Auf einen Kaffee im Nirwana

“Als ich eines Tages mit tremolierender Stimme den Buddhismus ueberschwaenglich lobte, antwortete er mir: ‘Das Nirwana ja, aber nicht ohne Kaffee!'” Der Autor dieser Anekdote ist kein Oesterreicher [wie man das anhand des Titels glauben koennte], sondern ein rumaenischstaemmiger, auf Franzoesisch schreibender Philosoph namens Emil. M. Cioran.

Das Zitat las ich aber nicht in seinem Werk, sondern in dem aktuellsten Buch von Ilse Aichinger, in >Subtexte< [2006]. Mit diesem Band von essayistischen Erzaehlungen beeindruckte mich die oesterreichische Autorin zutiefst.

Nicht nur, weil sie mit Ciorans nihilistischer Philosophie etwas gaenzlich Fremdartiges und verrucht Balkanisches in ihrem Werk zu integrieren wagt. Was mich noch mehr beeindruckt, ist ihre unvergleichbare Vitalitaet und Spontaneitaet, mit der sie ihre Assoziationen zusammenknuepft. Mit ihren >Subtexten< macht uns die eben 86 Jahre alt gewordene Schriftstellerin klar, dass auch sie eine Philosophin ist. Denn: >Positiv denken ist das Gegenteil von Denken<, schreibt sie an einer Stelle. Oder: >Die Welt verlangt danach, gekontert zu werden…< – berichtet sie in einem Interview. Warum heissen ihre aktuellsten Texte Subtexte? Geht es der Autorin um ein intertextuelles Spiel mit integrierten Zitaten und Fragmenten oder steckt dahinter noch eine weitere literarische Intention? Nach einer naeheren Betrachtung der >Subtexte< wird auffallen, dass dieser Begriff bei Aichinger eine komplex- ere, vielschichtigere Bedeutung besitzt. In ihrem Text mit dem geheimnisvollen Titel >Die Dioskuren von Gumpendorf< liefert die Autorin selbst eine Art Definition von >Subtexte<. Wie der Schauspieler im Theater, kann jeder Mensch in seinem Leben einige oder mehrere Subtexte beziehungsweise Rollen mittragen, bestaetigt Aichinger.

Auch der bedienende Kellner im Cafe Jelinek hat einen >Subtext<, da er >seinen Job beherrscht, ohne in dieser Rolle aufzugehen, er wirkt unabhaengig, gelassen, smart, souveraen<. Nach der Definition von >Subtext<, bzw. Subtextlosigkeit kommt Aichinger auf ihre >unerlaessliche< Lektuere zurueck: >Cioran empfiehlt Mozart und Bach als Heilmittel gegen gewisse Grade der Verzweiflung<. Typisch Aichinger ist hier, dass sie dieses Zitat unvollstaendig laesst. Der Leser soll sich selbst darueber Gedanken machen, welche >gewissen Grade der Verzweiflung< gemeint sind. Unvergleichbar originell und bereichernd bleibt fuer den Leser aber die seltsame Mischung zwischen Orient [Ciorans Philosophie, Buddhismus] und Okzident [Aichinger, Sartres Philosophie, Antonio Gramsci und viele andere]. Und natuerlich auch die Forderung von Ciorans anonymen Freund: >Das Nirwana ja, aber nicht ohne Kaffee!<

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