WikiLeaks ist überall: Nachhaltigkeit, Whistleblowing und die neue Plattform GreenLeaks

Nach der dramatischen Serie von Enthüllungen durch WikiLeaks sind die Konsequenzen für die Pressefreiheit und die Offenheit des Internet noch völlig offen. Eindringlicher denn je müssen wir daher fragen: Was bleibt in der Zukunft von den wichtigen Traditionen sowie von den jüngsten Erneuerungen der Journalismuskultur übrig? Erste WikiLeaks-Nachfolgeprojekte wie die Plattform GreenLeaks machen Hoffnung. Der Wirtschaftsjournalist Lothar Lochmaier berichtet.

Dass die Enthüllungsplattform WikiLeaks trotz gewisser konzeptioneller Fehler und öffentlicher Kritik keine Eintagsfliege im Netz darstellen würde, war klar. Es gibt viele geistesverwandte Projekte, eines zum Beispiel auch aus dem Bereich Umwelt. Das Greenpeace Magazin berichtete Ende Januar:

Die am Montag in Berlin ans Netz gegangene Plattform "GreenLeaks" hat nicht nur eine andere thematische Ausrichtung, sondern möchte auch teilweise anders arbeiten als ihr großer Bruder. Eine Gruppe von Journalisten, Juristen und Umweltschützern um den australischen Dokumentarfilmer Scott Millwood möchte sich mit GreenLeaks auf die Veröffentlichung von Missständen aus den Bereichen Umwelt und Klima sowie Verbraucherschutz konzentrieren. Als wichtig erachtet werden ausdrücklich nicht nur Themen von internationaler Brisanz wie illegale Handlungen beim Emissionshandel oder Umweltsünden von Großkonzernen, auch Übles auf lokaler Ebene soll ans Licht der Öffentlichkeit gebracht werden. Die GreenLeaks-Betreiber verstehen sich im Unterschied zu Wikileaks mehr als Partner von Unternehmen und Regierungen denn als ihre Ankläger. Das Ziel der GreenLeaks-Betreiber besteht auch darin, Unternehmen und Regierungen davon zu überzeugen, dass sie in ihrem eigenen Interesse die Forderungen der Öffentlichkeit nach Umwelt- und Klimaschutz ernst nehmen sollten.

In der Tat wird die Gratwanderung zwischen Aufklärung und notwendiger Kooperation mit offiziellen Stellen oder Unternehmen spannend zu beobachten. Denn die Umweltsünden sind ein mindestens ebenso brisantes Thema – man erinnere sich an das Beispiel BP im Golf von Mexiko – wie die Vergehen der Banken und Finanzindustrie oder der großen Politik.

Was also ist von der Plattform GreenLeaks zu erwarten? Zunächst einmal haben wir es an der Spitze mit einem Kreativschaffenden aus Australien zu tun, der sich in Deutschland niedergelassen hat. Den Macher hinter den Kulissen, den Dokumentarfilmer Scott Millwood, portraitiert die Tasmanian Times wie folgt:

The Australian-born, Berlin-based filmmaker and lawyer, is well known for his environmental advocacy. His AFI-award winning film “Wildness” (2003) told the story of two Tasmanian wilderness photographers whose work marked the emergence of conservation in Australia. Millwood’s book and feature documentary “Whatever Happened to Brenda Hean?” (2008), exploring the disappearance and possible murder of the founder of the world’s first green political party, is also based upon secret government files that were leaked to the filmmaker.

Man darf gespannt sein, wie die Plattform ihre Tätigkeit zwischen den Spannungspolen Sensationsmache, Aufklärung und notwendiger Kooperation mit Opfern (und Tätern) konstruktiv gestalten wird. Auf alle Fälle ist es wünschenswert, dass Transparenz und Aufklärung in alle Teilbereiche von Gesellschaft und Wirtschaft Einzug hält. Insofern ist das Internet bzw. sind die Netzwerke wirklich eine bahnbrechende Innovation.

Fragen wir doch mal einen nüchternen, nicht moralisch voreingenommenen Bankmenschen nach seiner Meinung, wie Konrad Hummler von der Schweizer Privatbank Wegelin. Er hält in seinem Anlagenkommentar das Prinzip WikiLeaks immerhin für bedeutender als den Fall der Berliner Mauer:

Mit "Wikileaks", der Internetcommunity für mehr Transparenz in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, hat sich nun gewiss ein Quantensprung ereignet, vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer oder der Zerstörung der Twin Towers am 11. September 2001. Weshalb? Weil sich die Welt mit Wikileaks völlig anders organisieren muss als zuvor. Staaten und andere, vor allem grosse Organisationen haben die Herrschaft über "ihre"; Daten verloren.

Aber Konrad Hummler spart auch nicht mit deutlicher Kritik am Wikileaks-Enthüllungsprinzip:

Wikileaks ist weit davon entfernt, eine valable Alternative zu den demokratischen Rechtsstaaten eigenen Kontrollmechanismen und -instanzen zu sein, denn die Veröffentlichungen sind willkürlicher Natur, nehmen keine Rücksicht auf andere schützenswerte Rechtsgüter und orientieren sich nicht an der Maxime der Angemessenheit.

Ganz am Ende fällt die Bilanz aber trotz einiger Wermutstropfen durchaus positiv aus:

Wenn wir dennoch der Meinung sind, mit Wikileaks habe sich eine Art Quantensprung in unserer schönen neuen Welt vollzogen, dann wegen der offenkundigen Etablierung einer zur territorial orientierten Staatenwelt parallelen Hoheit des Datenbesitzes. Es scheint sich abzuzeichnen, dass das Ersatzsubstrat für Territorialität die Herrschaft über Daten und die Zuordnungsfähigkeit zu Individuen und Organisationen wird. Das gilt es festzuhalten.

Was bleibt also unter dem Strich – Green- und WikiLeaks sind dort am notwendigsten, wo es am meisten Diktatur, Kontrolle und Hierarchie von oben gibt. Dieses Prinzip gilt grenzüberschreitend.

Denn man fragt sich beispielsweise angesichts des Öldesasters von BP vor der mexikanischen Küste, wo der Unterschied zwischen totalitären Regimen und einer wirtschaftlichen Hegemonie besteht, die letztlich beide auf das gleiche Ziel hinaus laufen: Auf die Ausbeutung von Mensch und Umwelt.

Es gibt also viel zu tun für WikiLeaks – und seinen Klon, den Umweltableger GreenLeaks. Hoffen wir, dass die Akteure mit viel Bedacht und Sorgfalt agieren. Denn nur so kann der hoch gesteckte ethische Anspruch eingelöst werden. Das aber wird zu harschen Gegenreaktionen autokratischer Systeme führen, wie etwa am Beispiel des nach Unruhen von der Regierung „gekappten“ Internets in Ägypten der Fall.

Anm.d.Red.: Diesen Beitrag hat die Berliner Gazette mit freundlicher Genehmigung von Social Banking 2.0 übernommen.

18 Kommentare zu “WikiLeaks ist überall: Nachhaltigkeit, Whistleblowing und die neue Plattform GreenLeaks

  1. es wurde Zeit für eine Enthüllungsplattform im grünen Bereich, die Sünden dürften hier wenigsten genauso gewichtig und groß sein, wie in anderen Sektoren

  2. @Krome: Würde nicht eine Plattform ausreichen, die sich in verschiedene Sparten gliedert? Ich finds ja langsam etwas unübersichtlich. Demnächst dann die Whistleblowingplattform für von Großverlagen abgelehnte Manuskripte…

  3. @JP: man hat doch an WL ziemlich deutlich gesehen: 1) die haben einen ganz bestimmten Fokus (Umweltthemen interessieren nicht sonderlich dabei) und 2) die sind überlastet: die können die ganzen Anfragen gar nicht bearbeiten.

  4. @Rainald Krome: das ist das strukturelle Problem von WikiLeaks, dass sie überlastet sind, sie müssten die eigene Plattform dahingehend offener gestalten, dass auch andere Leute mit anderen Schwerpunkten daran mitarbeiten können (das ist wohl der Ansatz von OpenLeaks). Ich weiß halt nicht, ob es wirklich was bringt, dass es jetzt lauter Ableger gibt, oder ob man nicht erstmal aus WikiLeaks eine wirkluch gut funktionierende eigene Struktur aufbauen müsste.

  5. @JP: “Demnächst dann die Whistleblowingplattform für von Großverlagen abgelehnte Manuskripte…”

    warum denn nicht?

    Pluralität ist mit dem Internet einfacher geworden, das mag anstrengend sein, ja, unübersichtlich, aber diese große Möglichkeit können und wollen wir uns doch nicht entgehen lassen!

  6. @all: das problem von wikileaks ist doch die zentralisierung: alles dreht sich um assange, alles in sachen whistleblowing dreht sich um die technische infrastruktur einer organisation: wie leicht angreifbar die ist, sieht man daran, wie schwer menschen in china es haben, die webseite von wl zu besuchen.

    je mehr “klone” es gibt, desto “unübersichtlicher” auch für die gegner dieser ganzen geschichte, desto nachhaltiger

  7. Der tiefergehende Journalismus wird es wohl nicht werden; aber die ganze “WikiLeaks”-Richtung kann sich zu einem Korrektiv gegen die “Veröffentlichte Meinung” von SPIEGEL, FOCUS, FAZ, Süddeutsche etc. entwickeln. Interessanter neuer Anfang also.

  8. hoffentlich nicht der Anfang vom Ende. viele, selbst der in diesem Beitrag zitierte Experte, vergleichen Cablegate mit 9/11. Damit müssen wir fragen, wie ich schon anderer Stelle anmerkte: werden die Auswirkungen der WikiLeaks-Enthüllungen analog zu den Auswirkungen sein, die vor zehn Jahren die Terror-Attacke auf das WTC hatte?

  9. es ist ambivalent! Der in diesem Text zitierte Experte, Konrad Hummler von der Schweizer Privatbank Wegelin, sagt ja: “vergleichbar mit dem Fall der Berliner Mauer oder der Zerstörung der Twin Towers am 11. September 2001.”

  10. Die Meinungen über Wikileaks und die neuen Ableger werden sicherlich auseinandergehen – das Thema ist ideal fürs Polarisieren in einem Schwarz-und-Weiß-Weltbild. Worauf es mir ankommt, ist zu zeigen, dass die Grundprinzipien von Wikileaks sich auf alle Lebensbereiche anwenden lassen.
    Es ist jenseits von akademischen Diskussionen eine Entwicklung, die längst begonnen hat und die irreversibel ist, so wie die Demokratiebewegung in Ägypten (hoffentlich).
    Was derartige Plattformen natürlich benötigen, sind klare Standards, um sich weiter zu professionalisieren, siehe mein Interview mit dem Gründer von greenleaks.com.
    Die Landschaft wird durch mehr wikileaks also nicht fragmentierter, sondern ganz im Gegenteil, der Grundgedanke diffundiert in Wirtschaft, Politik und das gesamte öffentliche Leben hinein.
    Wenn man den etwas übertriebenen Medienhype abzieht, dann sind derartige Einrichtungen ein Korrektiv von unten nach oben. Dies wird letztlich sogar neue Geschäftsmodelle ermöglichen (ohne mich jetzt als naiven Social Media Visionär zu outen)- aber klar ist doch, dass die Partizipation vieler Menschen übers Netz nicht nur einen neue Umweltbewegung 2.0 einleiten kann, sondern auch etablierten Institutionen, die quasi über der Gesellschaft agieren, auch ein produktives Korrektiv eintgegen setzen kann. Das wird immer noch unterschätzt, so wie etwa bei den Banken, wie ich es in meinem Buch “Die Bank sind wir” versucht habe zwischen den Zeilen aufzuzeigen. Wie sagte schon Bill Gates von Microsoft: Wir neigen dazu, das Internet kurzfristig zu über- und langfristig zu unterschätzen. That’s it…

  11. endlich auch mal eine schlaue Frau, die sich zu dieser ganzen Sache zu Wort meldet, ich meine nicht, dass Frauen hier irgendwie besonders stark fehlen, aber bei einem Macho-Themenverbund wie REVOLUTION, HACKING, LEAKING, lauter Heroismus, der sehr männlich ist und dann Frauen nur als Vergewaltigungsopfer oder Fan des Führers denken kann, na ja, was ich sagen will, here it is: Eva Horn, die coole Kulturwissenschaftlerin, sagt im ZEIT-Interview:

    “Totale Transparenz ist auch totale Überwachung”

    http://www.zeit.de/kultur/2011-02/interview-eva-horn

  12. Vor anderthalb Wochen noch lief die Nachricht durch, das die Palästinenser in den Verhandlungen mit Israel sehr viel mehr Zugeständnisse als bisher bekannt, gemacht haben … eine halbe Woche später wird in Tunis (Arafats Asyl-Staat) der Präsident vertrieben, eine weitere Woche später sehen wir einen Aufstand in Ägypten. Ob es da nicht auch Zusammenhänge mit den WIKILEAKS-Enthüllungen gibt ??? Ursachen und Wirkungen ???

  13. na ja, die müssen auch erstmal zeigen, dass sie was drauf haben oder? wenn die so virtuell erstmal nur da sind, ist ja schön für die welt, aber was das jetzt bringt und prinzip etx. muss dann sich erst zeigen meine ich!

  14. eigentlich ist es doch so, dass bei den umweltsünden, alles zusammenläuft: wirtschaft, politik, etc. alle, die macht haben, bauen scheisse.

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