Asiens Babylon

Bis 1966 habe ich in Leipzig Burmanistik studiert und 1978 auf diesem Gebiet promoviert. Seit ich das Land waehrend meines Zusatzstudiums 1967/68 naeher kennen lernen konnte, bin ich ihm verbunden und lehre derzeit mit Vergnuegen seine Sprache und Kultur an der Humboldt-Universitaet zu Berlin. Insbesondere fasziniert mich das Problem der kulturellen Identitaet, das in einem Land mit so vielen ethnischen Gruppen besondere Bedeutung und Brisanz besitzt.

Als Landesbezeichnung verwende ich Myanmar, denn es ist der eigene Name; >Burma< kam mit der Kolonialherrschaft. Seine Einfuehrung in den internationalen Gebrauch hat u.a. zu tun mit Abgrenzung gegen alte und neue Fremdherrschaft. Die Entscheidung fuer eine der Namensvarianten [Birma, Burma, Myanmar] als Bekenntnis fuer oder gegen die Militaerregierung zu interpretieren, lehne ich grundsaetzlich ab. Dass dieses Land in den Blickpunkt gesetzt wird, auch von der Berliner Gazette, finde ich gut. Nur sollte es objektiv geschehen und keine falschen Bilder projizieren, wie z.B. Opium als eine Art Hauptwirtschaftszweig in der Kolumne von Krystian Woznicki [Berliner Gazette, 17.11.2004]. Dass Gewinne fuehrender Leute im Rauschgiftgeschaeft - oft chinesischer Herkunft - einen Wirtschaftsfaktor darstellen, will ich nicht bestreiten. Aber ehe man hier den Stab bricht, sollte man sich die Umstaende naeher ansehen. Die Masse der Bevoelkerung jedenfalls hat mit diesem Geschaeft nichts zu tun. Die aus der Verkuerzung resultierende Unterstellung, fast jeder Bauer sei im Opiumgeschaeft taetig, tut der auf Reis- und anderen Feldern schwer arbeitenden Bauernschaft Unrecht. Die Opium anbauenden Bergbauern selbst fristen mit dem Erloes ihr Dasein; die Gewinne wachsen mit der Entfernung vom Produktionsort. Zur Problematik: Eine Grundvoraussetzung fuer das Zusammenleben diverser Voelker in einem Staatsgefuege ist die Verstaendigung. In Myanmar ist sie erschwert, ethnisch-politische Konflikte erschuettern das Land, seit es im Januar 1948 die Unabhaengigkeit erlangte. Zu den Ursachen gehoert zugleich mit dem schweren Erbe chronischer Entwicklungsrueckstaende in den Berggebieten das tiefe gegenseitige Misstrauen, das waehrend der Kolonialzeit seine starke und dauerhafte Auspraegung erhielt. Bamar bilden mehr als zwei Drittel der Einwohner, weitere mindestens zehn Prozent sind verwandten tibeto-burmanischen Ursprungs. So ist es natuerlich, dass Myanmar mit Erlangung der Unabhaengigkeit zur einzigen nationalen Verkehrssprache erhoben wurde, waehrend in der Kolonialzeit Englisch und Hindustani den Vorrang genossen. Myanmar ist auch die einzige zugelassene Unterrichtssprache - wie Thai in Thailand. Im Rahmen der seit 1989 geschlossenen Waffenstillstaende mit ethnischen Gruppen gibt es neue Entwicklungen: So unterhaelt z.B. die New Mon State Party nationale Schulen im Mon-Unionsstaat, in denen Mon die Unterrichtssprache ist und unterrichtet wird. Ansonsten gilt im Interesse des weiteren Bildungsgangs der Schueler der staatliche Lehrplan. Unterdrueckt werden Sprachen und Kulturen der ethnischen Minderheiten nicht. Sie koennen privat oder auch organisiert gepflegt werden. Wie ich bei den Shan, Pa-O, Kayin, Mon u.a. beobachten konnte, geschieht dies mit grossem Erfolg. Als Verkehrssprache ist Myanmar allgemein anerkannt. Gut funktioniert das dort, wo sie eine Notwendigkeit ist, weil Menschen verschiedener ethnischer Zugehoerigkeit zusammenleben, besonders in Staedten, aber auch in laendlichen Gegenden mit gemischter Bevoelkerung, und das ist in weiten Landstrichen Myanmars der Fall. In ethnisch homogenen Doerfern von Minderheiten mit geringem Kontakt zu Bamar, wenig Schulen und noch weniger Anreiz, sie zu besuchen, allerdings ist die Beherrschung von Myanmar oft noch gering. Dort tritt eher die Sprache der regional vorherrschenden Minderheit als Lingua franca auf [z.B. Shan im Shan-Staat, Jinghpaw im Kachin-Staat]. Die Durchsetzung von Myanmar als nationale Sprache steht in engem Zusammenhang mit der Alphabetisierung, zumal viele kleine ethnische Gruppen keine eigene Schrift haben. Gegenwaertig wird ein durchschnittlicher Alphabetisierungsgrad von ca. 85 Prozent angegeben. Das beruecksichtigt nicht die funktionellen Analphabeten nach fruehem Abbruch des Schulbesuchs und das hochgradige Analphabetentum in den laendlichen Gebieten der Bergregionen. Ein Schwerpunkt der Entwicklungsprogramme fuer entlegene Gebiete ist der Ausbau des Schulwesens. Seine Realisierung wird derzeit durch Mittelknappheit, Mangel an geeigneten Lehrern, Armut der oertlichen Bevoelkerung u.a. Faktoren erschwert. Sprache und Bildung sind Vehikel zur nationalen Integration, und diese wiederum ist - zusammen mit ihnen - eine wesentliche Voraussetzung fuer die sozio-politische Entwicklung. Gefuehrt von einem Zentrum, ist die Integration zugleich meist mehr oder minder stark mit Assimilierung verbunden, indem die vermittelten Inhalte von der dominierenden ethnischen Mehrheit bestimmt werden. Fuer alle drei Aspekte ist Thailand ein lebendiges Beispiel. Nichts anderes als das, was dort so erfolgreich praktiziert wurde, ist das Unionsbewusstsein, das seit Mitte der 1940er Jahre in Myanmar angestrebt wird - unter bamarischen Fuehrung, so wie Massstab der thailaendischen Integration Bangkok war und ist. Die Identitaet der Minoritaeten geraet vor allem dann in Konflikt mit diesem Streben, wenn ihre Wahrung auf Abgrenzung hinauslaeuft. Das ist bei der Interessenlage der ethnischen Eliten nicht selten der Fall. Wenn auch die historischen, oekonomischen, ethnischen, geographischen Bedingungen erheblich anders sind als in Thailand, bin ich ueberzeugt, dass die Durchsetzung von Myanmar als nationale Sprache wichtig ist fuer die Herausbildung demokratischer Verhaeltnisse. Gegenseitige Unkenntnis hat sich als Naehrboden fuer Vorbehalte erwiesen. Wissen, vermittelt auch durch Kontakte, dagegen als wichtiger Motor fuer zivilgesellschaftliche Entwicklungen, die m.E. vor allem Demokratie ausmachen. In dieser Hinsicht gibt es sowohl bei der Regierung als auch bei den Organisationen der Ethnien und der bamarischen Demokratiebewegung noch viel zu tun! Mit Wahlen allein ist wenig erreicht, wie internationale Erfahrungen zeigen. Bruecken - im direkten und uebertragenen Sinne - sind wichtig fuer das Bewusstsein von Zusammengehoerigkeit. Die Sprache ist eine davon, eine andere die gegenseitige Akzeptanz als gleichwertige Mitglieder der Gemeinschaft. Ansaetze dazu gibt es. Um verbreiteten Vorurteilen und Klischees zu entgehen, sollte man sich vielseitig informieren. Am besten waere der eigene Augenschein. Moeglich ist das.

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