Berlin will London werden – obwohl es eigentlich Rudow und Reinickendorf ist?

Berlin will London werden – darauf deutet nicht zuletzt der angestrebte Intendantenwechsel an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz hin. Die Autorin Ruth Herzberg kommentiert die Ereignisse und nimmt dabei eine kritische Perspektive auf die Kulturpolitik Berlins ein.

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Vorhang auf: Warum es diesen Intendantenwechsel an der Volksbühne gibt, weiß ich nicht. Wowereit tritt zurück und keine drei Monate später wird Castorf nicht verlängert. Da hat wohl jemand die Hand über ihn gehalten und der ist nicht mehr da. Schon kommt ein frischer Wind, und ein weltberühmtes Theater soll entkernt werden. Vielleicht war es auch so, dass Chris Dercon sich angeboten hat, beziehungsweise selbst auf der Suche war und man musste nur zugreifen, wollte sich einen solchen nicht entgehen lassen.

Man sagt ja, dass er ein prall gefülltes Adressbuch hätte und darauf war man vielleicht scharf. Es geht also gar nicht gegen Castorf, sondern um ein Adressbuch, man will sich eben versichern, irgendwo oben mitspielen zu können und wenn dann ein Belgier aus London plötzlich Zeit hat, ja, dann kann man nicht nein sagen. Man wollte ja den Belgier auch so unbedingt, dass man ihm mehr Geld zur Verfügung stellen wird.

Drei Millionen Euro Budget mehr hat er sich ausbedungen. Vielleicht können auch viele jetzt einen Platz bei ihm finden, die vorher nicht zum Zuge gekommen sind. Es wird noch das Babylon und einen Tempelhofer Hangar als Spielstätten geben.Vielleicht sogar noch mehr? Berlin wird nicht London, Berlin wird Volksbühne!(Euphorie)

Kommt der wahre Glanz von außen?

Obwohl: Der Belgier bringt Leute mit, greift also nicht ins Berliner Material. Er hat sein Adressbuch. Tut sich die Stadt Berlin einen Gefallen damit, wenn sie für drei Mille plus X einen Belgier einkauft, der seine eigenen Leute mitbringt? I doubt it.

Warum mögen Tim Renner (Kulturstaatssekretär) und Michael Müller (Bürgermeister) die einheimische Kulturszene eigentlich nicht? Weil sie sie nicht kennen? Weil der wahre Glanz von außen kommt? Aus London? Aus Belgien? Aus Norwegen? Aus International? Berlin ist Provinz dagegen. Berlin ist Rudow und Reinickendorf. Vielleicht ist das Politikerleben zu langweilig. Gegen die Langeweile hilft nur die große Geste. Man kauft sich also einen schönen Mann und zeigt ihn herum.

In der Pressekonferenz neben so einem schönen weißen Bart sitzen zu dürfen, seinen Kaschmirpulli zu riechen, sein Tweedjackett zu streicheln, etwas von dem Duft des Parfüms an seinem Schal zu erhaschen. Das hat was. Das sind alles nur Vermutungen, aber es sagt einem ja keiner was Genaues. Das kam alles so plötzlich, ohne Absprache, es wurde einfach nur verkündet, der Dercon kommt und basta.

Geht es um eine Privatisierung des Ostens?

2017 ist noch lange hin. Bis dahin muss man den Ort eben ausnutzen. Bis dahin kann man sich auch noch viel mehr Gedanken machen. Vielleicht geht es doch um ein Privatisieren und ein Ausmerzen des Ostens, beziehungsweise der Utopie, die auf den Trümmern dieser Gesellschaftsordnung Ende der 80er, Anfang der 90er entstanden ist. Die Utopie von einer anderen Gesellschaft, Freiheit UND Sozialismus.

Vielleicht ist diese Utopie, bzw. sind ihre Spuren dermaßen bedrohlich, dass sie für jemanden der die Macht hat, einfach nicht zu ertragen sind. Wenn man sieht, mit welchem Achselzucken und Fingerschnipsen Berlin über die Jahre zerstört wurde, dann ergibt sich ein Muster. Das kann kein Zufall sein. Wir haben den Palast der Republik gegen ein Humboldt Forum getauscht und das Tacheles gegen ein Alexa. Verlängern Sie die Liste bitte selber.

Wenn ein Kunstsammler den Bunker bekommt und man dort nur noch nach Voranmeldung hineindarf und er selbst wohnt oben drauf: Ja, der hat sich das einfach gekauft, da kann man nur gratulieren. Und keiner hat was gesagt. Oder? Früher kam da drin halt Gabba und gab es SM Parties und eine Bar aus Stahl. Das war ein Ort für Menschen, wenn auch spezielle, aber jeder konnte im Prinzip da hin, der Lust hatte.

Stolz muss man sich leisten können

Man musste fünf Mark Eintritt bezahlen und dann konnte man sich ein bisschen von Bässen oder Peitschen durchhämmern lassen. Eigentlich eine schöne und demokratische Angelegenheit. Jetzt: Keine Musik mehr und Kunst und Bunker und privat mit goldenem Klingelschild. Ist auch egal, er kann den hässlichen Bunker gerne haben und wer mag schon Gabba oder SM?

Aber ich schweife ab. Spannend wird jetzt, wer wie versuchen wird, an der Volksbühne unterzukriechen, trotz des Derconschen Adressbuchs. Beziehungsweise in dieses Adressbuch reinzukommen. Das ist auch richtig so, Stolz muss man sich leisten können und dann irgendwie mal ins Foyer oder in den dritten Stock, oder ins Hangar oder ins Babylon mit einer schönen Produktion und dann haben die Kinder was zum Leben, warum denn nicht?

Überhaupt: Was haben sie vor, er und die zwei Choreographen und die zwei Filmemacher (der Junge und der Alte) und die eine echte Theaterregisseurin? In einem Interview mit der Monopol wettert Dercon gegen das Kulturprekariat und jene, die ihre Ideen umsonst zu Markte tragen. Er prangert das an, vielleicht wird er richtig gut zahlen, vielleicht wird er richtig neugierig und umtriebig sein, vielleicht…Nein, braucht er nicht. Er hat sein Adressbuch.

Geld und ein schönes dickes Theater in Deutschlands Hauptstadt

Aber wenn ihm wirklich etwas an der Volksbühne liegen würde, hätte er den Job nicht angenommen. Dann hätte er abgesagt. Dann hätte er gesagt: Nein, ich bin doch gar nicht vom Theater, ich bin vom Museum, ich habe nur ein Adressbuch in meinen leeren Händen. Ich lasse die Finger von dem Job und verbeuge mich und bleibe mit meinem Adressbuch in London.

Dass er das nicht tut, ist das, was am meisten weh tut, das ist sogar richtig zum Weinen. Dass er nicht sieht, was die Volksbühne eigentlich ist. Dass er keinen Respekt zeigt. Dass ihm eigentlich alles egal ist. Das ist natürlich auch nur eine Vermutung. Er kommt ja nicht allein, sondern mit einem Team. Denen auch alles egal ist. Geld und ein schönes dickes Theater in Deutschlands Hauptstadt, wie kann man denn da nein sagen? Heutzutage kann man zu gar nichts mehr nein sagen, nicht zu den Jobs ohne Geld und auch nicht zu denen mit.

Man könnte man vielleicht in den Biographien der Beteiligten herumstochern, auf der Suche nach Verwerflichem, aber es hängt ja sowieso alles mit allem zusammen, sparen wir uns also die Mühe. Es kommt also ein hochkarätiges Team, das bekommt ganz viel Geld, zwei von denen wohnen schon teilweise in Berlin, die anderen mieten oder kaufen sich ein. Mit und/oder ohne Familie. Kommen Sie schnell, so lange hier im Innenstadtring noch Platz ist, oder wird das hier nur ein Zweitwohnsitz?

In drei Jahren wieder weg?

Weil es woanders auch noch so viele Projekte gibt? Wird gependelt, zwischen Berlin-Mitte und… (hier bitte beliebige internationale Großstadt einfügen) Alle paar Wochen mal her kommen und ein paar spannende Projekte anschieben? Wir freuen uns jedenfalls und sind aufgeregt und wir werden allen den roten Teppich ausrollen und die Arme nach ihnen ausstrecken, damit sie uns mitnehmen, in die große weite Welt. Und Castorf? Übernimmt das Musée d`Orsay? Weil Paris Berlin werden will? Könnte doch interessant werden. Was für Posten werden denn demnächst noch so frei? Kursieren da irgendwo Listen?

Geben wir ihm drei Jahre, sagt der Bühnenmitarbeiter. Vielleicht ist Dercon danach schon wieder weg. Wir überlegen uns Konzepte. Musicaltheater zum Beispiel. So kann man die Volksbühne wirklich wieder zu einer Volksbühne machen. Der König der Löwen in perfekter Innenstadtlage. Oder den ganzen Laden über AirBnB vermieten. Seltsam, dass wir uns gar nichts Gutes vorstellen können. So kann man doch nicht sein. So verbittert und negativ.

Vielleicht wird ja alles ganz schön. Chris Dercon bringt doch erfahrene Profis mit und ist doch auch selber so ein erfahrener Profi. Er ist doch noch gar nicht da. Lassen wir ihn eben machen. Was bleibt uns anderes übrig. Ja, alles wird gut und warm. Im Hangar drücken wir uns aneinander, beim Tanztheater, bis der Vorhang sich senkt.

Anm.d.Red.: Mehr Beiträge zum Thema finden Sie in unserer Rubrik Wem gehört die Bühne des Volkes?. Die Fotos sind dieses Jahr in der Theaterpause der Volksbühne am Rosa-Luxemburg Platz entstanden, aufgenommen von Andi Weiland. Sie stehen unter einer Creative Commons Lizenz (cc by sa).

6 Kommentare zu “Berlin will London werden – obwohl es eigentlich Rudow und Reinickendorf ist?

  1. Dazu eine Beobachtung: An diesem (hohlen) London-Hype scheint ja noch viel mehr dran zu sein: Nach Dercon wurde Neil McGregor Intendant des Humboldt-Forum und nun auch Ben Gibson neuer Direktor der DFFB. Das alles ist sozialdemokratische Kulturpolitik, die haben schon im Kaiserreich geglaubt, dass in London alles besser ist.

  2. Also, das ist ja schon eine heftige Argumentation:

    “Aber wenn ihm wirklich etwas an der Volksbühne liegen würde, hätte er den Job nicht angenommen. Dann hätte er abgesagt. Dann hätte er gesagt: Nein, ich bin doch gar nicht vom Theater, ich bin vom Museum, ich habe nur ein Adressbuch in meinen leeren Händen. Ich lasse die Finger von dem Job und verbeuge mich und bleibe mit meinem Adressbuch in London.”

    Hoi hoi hoi. Es kreist halt um sich selbst. Super Artikel.

    And Dercon is an honourable man. He hath brought many address book entries home to Volksbühne.

  3. Ja, Berlin ist wirklich Rudow und Reinickendorf (oder vielleicht sogar Dresden), wenn man diesen (nicht einmal unterschwellig) nationalistischen und chauvinistischen Artikel liest. Hier werden in Pegida-Manier Verschwörungstheorien verbreitet und Ressentiments geschürt. Ekelhaft.

    Die (vielfach publizierte und belegte) Tatsachen sind: Der Berliner Senat wollte den alten Volksbühnen-Dramaturgen und HAU!-Intendanten Matthias Lilienthal als quasi natürlichen Castorf-Nachfolger. Der aber wollte nicht und empfahl Dercon, den er in München als Kollegen kennengelernt hatte. Dercon wollte weg aus London, weil er ein Linker ist, der den Kommerzialismus im dortigen Kulturbetrieb nicht mehr aushielt.

    Ich wohne ich seit einem Jahrzehnt in Rotterdam und bin beim Lesen solcher Artikel froh, nicht mehr in Berlin zu sein. Dercon war hier in den 90ern Direktor des Kunstinstituts Witte de With und genießt unter Künstlern in der Stadt immer noch einen hervorragenden Ruf.

    Berlin sollte Dieter Hallervorden zum Volksbühnen-Intendanten ernennen.

  4. @florian cramer
    Aha. Lilienthal sieht das anders:
    “Und wie ist Ihre Rolle in diesem Drama? Denn die Berliner Zeitung hat geschrieben, Sie stünden im Verdacht, Renner beraten zu haben. Haben Sie?
    Ich habe Tim Renner nicht Chris Dercon vorgeschlagen und ich war in keiner Beratungstätigkeit.” Quelle: Das SWR2 Kulturgespräch mit dem Theatermacher Matthias Lilienthal führte Sonja Striegel am 22.4.2015 um 7.45 Uhr
    Hat Lilienthal in diesem Interview die Unwahrheit gesagt? Und warum?

  5. sehr luzider Artikel, danke und dazu noch einen erweiterten Gedanken: es war André Schmitz, der ehemalige Verwaltungsmann des Hauses, der vor dem
    Niedergang seines Saubermann-Images die Hand über Castorf und die Volksbühne gehalten hat und auch er war es, der versäumt hat über die eine oder andere nötige Neuerung zu reden, etwa ein Intendantenteam aus Pollesch, Frisch u.a. um FC herum zu bilden und dadurch auch eine dringend nötige Erhöhung des Etats hinzukriegen, dann war es für Nachfolgende offensichtlich leichtes Spiel für Kahlschlag.

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