Wir nennen es Ehrenamt

Während sich die Gesandtschaft der Berliner Gazette – Krystian Woznicki und, yours truly, Fabian Wolff – im ICE nach Nürnberg auf sich die am gleichen Tag stattfindende Verleihung des Alternativen Medienpreises 2010 vorbereitet, wird der hinter ihnen sitzende Alpha-Blogger Sibelius Schiava [Anm.d.Red.: Name geändert] von seinem Sitz und aus dem Abteil vertrieben, weil er keine Platzkarte hat. Eine Real-Life-Metapher.

Denn als “außergewöhnlich und in ihren Mitteln abseits vom Mainstream” definiert der Preis die ausgezeichneten Beiträge, die, in ihrer Gesamtheit genommen, durchaus in der Lage sind, die Hoffnung auf, nun, “mediale Qualität” wiederzubeleben – sogar im Sparten-Privatfernsehen, wie die TV-Dokumentation über Homosexualität im Fußball von Aljoscha Pause beweist.

Qualitätsjournalismus von unten

Ansonsten lag der Fokus beim Alternativen Medienpreis 2010 aber auf Produktionen fernab des großen Medienbehemoth – der auch immer lahmer wird, wie es scheint. Am Rande der Veranstaltung wird immer wieder der Artikel über Deutsche Blogger diskutiert, der vor ein paar Wochen von einer großen und eingesessenen Tageszeitung veröffentlicht wurde.

“Drei Monate wurde der Autor dafür freigestellt!” heißt es aus wissenden Kreisen – ein Aufwand, dem man dem Verkunden nach dem Endprodukt, falsch im Fokus, töricht in der Ausführung und unsachlich im Tonfall, nicht wirklich anmerkt. Ganz im Gegensatz zum in der Sparte Print prämierten Enthüllungsartikel “Die Schulhofflüsterer”.

Susan Djahangard, Sophie Rebmann (beide auf dem Foto unten zu sehen) und Andreas Spengler, die AutorInnen dieses Beitrags, begehen keinen der besagten Fehler. Es geht bei ihrer investigativen Reportage um “Spiesser”. Ganz wie Nixon hat es diese Schülerzeitung mit unseriösen Praktiken ganz nach oben geschafft und weiß jetzt mit dem Erfolg nichts anzufangen.

Unabhängigkeit wahren

Ein Großteil der Spiesser-Artikel, so haben die prämierten AutorInnen herausgefunden, werden als getarnte Werbetexte produziert – gleichzeitig präsentiert sich das Organ als pädagogisch wertvolles Jugendmedium. Um ihre Unabhängigkeit und Objektivität zu wahren, hat das Autorenteam die durch die Recherche entstehenden Reisekosten aus eigenen Ressourcen finanziert. Statt sich vom Spiesser einfliegen zu lassen.

Und so ist ein großer Teil der ausgezeichneten Beiträge mit hohem (nicht nur zeitlichem Aufwand) der Macher entstanden – wie die virtuelle Video-Bibliothek volkslesen.tv, die Audioreportage über einen Arbeitslosenchor, netzpolitik.org oder eben diese Publikation hier, prämiert in der Sparte Internet.

Selbstverständlich wird das Preisgeld für wohlfeile Zwecke genutzt werden. Und doch: Nur deswegen machen wir es ja nicht. Wir nennen es Ehrenamt.

16 Kommentare zu “Wir nennen es Ehrenamt

  1. Danke für die informative Zusammenfassung! Die Aufregung über den Blogger-Artikel in der FAZ (mit dem unsäglichen Titel Deutsche Blogger) kann ich nicht ganz nachvollziehen (Sicherlich bei drei Monaten Recherche hätte ich auch etwas Tieferes erwartet). Zwar vermag der Autor des Texts (Marcus Jauer) nicht wirklich in Worte zu fassen, was er beobachtet hat, aber interessant ist es doch: Was bringen deutschsprachige Blogs zustande, was außerhalb der Medien/Internet-Welt Relevanz hat? Bin dankbar für sachdienliche Hinweise!

  2. Meine Frage: Ist “Ehrenamt” die Antwort der Berliner Gazette auf die Zeitungskrise? Und wer ist der ominöse Sibelius? ;)

  3. Gratulation zu dem tollen Preis, hoffentlich folgen mehr. Und danke für den Bericht. Was gab es denn hinter den Kulissen? Irgendwelche Ausraster am Buffet, Besäufnisse o.Ä.? Bitte um Saftiges!

  4. Glückwunsch zum Preis! Schließe mich Yodi an und würde gern mehr wissen, wie das mit dem Ehrenamt gemeint ist. Weil “als Modell” setzt das ja Personen voraus, die ihren Lebensunterhalt anders verdienen und trotzdem genug Zeit und Muße haben. Frage mich, ob dieses Modell das, was Yodi “Zeitungskrise” nennt, nicht eher verstärkt ohne eine Alternative zu bieten.

  5. @ Jerome Kaiser: Bis auf das scheinbare Matrosen-Outfit eines anwesenden Journalisten gibt es da eigentlich nicht viel.

    @ Yodi & Not quite like Beethoven: Das kommt darauf an, was mit “Zeitungskrise” gemeint ist – die inhaltliche oder die wirtschaftliche? Als Antwort auf die inhaltliche Krise, als Verbreitung all jener Stimmen und Themen, die selten Platz finden, würde ich die Berliner Gazette schon sehen.
    Als wirtschaftliche Krise…nun. Sicherlich besteht die Gefahr, dass sich aus den positiven Ergebnissen ehrenamtlicher Arbeit eine Art Faulheit der großen Medien ergibt – “Lassen wir die mal machen, die sind ja sogar kostenlos”. Das ist auf Dauer auch keine Lösung, aber wir befinden uns ja nun einmal in einer Transitphase.

  6. @Not quite like Beethoven und @Fabian: unter der Zeitungskrise verstehe ich eine Melange aus wirtschaftlicher/inhatlicher/technischer Krise. Das Modell Ehrenamt könnte evtl. tatsächlich zu einer Art Faulheit der Etablierten führen. Andererseits fasst es in diesm Kontext begrifflich, was viele Blogger und andere Netzmenschen ohnehin machen: Inhalte produzieren ohne Geld dafür zu bekommen. Vielleicht muss man den Begriff “Ehrenamt” einfach auch mal modernisieren – das Ehrenamt ist eben vielleicht nicht mehr nur das, was man nebenbei macht (neben dem Brotjob), sondern ein wichtiger Lebensinhalt. Der Begriff Ehrenamt gibt dem Ganzen eine juristische Form, wie ich finde. Mit anderen Begriffen kann man ja leider mit Politikern oder anderen “Experten” leider nicht diskutieren. Und was spricht dagegen, dass ehrenamtliches Engagement auch zu einem Modell wird, das wirtschaftlich für die Engagierten tragbar wird?

  7. Fabian und Yodi, ich glaube dann sind wir mehr oder minder einer Meinung. Nur, was genau wäre noch Ehrenamt, wenn es auch wirtschaftlich für die Engagierten tragbar wäre?

    Und wer sollte das (in nennenswerten Beträgen, eben so dass es tragbar wäre) bezahlen? Bin in diesem Zusammenhang übrigens sehr gespannt wie Jens Weinreichs Experiment sich so entwickelt…

  8. @ Not quite like Beethoven: Und bei Stefan Niggemeier erheben sich in letzter Zeit auch vermehrt Stimmen, die “Und wo kann ich für diesen tollen Eintrag hier zahlen?” fragen. Vielleicht der lohnendere Ansatz als dieses Adnation-Zeug.
    Und tragbar impliziert ja eher Absicherung denn Profit, oder?

  9. auch ich danke für diesen Bericht, leider scheint es andernorts etwas Vergleichbares zu geben; da wird überall nur die DPA-Meldung reproduziert…

  10. @ Yodi: “den Begriff Ehrenamt modernisieren”, das ist ein gutes Stichwort. Modernisieren hieße für einerseits einer strengen Kritik unterziehen, andererseits neu prägen und zwar nicht als ökonomische Insel, sondern als verflochten in die obwaltenden ökonomischen Zusammenhänge und als mögliche Emanzipation davon, warum nicht?! Wir hatten dazu übrigens bereits eine Diskussion, im Anschluss an den Beitrag von Markus Miessen, der sich hier findet:
    http://berlinergazette.de/halfpipe-des-wissens/

  11. @ Magdalena: Verstehe ich Dich hier nicht ganz richtig: “Zwar vermag der Autor des Texts (Marcus Jauer) nicht wirklich in Worte zu fassen, was er beobachtet hat, aber interessant ist es doch: Was bringen deutschsprachige Blogs zustande, was außerhalb der Medien/Internet-Welt Relevanz hat?” Also: er kann nicht schreiben, aber er wirft eine interessante Frage auf? Wenn Du so meinst, kann ich nur sagen: den Beitrag habe ich anders wahrgenommen. Er kann schon ganz okay schreiben, aber er stellt keine guten Fragen und hinterlässt am Ende das Gefühl: Thema abgehakt, es gibt wichtigeres, aber das nichts mit Blogs in Deutschland zu tun.

  12. ich habe den Beitrag “Schulhofflüsterer” gelesen; finde ihn wichtiges Stück investigativen Journalismus, hätte mir allerdings etwas mehr Objektivität gewünscht, mehr Zurückhaltung: die Enthüllungen sprechen für sich! speziell dann, wenn sie kontextualisiert werden. Man muss nicht auch noch (mal mehr mal weniger direkt) sagen, dass man den Spiesser doof findet. So was kann leicht als Stimmungsmache wahrgenommen werden und der Seriösität des Autors abträglich sein. Ansonsten: weiter so!

  13. Lass uns über uns sprechen! Blogger sind doch so 2000er… und diese ewigen Diskussionen über nicht ausreichende Wahrnehmung und Rezeption derselben, langweilt mich nur noch. In Deutschland hat die Bloggerei, wohl dem Wesen der hiesigen Geisteshaltung gemäß, immer dieses beleidigt nörgelnde Querulantentum im Schlepptau! Irgendwo zwischen Falschparker aufschreiben, während man mit Kissen im offenen Fenster lauert und Abschnittsbevollmächtigten. Lass uns über morgen reden, gestern ist schon vorbei!

  14. @ Joerg: Stimmt! Blogger sind eine Geschichte der vergangenen Dekade. Was aber nicht heißen muss, dass sie nicht nachträglich für ihre Verdienste ausgezeichnet werden sollten, wie beim AMP geschehen: 2. Platz Blogger von Netzpolitik in der Sparte Internet.

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