Aufwachsen ohne TV

Seit etwa einem Jahr gibt es keinen Alltag mehr in meinem Leben: Reisen, Lesungen und Recherche, Stipendien [momentan in der Villa Aurora in Pacific Palisades], und Einladungen ins Ausland [Bahrain und China, Paris und Prag]. Bis September 2005 lebte ich in Kapstadt und arbeitete am >Weltensammler<, meinem neuen Buch, ganz nuechtern und diszipliniert, taeglich von acht in der Frueh bis fuenf am Nachmittag.

Gelegenheiten, Deutsch in Suedafrika zu benutzen, gab es viele: meine Partnerin, meine Freunde und zudem der intensive Austausch per Telefon und Email. Die Sprachsituation in Los Angeles, wo die Villa Aurora im Stadtteil Pacific Palisades liegt, sieht wie folgt aus: In meinem Kopf dominiert Deutsch, draussen Amerikanisch. Das Deutsche ist daher die mobile Heimat, besser geht es nicht.

Die Villa Aurora in Pacific Palisades, ehemalige Residenz von Lion und Marta Feuchtwanger, ist ein Kulturdenkmal des deutschen Exils in Kalifornien. Ich sehe mich selbst allerdings nicht in der Tradition [deutscher] Exilanten. Der Grund ist einfach: Ich bin kein Exilant – ich könnte ja jederzeit nach Bulgarien zurueckkehren. Ich sehe mich eher als ein Bastard.

Als Fluechtlingskind, dessen Familie in Deutschland Asyl erhalten hatte, kam ich zum ersten Mal mit der deutschen Sprache in Beruehrung. Zunaechst [1971] im Auffanglager in Zirndorf bei Nuernberg, und dann, fuenf Jahre spaeter, in einem Gymnasium in Essen, denn in der Zwischenzeit war ich in Kenia in einer englischsprachigen Schule und hatte Deutsch fast wieder verlernt.

Beim Erlernen der deutschen Sprache spielten nur Buecher eine Rolle – Radio und TV eigentlich gar nicht. Ich bin voellig ohne Fernsehen aufgewachsen, und als Student habe ich Fernsehen nur als einschlaeferndes Mittel benutzt, so dass man wohl behaupten kann, dass TV keinerlei Einfluss auf mich ausgeuebt hat.

Heute spielt das Internet eine wichtige Rolle in meinem Leben. Denn Zugang zum Internet finde ich fast ueberall. Ich kann die deutschen Medien auch in Bombay, Kapstadt und auf Reisen verfolgen. Internetseiten wie der Perlentaucher sind besonders hilfreich. Ich lese taeglich das Rundmail und entscheide dann, ob ich detaillierter reinschaue oder nicht. Wenn ich in Deutschland bin, kaufe ich manchmal die eine oder andere Zeitung, ansonsten lade ich mir die Artikel herunter, die mich interessieren.

Welche anderen deutschen Medien ich nutze? Lettre International und Le Monde Diplomatique, beide in ihren deutschsprachigen Fassungen. Ich lese natuerlich auch die Werke meiner Freunde und Bekannten in der Literaturszene, und jene Romane, die von der Welt, von den gewaltigen Umbruechen unserer Zeit erzaehlen. Keine Geduld habe ich mit dem zaghaften kleinen Blick auf die eigenen Fingernaegel.

Medien beeinflussen die Sprache auf sehr unterschiedliche Weise. Eine Verallgemeinerung ist daher schwierig. Manche Zeitungen sind sichtbar bemueht, eine modische und unsinnige Anglisierung der deutschen Sprache zu unterbinden, andere hingegen, vor allem Zeitschriften und natuerlich das TV, gehen gedankenloser damit um, und die Musik-Kanaele entsprechen in ihrem Jargon den linguistischen Jugendmoden, spiegeln und beeinflussen sie.

Meine persoenliche Haltung gegenueber der deutschen Sprache hat sich durch die zahlreichen virtuellen und physischen Reisen allerdings nur insofern geaendert, als dass ich mit zunehmender Erfahrung die Sprache besser beherrsche und durchdringe – unter jenem ZwischenWeltenSchreiben, von dem der deutsche Literaturwissenschaftler Ottmar Ette mit Blick auf >Literaturen ohne festen Wohnsitz< spricht, kann ich mir nichts vorstellen.

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