Ist Deutschland ein sprachgestoertes Kind?

>Nur Kinder, die einen Deutschtest bestehen, sollen eingeschult werden. Mit mangelhaften Deutschkenntnissen kann man in Bayern also nur noch Ministerpraesident werden.<Harald Schmidts Einsicht scheint einleuchtend. Doch worum geht es wirklich in der Debatte um die Einfuehrung des Deutschtests fuer Kinder? Bundeskanzlerin Merkel: Bereits in der Kindheit entscheide sich die Faehigkeit zum Lernen, zur Leistung und zur Einhaltung geregelter Tagesablaeufe. >Wenn in zweiter Generation – nicht nur in auslaendischen Familien – Kinder keine solide Ausbildung mehr machen, bleiben sie doch von jeder Entwicklung ausgeschlossen.< Durchatmen und zurueckblicken: Die Pruefung >Zertifikat Deutsch Plus< wurde im Jahre 2000 entwickelt. Anfangs lag der Fokus auf Migrantenkindern. Doch schon nach den ersten Sprachtests hiess es: >Auch deutsche Kinder scheitern. 45% fallen durch.< Die Ergebnisse riefen Kritiker auf den Plan. Rosemarie Straub etwa meinte: >Das Vorgehen fusst auf Ausgrenzung und Selektion kuenftiger Schulanfaenger und steht damit im Widerspruch zum Schulgesetz. Hier ist explizit der Verzicht auf einen Test vorgesehen, der >Grundschulfaehigkeit< prueft. Dahinter steht die Einsicht, dass die Schule sich auf alle Kinder in ihren sehr unterschiedlichen Voraussetzungen und Erfahrungen einzustellen hat. Das Recht auf Bildung im Verstaendnis von Chancengleichheit bedeutet Verzicht auf jede Form der Selektion.< Nun sagt Bundesarbeitsminister Muentefering ganz aktuell: Wer sprachlich noch nicht so weit sei, solle zu einem Foerderkurs verpflichtet werden. Sogar Teile der Kindergartenzeit sollten von den Gebuehren befreit werden, um Sozialschwaecheren im Vorschulbereich bessere Bildungsmoeglichkeiten zu geben. Straubs Einwand bleibt dennoch virulent: Es scheint als sei der Staat nicht in der Lage, sich auf eine zunehmend komplexere Gesellschaft einzustellen. Als wollte er den Traum einer >integrierten Gesellschaft< auf Biegen und Brechen am Leben erhalten. Und wie ich schon an so vielen an anderen Stellen feststellen musste: Kinder dienen in solchen Situationen als favorisierte Projektionsflaeche. Sie erlaubt die Zuspitzung und Dramatisierung der Lage. In diesem Zusammenhang geht es um Entwicklung: Kinder gleich BRD. Das Ganze wirkt allerdings jetzt schon wie eine selbsterfuellende Prophezeiung. Nochmals Straub: >Kinder blocken und sperren sich angesichts der Rechthaberei, nicht selten funktionalisieren sie dann Sprache als Mittel der bewussten Selbstausgrenzung.< Deshalb meine Frage: Leben >wir< nicht bereits heute in einem Land, welches - bedraengten Kindern gleich - einfach dicht macht?

2 Kommentare zu “Ist Deutschland ein sprachgestoertes Kind?

  1. Um auf Deine letzte Frage zu antworten: Ich glaube nicht. Das ist viel zu schwarzmalerisch. Ich stimme zu, dass Kinder gern instrumentalisiert werden, um Probleme wirklich dringlich erscheinen zu lassen. Aber ich sehe dieses Problem wirklich. Für mich hat es nicht soviel mit Sprache und Sprachkompetenz zu tun, sondern vielmehr mit dem Recht auf Bildung. In kaum einem anderen westlichen Land bestimmt die soziale Herkunft noch immer so sehr die Zukunft eines Menschen. Die Unfähigkeit von Kindern, vernünftig Deutsch oder überhaupt irgendeine Sprache zu sprechen , ist doch nur EIN Anzeichen der widrigen Umstände, in denen wir uns befinden. Deutschland ist kein sprachgestörtes, sondern ein verwöhntes Kind. Es ist ein Land, in dem Einige viel haben und nichts abgeben wollen. Und es ist ein Land, in dem alle, denen der Zugang zur Bildung verwehrt wird auch die Sprache genommen wird. Deshalb: Lasst die Kinder eine Sprache lernen, ob Deutscht, Türkisch, Arabisch, Französisch. Das ist scheissegal. Hauptsache, man kann sich ausdrücken.

  2. Ich halte die Absicht, die Kenntnisse der gemeinsamen Sprache eines Landes auf breiter Front zu foerdern, grundsaetzlich fuer richtig, solange die Wahl der Mittel dabei nicht zum Ausschluss fuehrt. Von daher scheinen mir die beschriebenen bayerischen Massnahmen ueber’s Ziel hinauszuschiessen. Aus meiner (derzeitigen) US-amerikanischen Perspektive, wo die Herkunft und die finanzielle Ausstattung noch viel mehr die Bildungschancen bestimmt, als in Deutschland (ich weiss nicht, ob das in Studien belegt wird oder nicht, bin mir aber mittlerweile sicher, dass es so ist. Die einzigen die aus diesem Schema etwas ausbrechen, sind asiatische Einwanderer) kommt mir die deutsche Gesellschaft nicht so ungleich vor, wie es aus einer europaeischen Perspektive wahrscheinlich der Fall waere. In den USA koexistieren bekanntermassen eine Vielzahl von voellig getrennten Parallelgesellschaften, deren Leben haeufig komplett ohne Englischkenntnisse auskommt. Allerdings entstehen Nicht-Englischsprachlern dabei jede Menge Nachteile und sie sind von vielen Moeglichkeiten, die anderen offen stehen, ausgeschlossen. Von daher, Foerderung der deutschen Sprache: so gut es geht.
    Ausschlusskriterien (a la Einschulungstest): Nein!

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