Können Piraten und Kapitalisten gemeinsam eine universelle Kulturdatenbank erschaffen?

Können Piraten und Kapitalisten wirklich zusammenarbeiten? An gemeinsamen Visionen mangelt es nicht: Sowohl der IT-Riese Google als auch freie Projekte würden gern eine frei zugängliche Kulturdatenbank erschaffen. Der Hacker-Künstler Marcell Mars hat mit “Memory of the World” so ein Datenbank-Projekt gestartet und fürchtet sich vor der Vereinnahmung durch die Kapitalisten. Theaterwissenschaftlerin und Berliner Gazette-Autorin Sabrina Apitz hat ihn getroffen.

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Nicht alle Kapitalisten sind gleich und nicht alle sind böse, oder? Bildungsinstitutionen und digitale Freibeuter haben in letzter Zeit oft dasselbe Problem: große Unternehmen wie Google entwickeln sich nach und nach zu Bibliotheken. Und sie teilen zudem die eine große Vision: den freien Zugang zu Wissen und Kultur für alle.

Die Gemeinsamkeiten schreien geradezu nach Zusammenarbeit, doch wie verbünden sich zwei Akteure, die erst mal völlig gegensätzlich scheinen? Piraten betrachten wir aus gesellschaftlicher Perspektive als illegal, große Firmen und Institutionen dagegen sind mit ihren festen Strukturen der Inbegriff der Legalität.

Das Projekt „Memory of the World“

Nenad Romic alias Marcell Mars, seines Zeichens „Pirat“ sieht einen Lösungsansatz in der Projekt-Vision von Memory of the World. Hier wird davon ausgegangen, dass das kulturelle Welterbe allen gehört. Es sollte für alle vollständig bewahrt und unter wertschätzender Anerkennung der kulturellen Ethik und Realisierbarkeit dauerhaft und ohne Barrieren zugänglich sein.

Der Vorschlag ist simpel: „Lasst uns einen Katalog erschaffen, bestehend aus allen Büchern, die wir bereits heruntergeladen haben und lasst sie uns teilen.“, so der Mitinitiator von memoryoftheworld.org. Diese “öffentliche Bibliothek” bietet einen Bibliothekskatalog und freien Zugang zu Büchern für jedes Mitglied der Gesellschaft. Mit gemeinsam genutzten Büchern und einer akribischen Katalogisierung dieser Bücher, kann jeder ein Bibliothekar sein.

Und wenn jeder ein Bibliothekar ist, kann eine Bibliothek überall sein. Klingt plausibel? Dann sollte soziale Akzeptanz dieser Vision auf dem Fuße folgen. So könnte jedenfalls bisher illegales Teilen von Wissen und Kultur, das unter dem Deckmantel der Kunst operiert, legalisiert werden. Von der institutionellen Seite ließe sich mittels eines Protestes mit alten Regularien und Mauern der Wissensinstitutionen brechen, so dass diese sich in Orte des informellen Lernens verwandeln können.

Gewinnt der Kapitalismus wirklich immer?

Ein Einreißen von Mauern ist vor allem auch zwischen den unterschiedlichen Expertengruppen mehr als notwendig, denn eine Kultur der Zusammenarbeit ist nicht nur von Unterschieden und Widersprüchen geprägt, sie lebt auch ganz maßgeblich davon. Die Komplizenschaft zwischen Piraten und Kapitalisten bildet experimentelle Reibungs- und Konfliktpotenziale für neue Lösungsansätze gesellschaftlicher Probleme heraus.

Historisch gesehen hat der Kapitalismus bewiesen, dass er sich jede produktive Geste, Kritik oder Innovation aneignen kann. In diesem Prozess wurden die produktiven Akteure nicht nur ausgenutzt, sondern auch entpolitisiert. Nach Marcell Mars stellt das Blockieren des Kapitalflusses eine der wenigen Möglichkeiten dar, um heute ein politisches Subjekt zu sein.

Piraten der digitalen Welt generieren durch eine großangelegte gemeinsame Nutzung und das Teilen digitaler Dateien permanent eine Krise, die wir, Menschen, Piraten, für den ernst gemeinten Neustart des Systems nutzen können. „Wir können die Sache aber auch Google und Amazon (oder ihren zukünftigen Nachfolgern) überlassen: sie wissen, was zu tun ist, wenn sie den Vertriebskanal kontrollieren“, so Mars.

Anm. d. Red.: Marcel Mars war einer von rund 50 internationalen Gästen der COMPLICITY-Konferenz der Berliner Gazette. Er leitete gemeinsam mit Chris Piallat den Workshop “Kapitalisten & Piraten”. Das Foto oben zeigt in bei einem Interview in Novi Sad. Credit: Krystian Woznicki | berlinergazette.de. Die umfangreiche Dokumentation der Konferenz (Live-Videos, Graphic Recordings, etc.) findet sich hier: berlinergazette.de/complicity.

7 Kommentare zu “Können Piraten und Kapitalisten gemeinsam eine universelle Kulturdatenbank erschaffen?

  1. Ich finde, das hört sich alles ganz schön verkopft an! gibt es nicht ansätze, die etwas pragmatischer sind?

  2. Eigentlich eine Unverschämtheit, die ständige Benutzung der Kultur für die eigenen Zwecke der verschiedensten Interessensgruppen. Für Kultur interessieren sich z.B. die Piraten sicherlich nicht. Es macht sich halt irgendwie schön, nicht wahr?

  3. wir bauen seit 4 Jahren einen historischen Geschichts- und Stadtführer auf. Die Informationen werden ähnlich wie bei Wikipedia angelegt und können vor Ort kostenlos als App abgerufen werden, also von der Idee ähnlich wie hier vorgestellt, leider fehlt das nötige “Kleingeld” um mit dem Projekt richtig durchzustarten…

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