Abenteuer auf wirren Lesekontinenten

Wenn ich die gruen-schwarz-gescheckte Glastuer zu dem schwimmhallenaehnlichen Gebaeude oeffnete, wurde ich sofort von diesem Geruch empfangen: Buecher. Vermutlich roch es nur nach ranzigem Teppich, dem heimlichen Klo-Zigarettenqualm der Bibliothekarinnen und anderen olfaktorischen Ungereimtheiten einer oeffentlichen Bibliothek. Doch wie bei Pawlows Hund loeste dieser Geruch bei mir einen Reflex aus. Ich wusste: Hier wird mein Lesehunger gesaettigt. Meine Ausfluege in die Bibliothek waren ein Ritual. Zunaechst blaetterte ich wichtigtuerisch in der NdL, dann verzog ich mich in die Geschichtsabteilung und knabberte an ein paar Nazi-Schinken. Und schliesslich war die Belletristik dran.

Ich hatte den hehren Wunsch, mir die ganze Welt der Romane zu erschliessen. Was mir bei dem kleinen Bestand auch nicht allzu utopisch vorkam. Aber wo anfangen? Einfach bei A und dann weiter bis Z? Langweilig. Ich hatte mir ein anderes System ausgedacht: Wie jemand der einen Pfeil auf einen rotierenden Globus wirft, um herauszufinden, wo die naechste Reise hingehen soll, liess ich meine Hand ueber’s Regal streichen – die Augen hatte ich geschlossen. Beim Inneren Stopp-Ruf hielt ich an und fischte das erwaehlte Buch heraus. Da zwischen Schund und Schoengeistigem nicht so strikt getrennt wurde, kam es dazu, dass mir sowohl Thomas Mann, als auch Jackie Collins in die Haende fielen.

In meinem Kopf entstand ein eigenwuerdiger Lesekontinent, der durchzogen war von bizarren Routen. Die israelische Wueste eines Agententhrillers lag direkt neben dem Haus der Buddenbrooks und ein Stueckchen weiter verhungerte ein Penner im Central Park. Leider liess sich diese Erschliessungs- methode nicht ewig aufrechterhalten. Spaetestens im Deutsch-Leistungskurs war Schluss mit lustig. Von da an wurden Buecher nicht gelesen, weil sie Buecher waren, sondern Namen hatten. In vielen Deutschstunden traeumte ich mich einfach zurueck auf meinen wirren Kontinent und unternahm noch ein paar letzte Abenteuerreisen.

Ein Kommentar zu “Abenteuer auf wirren Lesekontinenten

  1. schöne geschichte, man geht da mit, auf weltreise und sieht eine welt entstehen, am ende fragt man sich allerdings: und dann, wie geht es weiter nach deutschkurs? bzw. warum letzte reisen?

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