Zack, Zack, Zack

Wuerde jemand Paul Virilio oder Vilem Flusser, die Theorie-Grossvaeter der neusten Generation frischgebackener Medienwissenschaftler zum Thema Zeit befragen, so wuerde der Erste sowas wie >Ach! Alles wird mir zu schnell< sagen. Der Zweite, dessen Archiv nun von Koeln nach Berlin gezogen ist, wuerde vielleicht meinen, dass die Geschichte am Ende sei und wir im Nulldimensionalen angelangt sind.

Niemand hat Zeit. Geert Lovink, Netzaktivist und Medientheoretiker schrieb woanders in den Protokollen zum Thema Zeit der Berliner Gazette, dass >wir die verlorene Zeit in eine nie versiegende Quelle der Einfaelle und der Subversion umwandeln< koennten. Hier schwingt scheinbar eine Art Umwertung mit, welche versucht das Negative des Verlusts in etwas Positives umzuwandeln. Doch worin besteht der Verlust eigentlich? Raum und Zeit koennen eben nicht auf einen Simultan-Echtzeit-Punkt zusammen gepfercht werden. Spielt man als Mitglied der so genannten Laptop-Generation das schon etwas durchgehypte MMORPG Second Life, dann merkt man naemlich, dass die Erde rund ist und es Zeitzonen gibt. Dadurch wird es schwierig eine Galerieeroeffnung in Europa in den spaeten Abend zu planen, wenn dann in Nordamerika erst Mittag ist und in Asien schon frueher Morgen. Zeit ist also nicht nur objektiv, sondern hat mit bestimmten Kreislaeufen des Menschen und der Natur, zum Beispiel Schlafzyklen, zu tun. Medien und auch ihre Oberflaechenerscheinungen wie virtuelle Welten, die wir durch Interfaces wie Bildschirme erfahren, sind nicht einfach so unabhaengig von der Welt. Das Digitale ist nie losgeloest von der Realitaet. Das hat uns unter anderem Friedrich Kittler gelehrt. Erst dadurch kann der Rechner ja Dinge manipulieren, die mit der Realitaet zu tun haben. Umgekehrt gibt es keine Wahrnehmung der Realitaet vor den Medien, schrieb mein Professor Georg Christoph Tholen, der mir die Medientheorie beibrachte. Jegliche Wahrnehmung sei medial zaesuriert. Frage ich mich nach der Rolle der Beschleunigung der Medien in meinem Alltag, dann werden diese Aspekte wichtig. Es ist offensichtlich, dass Email, RSS und Skype et cetera unsere Wahrnehmungsweisen veraendern. Sowas merke ich schon, wenn ich zwei Tage nach Rheinsberg fahre, um an einem neue Musikfestival teilzunehmen, ich aber kein Internetzugang finde... Plugged out. Willkommen in der Wueste des Realen. Natuerlich kann diese Wueste auch zur Oase werden. Retour a la nature. Der Mensch braucht Ruhe und Entspannung. Das wissen wir spaetestens seit dem unsere Muetter sich in den Achtzigern mit New Age beschaeftigten. Yoga fuer gestresste Hausfrauen. Es gibt technische Medien, darunter auch die digitalen, die schneller sind als die menschliche Wahrnehmung. So verstanden gibt es Zeiten der Medien und Zeiten des Menschen. Es geht um den simplen Unterschied von gemessener und wahrgenommener Zeit. Doch nun ist diese Differenz nicht so trivial wie es scheint, weil sie Vorraussetzung fuer das Funktionieren der Medien ist. Wuerden wir ein noch schneller reagierendes Auge haben, so wuerden Medien wie Film oder auch TV in der heutigen Form nicht funktionieren. Die Zeit des Menschen hat demnach gewisse Beschleunigungsgrenzen. Diese definieren gleichzeitig was Realtime, also Echtzeit ist. Alle Operationen die schneller sind als die Wahrnehmungschwellen passieren in Realtime. Stichwort Realtime: Realtime gibt es gar nicht. Weil die Zeit schon immer vorbei ist. Sie entgleitet uns wie Sand in den Haenden. Niemand hat Zeit, sondern erlebt Zeit. Das deutsche Wort Zeit ist auf das althochdeutsche >zit< mit der indogermanischen Wurzel >di< zurueckfuehrbar, das >teilen< oder >zerschneiden< bedeutet. Auch das lateinische Wort >tempus< laesst sich etymologisch von griechisch >themnein< abschneiden herleiten. Zeit bezeichnet so etwas wie einen Schnitt in ein Kontinuum. Zeit hat folglich etwas zu tun mit Figuren der Trennung, des Schnitts und der Zaesur. Also doch Verlust? In der Analog/Digital-Wandlung wird diese Figur der Trennung zum Grundprinzip. Es wird naemlich ein Signal, zum Beispiel ein analoges elektrisches Audio-Signal in kleinste Zeit-Zeichen zertaktet, will sagen zerteilt. Zack, Zack, Zack, Zack... Beim Fall des Audio-Signals geschieht dies 44.000 mal pro Sekunde. Sind die Werte einmal abgetastet und im Digitalen gespeichert, so kann man und frau damit herstellen was man moechte: Text, Bild oder wie es geplant war Musik. Doch nicht nur das. Ist der Rechner schnell genug, dann werden Manipulationen in Echtzeit moeglich. Granularsynthese. Microsounds. Man und frau muss sich diese Microsounds etwa wie unerhoerte Klangwolken vorstellen. Aus Staub [kleinste Klangpartikel] wird wiederum Staub und dazwischen liegt ein ganzes Klanguniversum. Solche Klaenge gibt es in der Natur nicht. Gleichzeitig sind sie schon viel komplexer als die Sounds aus der Yamaha DX7, eine Klangquelle vieler Depeche Mode Songs. Dass unsere Gesellschaft durch die technischen Medien immer schneller wurde, hat auch seine aesthetischen und kuenstlerisch fruchtbaren Seiten, das wissen zwar alle, aber es wird oft zu wenig geschaetzt. Zeitkritik ist nicht nur Kritik an den Umstaenden der Zeit. Sie kann auch eine Kritik der Zeit im Sinne einer Gedankenarbeit ueber das Phaenomen Zeit sein. Am Seminar fuer Medienwissenschaft an der Sophienstrasse geht es bei diesem Begriff um kritische Momente in den medialen Prozessen, die unsere Sinne taeuschen. Solche Prozesse sind zeitkritisch. Ohne diese kommen die Prozesse der Uebertragung, Speicherung und Berechnung im Medium nicht zu Stande.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.