Zigarren fuer die Toten

Wir haben uns in Berlin-Kreuzberg verabredet. Hier, in einer riesigen Altbauwohnung in der Muskauer Strasse, hat Mueller einige Zeit gelebt. Ich erkenne ihn natuerlich sofort: Die dicke Hornbrille klebt in dem schmalen, blassen Gesicht. Die Haare sind zurueckgegelt. Ich schlucke den dicken Kloss Aufregung in meinem Hals einfach runter und gehe auf ihn zu. >Herr Mueller, wir hatten telefoniert.< Er schaut mich an und meint, ein bisschen machohaft-schmunzelnd: >Du bist also die Reporterin.<

Wir betreten den Innenhof seines alten Wohnhauses und ich weiss nicht, was ich sagen oder fragen soll. Heiner Mueller redet jedenfalls nicht viel von selbst. Das hatte ich mir anders vorgestellt. Ich krame nach meinem Notiz-Block und versuche, meine notierten Fragen zu entziffern. >Was denken Sie ueber das Erinnerungsjahr 2009? Wir feiern 20 Jahre Mauerfall. Sie standen der Wende immer kritisch gegenueber.< Keine Reaktion. Er starrt die Hauswaende hoch und dann fragt er mich, ob ich eine Zigarre fuer ihn habe. Gegen diese Eiseskaelte muesse man >anrauchen<. Ich habe natuerlich keine dabei. Ich denke an den gespraechigen Heiner Mueller, den ich mir in unzaehligen YouTube-Clips angeschaut habe, dessen Theatertexte ich verschlungen habe. Ich denke an den leidenschaftlichen politischen Dichter, der immer genau das gesagt hat, was keiner hoeren wollte. Der von der Kritik oft zerrissen wurde und trotzdem als einer der besten und bekanntesten deutschen Dramatiker gilt. Ost-Dramatiker, um genau zu sein. Denn der geborene Sachse lebte in Ost-Berlin. Und jetzt? Wir stehen in dem Innenhof und haben uns nichts zu erzaehlen. >Warum willst du wissen, was ich denke? Ich weiss nichts mehr ueber diese Welt. Sind wir denn schon im dritten Weltkrieg? Ist der Kapitalismus schon kollabiert?< Endlich. Ein Aufhaenger fuer ein Gespraech. Ich erzaehle ihm von der weltweiten Finanzkrise und der teilweisen Verstaatlichung der Banken. Dazu muss dem Kommunisten Heiner Mueller doch etwas einfallen. Er hoert sich alles an, will alles ganz genau wissen [wir gehen sogar zurueck bis zum 11.September] um schliesslich zu fragen: >Hast du Angst?< Ich bin ueberrascht und veraergert. Sollte ich hier nicht die Fragen stellen? Ich denke nach und sage schliesslich: >Im Moment habe ich keine Angst. Aber ich weiss nicht, was kommen wird und was das alles zu bedeuten hat. Die Welt ist immer schwerer zu verstehen. Vielleicht werden deshalb Ihre Stuecke so gerne aufgefuehrt.< Es freut ihn sichtlich, das zu hoeren. Ich erzaehle ihm davon, dass es allein in diesem Fruehjahr Auffuehrungen in Athen, New York, Bonn und Berlin gibt. Ich erzaehle von der letzten Inszenierung eines Mueller-Stuecks, die ich in Berlin gesehen habe. Eigentlich war es ein Stueck ueber ihn, an seiner alten Wirkungsstaette dem Berliner Ensemble. Mueller muss schmunzeln, als ich ihm davon erzaehle.

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