Konzert keiner Band: 1982, der Zauber von Fraktus

Jede Band ist eine Erfindung. Die Vergangenheit ist ein Produkt der Fantasie. Bis eines Tages alles eine Bühne bekommt. Berliner Gazette-Autor Alexander Krex berichtet von einer Begegnung der dritten Art.

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Alles wie bei einem echten Konzert: Bühne, Vorband, Merchandising. Es gibt Poster und schwarze Muskelshirts mit aufgedruckten Bandnamen, ein paar Typen im Publikum haben schon eins an. Im Festsaal Kreuzberg spielt eine Band, die es gar nicht gibt, und der Laden ist ausverkauft.

Es geht los. Auf einmal stehen drei Vollidioten in Overalls auf der Bühne, tragen mit blinkenden LEDs besetzte Schweißmasken und bewegen sich kantig, wie Roboter. Der links klingt wegen des Verzerrers wie ein Alien, mit einer einzigen Bewegung spielt er die Drums, Mimik ist natürlich verboten. Der in der Mitte singt und redet ab und zu mit den Leuten vor der Bühne. Der rechts ist mit weißer Strickmütze und Querflöte eine fatale Symbiose aus DJ Ötzi und Jethro Tull. Die Beats sind NDW-mäßig, das heißt unterkomplex, die Texte saublöd bis zutiefst literarisch (Affe sucht Liebe / Affe sucht Halt / Sonst Affe tot).

Es braucht ein paar Songs bis sich der Effekt einstellt: Verdammt nochmal, genauso hätte es sein können, damals, 1982. Wer sich darauf einlässt, erlebt hier und heute ohne Drogen ein Konzert von vor 30 Jahren. Eine doppelte Täuschung. Die Band heißt Fraktus, doch es gibt sie nicht wirklich. Ihr Auftritt ist genau genommen nur eine PR-Sause für einen Film, der ebenfalls Fraktus heißt und heute in die Kinos kommt.

Eine Mockumentary, also eine Fake-Dokumentation, die eine Wahrheit erzählt, die keine ist. Es ist die Geschichte einer stilprägenden Underground-Band, die nur ein Album lang existierte, aber große Musiker inspirierte. Diese Musiker gibt es wirklich, im Film spielen sie sich selbst – aber sie spielen. Jan Delay, HP Baxter oder Blixa Bargeld, haben sich vor die Kamera begeben und erzählt. Ohne Fraktus wären sie nie geworden, wer sie heute sind.

Im Kreuzberg von 2012 spielen Fraktus gerade ihren Megahit All die armen Menschen, der Beat knallt. Irgendwann sagt der in der Mitte seinen Text auf: In Gütersloh, Paderborn, Wuppertal, Oldenburg – da überall leben Menschen. Warum sind die da? All die armen Menschen. Bevor das Lied zu Ende ist, werden viele bundesrepublikanische Kleinstädte aufgezählt, Erlangen kommt nicht vor, was kein Zufall ist. Klar, dass das Fraktus-Repertoire sich an realen NDW-Hits abarbeitet.

Fraktus ist also nur eine Erfindung, die drei Vollidioten sind die Künstlergruppe Studio Braun. Weil aber jede Band eine Erfindung ist, wenn man kurz darüber nachdenkt, spielt das keine Rolle. Auch dem Publikum im Festsaal ist es völlig egal: Es applaudiert, grölt, singt mit („oh, oh, eh, oho“), will unbedingt eine Zugabe hören. Eigentlich genau wie früher, 1982. Oder wie man sich das legendäre Musikjahr halt so vorstellt.

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