Alles fließt

Letzten Samstag wurde der Katastrophenalarm fuer meine Region, die Prignitz, aufgehoben. Nach drei Wochen aus Stress, Angst und Nervositaet ist hier wieder etwas Ruhe eingekehrt. Wir hatten mehr Glueck als die Menschen in Sachsen und – so schrecklich es auch klingen mag – wir profitierten von den vielen Deichbruechen in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Die Elbe fliesst hier durch den Ort Wittenberge, der ungefaehr vierzig Kilometer von meinem Heimatdorf entfernt ist. Ich selbst musste also keine Angst haben weggespuelt zu werden, doch ein paar Kilometer weiter sah das ganz anders aus.

Fuer die ganze Region war in den letzten Wochen der Katastrophenalarm ausgerufen worden. Pritzwalk, in dieser Stadt ist meine Schule, war, genau wie alle anderen Orte in der Umgebung, im Ausnahmezustand. Riesige Fahrzeugkolonnen von der Bundeswehr, dem THW oder der Feuerwehr schlaengelten sich durch unsere schmalen Strassen und errichteten sich ihre Lager auf freien Feldern. Staendig hoerte man die Hubschrauber der Bundeswehr durch die Luft fliegen, die die Sandmassen transportierten. Dieser Sand wurde dringend benoetigt, denn die Deiche der Elbe waren alles andere als hochwassersicher und mussten daher durch Sandsaecke befestigt werden. An einem unbeschwerten Sonntagnachmittag, einen Tag vor Schulbeginn um genau zu sein, kam uns, sprich meinen Freunden und mir, in den Sinn, dass wir das auch tun koennten – Sandsaecke schippen.

Wir hatten staendig dieses Gefuehl, dass nur spenden nicht genug sei, angesichts dieser Bedrohung. Also machten wir uns zu sechst auf den Weg in die Naehe von Wittenberge, denn dort mangelte es noch an freiwilligen Helfern. Wenn im Fernsehen, dieses Gefuehl der Solidaritaet so pathetisch beschrieben wird, hat man oft das Gefuehl, dass das total uebertrieben wird. Und so sind in unserer Clique die Zyniker eigentlich in der Ueberzahl. Doch selbst die waren letztlich davon ueberzeugt, dass unser Einsatz eine gute Sache war.

Die Leute vor Ort haben sich gefreut, dass wir da waren, alle wurden versorgt und es war wirklich irgendwie schoen. So schoen, dass wir eine solche Aktion auch in der Schule vorschlugen. Unser Direktor war so auf Zack, dass unsere ganze Oberstufe am naechsten Tag in Bussen sass, die uns ins Hochwassergebiet brachten. Die evakuierten Doerfer zu sehen war schockierend, denn erst da wurde uns bewusst, dass fuer einige Menschen sehr viel auf dem Spiel steht. Was fuer uns eine Schoenwetter-Ausfahrt war, war fuer sie bitterer Ernst.

Nach getaner, schweisstreibender Arbeit durften wir dann auch noch direkt zum Deich fahren. Das war das Beeindruckendste. Die vorgesehenen Ueberschwemmungsgebiete waren vollkommen ueberflutet und die Elbe glich einem endlosen Ozean. Die Feuerwehrmaenner zeigten uns, wo noch Baumkronen aus diesem >Meer< ragten. Es war wirklich ein seltsames Gefuehl, als die Sonne an diesem unnatuerlichen Horizont langsam verschwand. Man traute sich nicht, es schoen zu finden, auch wenn es das war. Es war Natur und es war gewaltig. Fuer mich hatte das alles ganz unspektakulaer angefangen. Ich kam Mitte August aus Italien zurueck. Von Ueberschwemmungen hatte ich nichts mitbekommen, obwohl Oesterreich und Teile Bayerns schon unter Wasser standen. Ich verstand nicht, warum Freunde und Familie in heller Aufregung waren, als ich zurueckkam und alle nur meinten: >Gott sei Dank, dass Du heil zurueckgekommen bist!<. Da musste ich mich erst einmal ueber die ganze Situation aufklaeren lassen. Es war schockierend, so wenig mitbekommen und nichtsahnend das sonnige Rom verlassen zu haben, dessen Altstadt einen Tag nach meiner Abfahrt ebenfalls unter Wasser stand...

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