Aquatische Sehnsucht

Ich weiss nicht mehr, wann ich das erste Mal vor einem Aquarium stand. Keiner meiner Verwandten oder Freunde besass ein solches Fischbehaeltnis. Ich selbst habe mich nie sonderlich fuer Tiere interessiert. Ich erinnere mich allerdings an die ganz besondere Faszination, die von den so genannten >Urzeitkrebsen< ausging, die man manchmal als Gimmick in den Yps-Heften kaufen konnte.

Damals muss ich so ungefaehr zehn Jahre alt gewesen sein. Die Vorstellung, aus getrockneter Materie, >SM Pulver< genannt, im Wasser Leben zu generieren, fand ich toll. Nicht zuletzt die Illustrationen, die den Werbetext dieser >lustigen Wasserclowns< begleitete, hatten es mir angetan: Hier sollten nicht einfach irgendwelche Krebse entstehen, sondern >Maennchen, Weibchen und BabiesWunder der Natur< bei mir zu Hause zu beobachten. Leider ist es mir nie gelungen, lebende Tierchen zu produzieren. Besonders fantasieanregend war fuer mich damals auch der Name dieses Gimmicks: >Urzeitkrebse<, das klang nach etwas unvorstellbar Altem, nach einer tieferen Dimension von Leben, die nichts gemein hatte mit dem alltaeglichen Dasein der Menschen um mich herum. In gewisser Weise hat mich an den Urzeitkrebsen also genau das fasziniert, was wohl auch fuer viele Menschen den Reiz der Aquarien ausmacht: der Einblick in eine fremde Welt, die jedoch nicht fern von der unsrigen existiert, sondern einen grossen Teil derselben ausmacht. Und die eigenartige Mischung aus Naehe und Ferne, die diese aquatische Welt uns terrestrischen Beobachtern vermittelt: Die Yps-Illustrationen suggerierten mir, das Leben im Wasser funktioniere nach den gleichen Regeln und in denselben Kategorien, die mir aus meinem Leben bekannt waren; dennoch war sie irgendwie anders, aelter und geheimnisvoller. Ich kann es daher recht gut nachvollziehen, warum Menschen gerne in oeffentliche Aquarien gehen, um sich dieses Schauspiel anzusehen. Mein wissenschaftliches Interesse jedoch gilt eher denjenigen, die sich einen solchen glaesernen Schaukasten in ihr Wohnzimmer stellen. Warum sucht man sich Fische als Haustiere aus? Gerade die Verhaltensweisen, wegen derer man sich ein Haustier zulegt, legen sie nicht an den Tag: Sie sind stumm und lassen sich nicht anfassen; die Gegenwart ihrer Besitzer erkennen sie lediglich bei der Fuetterung an. Kein Schwanzwedeln, Schnurren oder aehnliches aus dem Fischbassin. Welche Wuensche und Sehnsuechte sind also daran geknuepft, sich einen >Salonozean< in die gute Stube zu holen? Und wann begannen die Menschen eigentlich mit diesem wunderlichen Verhalten? Dieser Frage bin ich in meiner Forschung nachgegangen. Mich haben dabei vor allem der Entstehungskontext im 19. Jahrhundert interessiert und moegliche Zusammenhaenge mit einer sich rasch veraendernden Lebenswelt. Der Buerger, der sich die Unterwasserwelt zur Betrachtung im Eigenheim installiert, war draussen vor seiner Wohnungstuer einer bis dato ungeahnten Geschwindigkeit, der sich rasch beschleunigenden Bewegung von Waren und Menschen ausgesetzt. Sollte das Aquarium eine Moeglichkeit bieten, sich von diesem Stress zu erholen? Vielleicht liegt ja im Element des Wassers, das jegliche Bewegung verlangsamt, ein Beruhigungspotential. Es mag auch eine unbewusste Sehnsucht nach dem eigenen Ursprung im Mutterleib eine Rolle spielen. Dank der recht geringen Geraeuschkulisse werden zudem nicht alle Sinne des Betrachters in gleicher Weise beansprucht; eine Reduktion, die in einer Welt der staendigen Beschallung etwas Friedliches an sich haben kann. Doch trotz der Unterschiede zwischen Wasser und Erde scheint es ein Verlangen der Aquarienbauer zu geben, die kleine aquatische Miniaturwelt der terrestrischen Lebenswelt anzugleichen, innerhalb derer sie sich befindet. So >moeblieren< die Aquarienbesitzer die Heimstatt ihrer Fische und erschaffen ihnen so Raeume, die eher mehr ueber die Sehnsuechte der Bauenden aussagen als ueber die Beduerfnisse der Wassertiere. Mein persoenliches Interesse an den Aquarien ist also vor allem ein Interesse an Erscheinungen, die man gemeinhin mit der Moderne in Verbindung bringt, mit der Beschleunigung der Lebenswelt und dem aufsteigenden Buergertum. In gewisser Weise lebt diese moderne Form des Aquariums weiter - aehnlich wie Briefmarkensammler und Kaninchenzuechter finden sich Aquaristen zu Vereinen zusammen und besprechen die neuesten technischen Entwicklungen, tauschen Erfahrungen in Bezug auf bestimmte Spezies aus und versuchen - jeder auf seine Weise -, das schoenste Aquarium von allen zu beherbergen. Aber es werden immer weniger - oder zumindest scheint es mir so. Und vielleicht ist es das Verschwinden eines bestimmten Weltverstaendnisses, das mich besonders reizt. Zugleich denke ich nicht, dass mit den Heimaquarien eine Bastion des Widerstandes gegen die allgemeine Beschleunigung verschwindet und man gar dieser nachtrauern muesste. Vielmehr ist mein Verstaendnis von stehenden Gewaessern und fliessenden Stroemen dialektisch: Das eine gibt es nicht ohne das andere. Das Aquarium in seinen vielfaeltigen Auspraegungen ist ein Produkt des 19. Jahrhunderts und antwortet als solches auf Beduerfnisse, die sich aus damaligen Entwicklungen speisen. Manche dieser Veraenderungen sind immer noch praesent, und somit scheint das Aquarium auch heute noch eine Daseinsberechtigung zu haben.

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