Aus Zelluloid gemacht

Auch wenn ich als Kind mit dem Wissen aufwuchs, dass es die deutsche Sprache gibt, so wurde diese doch erst waehrend meiner College-Zeit greifbare Realitaet fuer mich. Es war das Kino, das mir eine folgenreiche Begegnung mit dem Deutschen einbrachte. In den fruehen 1980er Jahren wuchs meine Faszination fuer das Neue Deutsche Kino und fuer Regisseure wie Werner Herzog, Alexander Kluge, Werner Schroeter, Rosa von Praunheim und Margaretha von Trotta. Neben meiner Begeisterung fuer das Visuelle im deutschen Film musste ich mich mit der Materialitaet der Sprache als gesprochenes Wort versoehnen, denn Deutsch war eine merkwuerdige Sprache fuer mich. Es war ein Hindernis nicht nur fuer mein Verstaendnis, sondern auch in meiner Wuerdigung der deutschen Filme, die ich mir anschaute.

In deutschen Filmen fand ich das Feingefuehl und die Philosophie, die meine Vorstellung vom Kino als kuenstlerische Ausdrucksform und als politisches Engagement verstaerkte. Nachdem ich 1982 mein Filmstudium in Paris beendet hatte, reiste ich direkt zum Filmfestival nach Berlin, zur Berlinale. Zu dieser Zeit war Rainer Werner Fassbinder die mit Abstand gefeiertste Figur des deutschen Kinos, ja sogar des europaeischen Kinos. Sein Wettbewerbsbeitrag >Die Sehnsucht der Veronika Voss< wurde mit dem Goldenen Baeren fuer den besten Film ausgezeichnet. Seinem Status als Filmemacher bereits gewahr, beeindruckte er mich noch mehr, als ich ihn bei einem Presseinterview sah und ihm zuhoerte. Da war er - ein Gott direkt vor meinen Augen. Aber ich konnte ihn nicht verstehen als er sprach, denn natuerlich gab er seine Antworten auf Deutsch. Mir blieb nur die Uebersetzung. Ich erinnere mich, wie ich mir auf der Rueckseite des Festivalprogramms einige wichtige Ideen und Meinungen notierte, die er von sich gab. Seine Worte waren mir heilig, aber sie mussten ins Englische uebersetzt werden. Das war ein weiteres Ereignis, bei dem die deutsche Sprache ein Hindernis zwischen mir und der Aussenwelt war, an der ich teilhaben wollte. Ich konnte der deutschen Kultur und der durch sie repraesentierten Welt nur durch Uebersetzungen habhaft werden. Zugegebenermassen war dies eine frustrierende Erfahrung, aber ich musste damit leben. Meine grosse Faszination fuer das Neue Deutsche Kino brachte mich dazu, mich mit anderen Facetten der deutschen Kultur zu befassen. Ich begann einen Kurs in meiner Englischklasse zu besuchen, bei dem ich all meine deutschen Lieblingsautoren lesen konnte: Goethe, Franz Kafka, Thomas Mann, Nietzsche - allerdings alle nur auf Englisch. Mein Verlangen, die deutsche Kultur zu studieren, wurde zu einem schwierigen Kampf, aber dieser Umweg war der einzig machbare Kompromiss, der Welt naeher zu kommen, die mir die deutschen Filme eroeffnet hatten. Ich war zu arm, um Deutsch am Goethe-Institut oder an der Universitaet zu lernen. Die deutschen Woerter, die in meiner Erinnerung haften geblieben sind, bezeichnen die Qualitaet der Ideen, die mich am Deutschen so reizten: Weltanschauung, Angst, Zeitgeist, Uebermensch... Dies sind Woerter, die mir halfen, meine eigene Sichtweise und Meinung ueber Filme und das Leben zu entwickeln. Die 1980er waren die goldenen Jahre des Goethe-Instituts auf den Philippinen, aber nur, weil deutsche Kultur vorrangig mit Hilfe von Filmen praesentiert wurde. Ich war damals Student und arm; also musste ich arbeiten gehen, um mir die Schule leisten zu koennen. Da ich am Universitaetsfilmzentrum arbeitete, war ich in der perfekten Situation, Filmabende organisieren zu koennen. Ich borgte mir Filme vom Goethe-Institut aus und begann, diese den Studenten zu zeigen. Was ich in den Filmen sah, war die Symbolisierung und die Reflektion der Zeit, die wir auf den Philippinen durchlebten. Von den 1970ern an, als Marcos das Kriegsrecht verhaengte, war das Leben nur unter schwierigen Umstaenden zu fuehren. In dieser trostlosen Situation war es besonders interessant, die Verweise auf die deutsche Vergangenheit wahrzunehmen, die wir wiederum benutzten, um die Situation zu beschreiben, in der wir lebten. Die Armee hatte die Kontrolle uebernommen und die Militaertyrannei wurde mit der Naziherrschaft in Deutschland verglichen: Marcos war in etwa der Hitler unserer Generation. Aktivisten und Intellektuelle wurden ermordet - genauso wie die Widerstaendler in Deutschland, die gegen den Faschismus waren. Sogar Marcos’ Architektur wurde in ihrem Stil als faschistoid angesehen. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir Filipinos sahen eine zufaellige aber auch hinreichende Verbindung mit Deutschlands Geschichte. Im dunklen Auditorium des Goethe-Instituts suchte ich oft Zuflucht vor der Gewalt meiner eigenen Gesellschaft; dort wurde ich in eine andere Welt transportiert. Es war eine Welt gefuellt mit Kriegsschrecken und Neurosen, mit Angst und Verzweiflung. Ich erschrak vor der Irrationalitaet in >Das Kabinett des Dr. Caligari<, ich sah Repression in Fassbinders >Warum laeuft Herr R. Amok?<, die Homosexuellenbewegung in Rosa von Praunheims Filmen, Feministenkaempfe in von Trottas Werk sowie Absurditaet und Autoritarismus in den Filmen von Herzog. All diese Filme schienen die Hoffnungslosigkeit zu spiegeln, die meine Generation und die Filipinos im Allgemeinen durchlebten. Durch das Schauen dieser Filme, die losgeloest von meiner unmittelbaren politischen Geschichte und Realitaet waren und durch deren Anspielung auf die Diktatur, in der ich unter Marcos lebte, erkannte ich, wie man mit historischen Ereignissen umgeht, seine Lektionen aus ihnen lernt und einen Weg findet, um zu ueberleben. Die Filme gaben mir die Courage zu denken, denn sie liessen ein kritisches Bewusstsein in mir aufkommen, waehrend sie sich auf der Leinwand entfalteten. Dann folgte ein entscheidender Schritt in meiner Besessenheit mit der deutschen Filmkultur. Die von mir organisierten Filmabende wurden zu einer Reaktion auf die Politisierung der philippinischen Gesellschaft. Ich funktionierte sie um in ein Forum, auf dem Dozenten des Goethe-Instituts meinen Studenten alternative Filmformen wie den Experimental-, Dokumentar- und sogar Propagandafilm lehrten. Bald darauf arbeitete ich mit deutschen Filmemachern, Kuenstlern und Filmwissenschaftlern zusammen, die auf die Philippinien kamen, um ihre Visionen und Leidenschaften bezueglich des Kinos zu teilen. Ich erinnere mich ihrer Namen noch sehr genau: Werner Schroeter, Harun Farocki, Christoph Janetzko, Ingo Petzke, Maria Vedder, Haro Senft und viele mehr. Sogar der grosse Werner Herzog und Klaus Kinski kamen auf die Philippinen - als Gaeste der Kulturzarin Imelda Marcos. Als Schroeter auf den Philippinien war, half ich ihm, seine Dokumentation ueber das Leben waehrend des Marcos-Regimes zu filmen. Waehrend seines Aufenthalts hielt es das Goethe-Institut fuer angemessen, seine Filme zu zeigen. Die meisten seiner Werke enthielten Untertitel, nur sein wichtigster Film >Palermo oder Wolfsburg< wurde ohne Untertitel gezeigt. Natuerlich tobte er vor Wut, da die Organisatoren eine Filmkopie ohne englische Untertitel mitgebracht hatten. Schliesslich gab es keinen anderen Ausweg, als die englischen Untertitel vorzulesen waehrend der Film lief. Ich wurde beauftragt, die Untertitel vorzutragen, und weil ich etwas Deutsch konnte, war der Regisseur so freundlich, sich neben mich ans Mikro zu setzen. Schroeter war wegen seiner temperamentvollen Ausbrueche bestens bekannt, und so hatte ich Angst, er koennte Probleme verursachen. Aber das komplette Gegenteil war der Fall: Er half mir die richtige Zeile zum richtigen Zeitpunkt vorzulesen, so dass es mir moeglich war, den Zuschauern den Film verstaendlich zu machen. Nachdem alles vorueber war, hatte ich ein besseres Verstaendnis dafuer, wie abhaengig Filme - insbesondere erzaehlende Filme - von den Dialogen sind, um verstanden zu werden. Ich war froh, dass der Regisseur persoenlich anwesend war, um die Vorfuehrung verstaendlicher zu machen. Heute frage ich mich manchmal, wo mein Interesse fuer deutsche Filmkultur mich wohl hingefuehrt haette, wenn ich die deutsche Sprache erlernte haette... Jetzt, mit meinen 47 Jahren, ist es viel zu spaet, Deutsch zu lernen. Zudem ist nach dem Aelterwerden des Neuen Deutschen Kinos wenig uebrig geblieben, was mich an der deutschen Kultur derart fasziniert, um ein Studium der Sprache auf mich zu nehmen. Ich moechte lieber darauf zurueckschauen - mit Nostalgie -, dass ich einst eine Romanze mit der deutschen Kultur und der Sprache hatte.

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