Treuhandanstalt! Im Herbst waren bereits 1404 Menschen arbeitslos – mit steigender Tendenz. Damit schwand der proletarische Charme der Stadt. Einige der 1972 enteigneten Familienbetriebe wurden in Privatbesitz zurückgeführt. Einige – oft Frauen – nahmen allen Mut zusammen und hohe Kredite bei privaten neuen Banken auf, um mit hilfsbereiten Steuerberatern und Notaren aus dem Westen neue Textilfirmen aufzubauen. Tausende von Strickern und Näherinnen hingegen verloren ihre Arbeit, sattelten auf neue Berufe um, konnten in einem anderen Betrieb in der Region Arbeit finden oder waren der Langzeitarbeitslosigkeit verdammt. Durch die Neugründungen, berichteten Zeitzeug:innen, sei alles jedoch weniger schlimm gewesen, als in anderen Orten der ehemaligen DDR. Wie vielerorts suizidierten sich auch in Apolda viele Menschen in den 1990er Jahren. Der Chef eines neugegründeten Textilunternehmens erhängte sich im eigenen Betrieb in Apolda Nord, da das Unternehmen nicht konkurrenzfähig war.

Die Rolle der Treuhand ist undurchsichtig. „Nebulös“ beschreiben Zeitzeug:innen das Ganze, was wir eine interessante Parallele zu den dunklen, nebeligen Technotanzflächen der 1990er Jahre finden. An die Treuhand-Akten heranzukommen ist beschwerlich. Ein Großteil ist immer noch nicht erschlossen, was nach 30 Jahren Bearbeitungszeit Fragen aufwirft. 1990 und 1991 scheint eine Wilde-Westen-Stimmung geherrscht zu haben. Die Treuhand war damals noch kein weit verbreiteter Begriff. Wen man kannte, war jedoch der „Liquidator“ oder die Prüfer, die in die Betriebe kamen, um diese nach ihrer Volkswirtschaftlichkeit zu bewerten.

In Apolda war dies unqualifiziertes Personal, die reichlich wenig von Textilproduktion und Maschinen verstanden. Die Betriebshallen wurden verscherbelt und der Großteil der vollfunktionstüchtigen Maschinen verschrottet. Für TreuhandTechno haben wir mit vielen ehemaligen Textilarbeitenden gesprochen, die sich selbst als aussterbende Spezies verstehen, da diese Qualifikationen heute hierzulande kaum mehr gefragt zu sein scheinen. Näherinnen berichteten uns, wie Ihnen die Maschinen quasi unter den Händen weggenommen wurden. Die Textilarbeiter:innen verloren ihre Maschinenbindungen. Nur ein kleiner Restbestand der Maschinen wurde den Neugründer:innen verkauft. Koordiniert und abgewickelt wurde das ganze von einer Holding-AG aus Krefeld.

Wie die „Wende“ die Stadt verändert hat, lässt sich auch an den Einwohner:innenzahlen ablesen: zu DDR-Zeiten lebten zwischen 28.000 und 32.000 Menschen in der Stadt. Anfang der 1990er Jahre sank die Zahl bis heute auf knapp 22.000 Einwohner:innen.

Wer und wessen Interessen wurden bestimmend für die Erzählung von Apoldas Post-1989 Wandel?

Zum Einen waren da die elanvollen Neugründer:innen, die Apoldas Handwerk und Kreativität auf den westlichen Modemarkt tragen wollten und sogar recht erfolgreiche glamouröse Veranstaltungen, wie die Apoldaer Modenacht auf die Beine stellten. Politisch dominierte in Apolda, wie in ganz Thüringen ab 1990 lange Zeit die CDU. Warum man in Apolda mit einer großen Inszenierung so schnell die DDR-Textilindustrie zerstörte und warum Investitionsvorhaben um neue textile Produktionen mit geplanten Hunderten Angestellten nicht von der Treuhand bewilligt wurden, bleibt bis heute unklar.

Wie interveniert TreuhandTechno in diese Erzählung?

Während sich einerseits die Arbeitsbiografien Hunderttausender von Menschen veränderten, ältere Generationen mit negativen Emotionen wie Frust, Existenzangst, Scham, Schuld und Wut zu kämpfen hatten, waren es oft ihre Kinder oder Enkel, die die gleiche Zeit als Aufbruch, die neue elektronische Musik ganz und gar als „Revolution“ erlebten. Da waren Entlassungen, Arbeitslosigkeit und Unverständnis über diese Vorgänge in der einen Welt; sprachlose Musik, Delirium und dröhnende Bässe in der anderen. Beide berührten sich nicht, obwohl sie der gleichen Sehnsucht nach weiten Hallen, Maschinen und Arbeit folgten. Bei TreuhandTechno bringt das Kollektiv Panzerkreuzer Rotkäppchen diese beiden Welten zusammen, ermöglicht durch kuratierte Begegnungsformate und performative Inszenierungen verbale und non-verbale Auseinandersetzungen. Ich glaube für die Zukunft des Ostens ist diese generationenübergreifende Verarbeitung der Deindustrialisierung total wichtig.

Inwiefern zielt TreuhandTechno darauf ab, die Black Box Apolda als paradigmatisch für die Black Box East zu öffnen?

Das kann ich schwer beantworten. Man darf den Osten nicht gleich machen. Jede Region hat dann doch ihre Eigenart. In meiner Arbeit im ostdeutschen Hinterland lerne ich immer wieder Sachsen ist nicht Thüringen, ist nicht Mecklenburg-Vorpommern. TreuhandTechno zieht als künstlerisches Forschungsprojekt durch den Osten und sucht nach Zwischentönen, Ambivalenzen, Unausgesprochenem. Was bisher ähnlich scheint, ist eine Art Unrechtserfahrung mit der sogenannten Wiedervereinigung. Klar gibt es die sogenannten Wendegewinner:innen, doch ein Großteil der ostdeutschen Bevölkerung musste einen schmerzvollen Preis für die neuen Reise- und Konsumgewinne zahlen, der mit Abwertungen einherging. Abwertung hoher beruflicher Qualifikation, Abwertung des unabhängigen Frauseins, kulturelle Abwertungen durch sprachliche Dialekte. Von den Technoliebhaber:innen aus Apolda lernten wir, dass der Techno ein „abschütteln“ des Alltags war. Unsere Regiesseurin Susann Neuenfeldt erkannte: Techno ist keine Flucht sondern eine kollektive Verarbeitungsform der Deindustrialisierung. Wir vermuten, dass dies der Grund ist, weshalb in sehr vielen Städten und Kleinstädten stillgelegte Fabriken mit dieser zuerst unkommerziellen Subkultur belebt wurden und werden prüfen, ob die Trance des Technotanzen als Traumabearbeitung paradigmatisch für die Black Box East ist.

Anm.d.Red.: Die Fragen stellte die die BG-Redaktion. Mehr zum Projekt TreuhandTechno findet sich auf Vimeo und SoundCloud. Weitere Beiträge zum „Black Box East“-Jahresthema finden sich hier: https://berlinergazette.de/feuilleton/2021-black-box-east/

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