Wikipedia-Protest in Italien: Die Netzgemeinde mobilisiert gegen das „Blogkiller-Gesetz“

Italiens Regierung will das so genannte Blogkiller-Gesetz auf den Weg bringen. Die Netz-Community ist empört: Die italienisch- sprachige Ausgabe der Wikipedia fuhr ihren Betrieb runter, auf Facebook und Twitter wurde heftig diskutiert. Der Medientheoretiker und Berliner Gazette-Autor Vito Campanelli ist vor Ort an den Protesten beteiligt. Hier erklärt er, was es mit dem Gesetz auf sich hat und ob die Proteste etwas bringen werden.

*

Gestern haben die Nutzer der italienischsprachigen Ausgabe der Wikipedia eine ungewöhnliche Version der beliebten Website vorgefunden: statt des üblichen Interface gab es eine Erklärung (hier auf Deutsch) der italienischen Wikipedia-Community, die die Gründe für ihren Streik darlegte. Der Protest richtet sich gegen einen Gesetzesentwurf. Dieser Entwurf ist unter dem Namen DDL intercettazioni (Abhör-Gesetz) bekannt, wird aber in der Netz-Community meist als „ammazza blog“ also „Blog-Killer“ bezeichnet.

Laut seinen Befürworten soll das Gesetz helfen, das Mediensystem zu regulieren. Unter anderem soll es zum Beispiel eine „Pflicht zur Nachbesserung“ ermöglichen – wenn ein Individuum dies möchte. Egal ob es sich dabei um einen Blog-Text oder um einen Wikipedia-Eintrag handelt: das Gesetz würde den jeweiligen Betreiber der Webseite dazu nötigen, die gewünschte Korrektur innerhalb von 48 Stunden vorzunehmen.

Wenn dieses Gesetz durchkommen sollte, würde es zu einem riesigen Problem für die italienische Blogosphäre und alle partizipativen Online-Projekte werden. Denn sie würden ihre meiste Zeit damit verbringen, riesige Mengen an veröffentlichten Daten zu überarbeiten, die irgendeine Person als schädlich für ihr Image erachtet.

Ich rede hier nicht von Inhalten die von einem unparteiischen Richter geprüft wurden. Laut Paragraph 29 des Gesetzesentwurfes genügt die Meinung der Person, die sich verletzt fühlt, als Grund für den Korrekturzwang – unabhängig von der Wahrhaftigkeit der Information.

Netz-Community in Aufruhr: Bis zum nächsten Hype?

Die Hauptreaktion der italienischen Internetnutzer auf den Blackout von Wikipedia fand in sozialen Netzwerken statt, insbesondere auf Facebook und Twitter: Hier hat die Kampagne gegen die Netzpolitik der aktuellen Regierung die Debatten und Diskurse wiederbelebt. Doch ich denke, dass dieser Hype ein ähnliches Schicksal erleiden wird, wie andere Internet-Hypes: Er wird sich schnell wieder zerstreuen, sobald es ein neues Thema gibt.

Im Hintergrund dieser Affäre spielt sich ein ganz anderes Drama ab: Unter dem Deckmantel eines „demokratischen“ Verfahrens versuchen die politischen Machthaber sich Zugang zu den unabhängigen Netzmedien zu verschaffen. Denn im Moment sind es fast nur noch die Blogs, die sie noch nicht unter Kontrolle haben. Es ist der Versuch, jede Möglichkeit zur Opposition zu beseitigen, jeden kritischen Raum zu zerstören und im Zuge dessen das Recht auf freie Meinungsäußerung in digitalen Netzwerken auszuhebeln.

Anm.d.Red.: Die Illustration oben basiert auf John Sadowskis “Lil’ Drawing XXXIII” (2007).

9 Kommentare zu “Wikipedia-Protest in Italien: Die Netzgemeinde mobilisiert gegen das „Blogkiller-Gesetz“

  1. Ich hab eins nicht verstanden: Das liest sich, als seien auch Websites und Blogs in Zukunft verpflichtet, auf Verlangen der Betroffenen Gegendarstellungen zu veröffentlichen, so wie das bei anderen Medien auch gemacht wird – unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Gegendarstellung. Oder muss gleichzeitig der ursprüngliche Inhalt gelöscht werden?

  2. @#1: Es geht offenbar nicht um Gegendarstellungen, sondern erzwungene Korrektuen, sprich: Überarbeitungen des Inhalts – was im “dyanmischen Web” bedeutet: altes geht, neues kommt.

  3. exakt, Vito sagt: “das Gesetz würde den jeweiligen Betreiber der Webseite dazu nötigen, die gewünschte Korrektur innerhalb von 48 Stunden vorzunehmen.”

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.