17 Stunden Webdesign: Einige Dinge kann man messen, um sie zu werten, andere muss man erfahren

Wie war das Leben des Webdesigners als es noch D-Mark gab? Künstlerin und Berliner Gazette-Autorin Penelope Grabowski inszeniert das Szenario in 17 Stunden zwischen HTML-Tabellen und Freunden, die vorbeikommen, um ins Internet eintreten zu dürfen.

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10.30 Uhr: Das Telefon klingelt, ein Freund: „Hey, kannst Du mir nicht helfen, Fotos von meiner Bassgitarre bei Ebay ins Netz zu stellen?“ Ulf (mein Chef) kommt vom Kiosk zurück und erzählt, er habe gerade die Queen beim Kippenkaufen getroffen. Es ist ein Trugschluss, zu denken, am Hackeschen Markt treffe man Multimediaschaffende auf der Straße. Die sind offensichtlich im Internet oder eben auf der Schönhauser Allee…

12.00 Uhr: Uta ruft an. Sie hat Probleme mit ihrem Rechner. Nachdem sie vergeblich versucht, Ulf zu überreden, ihren Rechner zu verarzten, entschließt sie sich dazu, vorbeizukommen und ihre Diplomarbeit an einem unserer Rechner auf eine CD-Rom zu brennen. Das bringt immerhin 20 Mark für die Kaffeekasse. Währenddessen bekommen wir Besuch von Frank Benz, der außer ein paar Schlägen keine Aufmerksamkeit von Ulf bekommt. Es klingelt wieder an der Tür. Meike kommt vorbei um Loveletters via Email von ihrem Verlobten aus New York zu checken. Man merkt, dass es um die Mittagszeit ist: Der Besuch mehrt sich merklich und die Freunde setzen sich an unseren Konferenztisch. Außer der Bitte, einen Kaffee zu machen, mische ich mich nicht in das bunte Treiben ein – bin gerade vertieft in eine HTML-Tabelle und versuche, diese auszutricksen.

13.30 Uhr: Ein Anruf, es ist wieder S.H.: „Du hattest Recht mit Deinen Bedenken wegen der Hintergrundfarbe, die vorherige war doch schöner. Die Seite sollte doch lieber schokobraun sein. Dann hätte ich gerne noch ein paar mehr Links.“ Am Ende kommt die unausweichliche Frage, ob man nicht doch aus der Seite eine „Dreifaltigkeit“ machen könne… Hitze steigt in mir hoch, bald beginnen meine Ohren zu rauschen, und mein Gesicht nimmt wohl einen schmerzlichen Ausdruck an. Denn ich bemerke: Ulf guckt mich sorgenvoll an. Ich winke aber ab, atme tief durch, reiße mich zusammen und schnurre honigsüß ins Telefon: Kein Problem! Kann ich machen, kostet aber extra und wird vor heute Abend nicht fertig.

Webdesigner mit Feuerwehrhelm und Blaulicht

14.00 Uhr: Anfrage eines Kunden, ob wir eine Konferenz live ins Internet streamen können. Obwohl wir das in unserem Programm offiziell nicht anbieten, erweitern wir unser Portfolio um eine weitere Dienstleistung, was das Definieren unseres Firmenprofils wieder etwas schwieriger macht.

14.30 Uhr: Auftrag für Ulf kommt rein. Das Hotel braucht einen Administrator. Unser Rechtsanwalt kommt vorbei. Er ist mit seinem Office in die Nachbarschaft gezogen und möchte jetzt auch ins Internet. Ulf kommt unerwartet schnell zurück und erzählt, das Problem im Hotel sei ein Stecker gewesen, der nicht in der Steckdose steckte… Eine alte Klassenkameradin ruft mich an, sie strippt und chattet jetzt im Internet „für’n Zwanni schwarz die Stunde“. Wieder das Hotel. Dieses Mal ist es anscheinend wirklich ein ernsthaftes Problem. Ulf setzt seinen Feuerwehrhelm auf und fährt mit Blaulicht ein weiteres Mal nach Charlottenburg.

16.00 Uhr: Die Audiofiles sitzen! Zwinge mich zu einer Pause und entschließe mich, mein Panini nicht in der virtuellen Kantine zu bestellen, und nutze die Gelegenheit, mal an die frische Luft zu kommen. Boulettenbaguettekauf beim Bäcker. Ben Becker steht in einem Schlangenlederanzug an der Ecke und überlegt sich offensichtlich gerade auf die fahrende Tram aufzuspringen – Mut steht ihm gut. Er hat eine Trompete in der Hand, was wohl der Grund dafür sein könnte, dass er doch lieber ein Taxi anhalten will. Doch da können wir bei einsnull ihm leider nicht weiterhelfen.

 Anm. d. Red.: Das Foto stammt von Alexander Franke.

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