Gehirnfrei durch die Globalisierung

Nun hat das Thema also auch Deutschlands groesstes Wochenmagazin erreicht: den Spiegel. Titelstory dieser Woche: Rettet dem Deutsch! Es geht hier um die deutsche Sprache, besser gesagt um deren Verlotterung, wie es das Deckblatt des Blattes reisserisch ankuendigt. Der Verfasser, Mathias Schreiber, malt ein Horrorszenario, wonach die deutsche Sprache noch im Verlauf dieses Jahrhunderts aussterben koennte. Und es geht hier immerhin um die Sprache von, Zitat Schreiber, Luther, Kant, Goethe, Kleist, Bismarck, Daimler, Werner von Siemens, Kafka, Rilke, Einstein, Brecht, Thomas Mann und Grass. Zitat Ende. Was soll der Scheiss?

Ist Deutsch vornehmlich Maennersprache [gewesen]? Und ueberhaupt nur deshalb unter Artenschutz zu stellen, weil sie von ein paar Wissenschaftlern und Schriftstellern benutzt wurde? Schreiber nimmt in der Diskussion um die deutsche Sprache genau jene Binnenperspektive ein, die dem Deutschen viel mehr schadet, als irgendwelche Einfluesse von Aussen es je koennten. Er sieht, ganz der deutsche Buchhalter, ein Missverhaeltnis von Import und Export von Woertern. Und fuehrt an, dass die Englaender aus dem Deutschen ja nur Woerter wie Bratwurst uebernaehmen, waehrend die Deutschen ja nun mehr als uebereifrig seien mit dem Einfuehren von Anglizismen.

Aber er sollte seine Buchhaltung mal den neuen Verhaeltnissen von Import und Export anpassen. Laengst ist alles nicht mehr so uebersichtlich, wie in Zeiten als Deutschland als Kulturnation und spaeterer Exportweltmeister sein Selbstwertgefuehl aufbauen konnte – hierbei stimmen mir uebrigens auch andere Redakteure der Berliner Gazette zu. Schreiber ist darueber hinaus ein Grammatikwaechter erster Guete. Fuer ihn kommt Jugendsprache mit ihren Wortneuschoepfungen, Abkuerzungen und Denglisch-Floskeln dem Hirntot gleich. Zitat Schreiber: Popmusik flasht oft gehirnfrei durch die Sprache. Zitat Ende. Doch aus seiner Bauchnabelperspektive kann er vielleicht gerade mal eine Beobachtung beschreiben; erklaeren und verstehen helfen kann er die Entwicklungen der deutschen Sprache aus seiner Perspektive nicht.

Warum nicht mal fragen, welchen Einfluss das Deutsche in der Welt hat? Warum nicht mal gucken, wo es Deutsch ueberall gibt? Warum nicht mal die Ruecklaeufe aus dieser Expansion in Betracht ziehen geschweige denn als Bereicherung ansehen? Sprache ist kein starres Gefuege, sondern ein offenes System. Alles in allem koennen wir Schreiber dankbar sein: Sein Leitartikel im Spiegel bietet mir Anlass, auf das Berliner Gazette-Projekt McDeutsch hinzuweisen. Und was fuer ein Timing: Tag der deutschen Einheit. Und der Relaunch der Berliner Gazette Website steht. Das neue Design ermoeglicht einen guten Ueberblick ueber die zahlreichen Beitraege, die bislang zusammengetragen werden konnten. Mein Tipp: Einfach lesen und sich inspirieren lassen.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.