Konturen der Transparenz: Micah Sifrys Buch “WikiLeaks and the Age of Transparency”

Nach den diversen Erlebnisberichten zum “Making of“ der WikiLeaks-Publikationen und der eher privaten Abrechnung von Daniel Domscheid-Berg mit Julian Assange, hat nun der US-amerikanische Netz-Experte Micah Sifry ein Buch zum Thema vorgelegt: “WikiLeaks and the Age of Transparency”. Das Gute daran: Es ist kein Buch über WikiLeaks. Politikwissenschaftler und Berliner Gazette-Autor Christoph Bieber hat es gelesen.

Julian Assange und die so genannte Enthüllungsplattform spielen nur am Anfang und am Ende von WikiLeaks and the Age of Transparency eine Rolle – dazwischen erzählt und entwickelt Sifry die Entstehung einer “Transparenz-Bewegung“, die weit über die WikiLeaks-Publikationen hinausreicht. Insofern konstruiert er einen missing link zwischen den spektakulären Vorzeige-Projekten wie der Veröffentlichung des “Collateral Murder“-Videos oder den diplomatischen Kabeln und den unzähligen, auf den ersten Blick eher langweiligen “Open Data“-Projekten, die sich mit der bürgerseitigen Nutzung von Regierungsdaten auseinandersetzen (auf diese Verbindung hatte ich an anderer Stelle ebenfalls verwiesen).

Die digitale Hausmannskost der öffentlichen Datensätze fasziniert Sifry beinahe mehr als die schillernde Gegenwelt der Polit-Geheimnisse. Zudem sieht er in den zahlreichen Transparenz-Projekten, die auf offenen Daten beruhen, sehr viel eher das demokratische Potenzial der Online-Kollaboration realisiert – auch wenn er den üblicherweise dafür verwendeten Begriff des Crowdsourcing korrigiert:

“Crowdsourcing“ is the term often used to describe this process, though I think its somewhat of a misnomer. We aren’t outsourcing a job that used to belong to professionals (such as investigative journalists) and giving it to a crowd to do; we are inviting lots of civic watchdogs to add their eyeballs and time to the process of making government more transparent and accountable. Call it crowd-scouring instead.”

Geheimnistuerei ist demokratisches Versagen

Verfolgt man die deutsche Diskussion zu Open Data, gewinnt man schnell den Eindruck, dass die große Bedeutung der Technik einer breiten öffentlichen Akzeptanz des Themas im Weg steht: Zumindest in der Wahrnehmung von Politik und Verwaltung dominiert die technizistische Perspektive, die nicht selten zu bürokratischen Widerständen bei der Nachfrage nach Datensätzen führt. Sifry verwendet viel Platz und Energie, um auf die spezifisch politische Dimension hinzuweisen und positioniert den Umgang mit Daten genau an der Schnittstelle zwischen Bürgern und ihren Regierungen: „The relationship between governments and their constituents is a two-way-street, and data is the road that connects them.“

Vor diesem Hintergrund entwickelt er schließlich einen demokratiepolitischen Zugang zur Transparenz-Debatte, seine Formel funktioniert sowohl mit Blick auf die WikiLeaks-Aktivitäten, Kontrollplattformen zu Politikfinanzierung oder Lobbying und sogar der Affäre um den ehemaligen Verteidigungsminister der BRD: „In fact, it is people using the Internet who interpret secrecy as a democratic failure – as a reason not to trust government – and more and more we route around it until we get at the truth.“

Das Guttenplag-Wiki als Vorzeige-Transparenz-Projekt

Es fällt auf, dass kein einziges Beispiel aus Deutschland den Weg in Sifrys umfangreiche Sammlung gefunden hat – Kroatien, Kenia oder Indien finden dagegen Erwähnung. In Deutschland sind vorzeigbare Projekte gerade erst im Entstehen oder sehen sich mit Widerständen von öffentlicher Seite konfrontiert. In einem spektakulären Fall hatten deutsche “Transparenz-Aktivisten“ jedoch einfach Pech, denn das Sifrys Ansprüchen sicher gerecht werdende Guttenplag-Wiki kam ein paar Tage zu spät. Diese offene Untersuchungsplattform für die Dissertation des zurückgetretenen Verteidigungsministers erfüllt nämlich genau jene Kriterien und Mechanismen, die Sifry für Transparenz-Projekte geltend macht.

Das Guttenplag-Wiki hat den gemeinschaftlichen Arbeitsprozess erfolgreich vereinfacht (“When involving the public, keep it simple. Don’t expect many volunteers to do intrinsically hard tasks.“) und jederzeit ausführlich über die eigenen Arbeitsbedingungen und Hintergründe informiert („The last thing all these projects tend to embrace is their own transparency, by publishing detailed lists of their funding and sharing lots of information about how they are developing projects, not just the results.“).

Es gibt noch weitere spannende Argumentationslinien des Buches, die angenehm wenig mit Julian Assange und/oder WikiLeaks zu tun haben. Immer wieder findet sich deutliche, explizite Kritik an der netzpolitischen Ikone Barack Obama – das wirkt zunächst etwas verwunderlich, da Micah Sifry dem demokratischen Lager zuzurechnen ist. Das von ihm verantwortete Blog TechPresident.com hatte früh auf die exzellente Online-Performance des Kandidaten hingewiesen, übernimmt aber seit dem Amtsantritt des Präsidenten immer öfter die Rolle des „Stachels im eigenen Fleisch“.

Obamas blutleere Umarmung des Internets

Ganz im Sinne seiner hohen Transparenz-Ansprüche verweist Sifry an vielen Stellen auf die eigene politische Sozialisation und auch auf die zahlreichen Verflechtungen mit anderen Akteuren aus dem demokratischen Spektrum. Dennoch lässt er an den Online-Aktivitäten Obamas nur noch selten ein gutes Haar, sondern deckt unablässig die Abweichung von Anspruch und Wirklichkeit der präsidentiellen Digital-Programmatik auf: Obamas Rede von der demokratischen Innovation durch das Netz sei eine “blutleere Umarmung“ des Internets, bloß eine “rhetorical gesture to a changing culture without any real content and certainly no loss of control.“

Schließlich aber führen WikiLeaks-Enthüllungen auch Micah Sifry zurück zur Konjunktur des Lecks und der Kontur der Transparenz: Die Ereignisse des vergangenen Jahres ordnet Sifry, der seine eigene Position schon im Vorwort als “resolutely anti-anti-WikiLeaks“ bezeichnet, in einen größeren Kontext ein. Dabei besetzt er über weite Strecken eine distanzierte Position, in mehreren Kapiteln kommt WikiLeaks gar nicht vor – dem Buch schadet es nicht. Eher ist das Gegenteil der Fall: die Passagen, die von persönlichen Erlebnissen mit Assange im Umfeld der von Sifry organisierten “Personal Democracy Forum“-Veranstaltungen in New York und Barcelona berichten, zählen zu den schwächeren des Bandes.

Immerhin findet Sifry so die Möglichkeit, den für die USA wichtigen Bogen zur historischen Referenz der “Pentagon Papers“ und dem Enthüllungs-Akteur Daniel Ellsberg zu schlagen. Die rechtspolitischen Entscheidungen im Umgang mit Informationen und Informanten aus dieser Affäre setzen den Maßstab für den noch ausstehenden juristischen Umgang mit Julian Assange – sofern er von den schwedischen Behörden in den Geltungsbereich der US-Verfassung überstellt wird.

Auflistung statt Vernetzung einer globalen Bewegung

Sifry gibt sich zwar große Mühe, ausgehend vom Sonderfall WikiLeaks zu abstrahieren und die Entstehung einer “globalen Transparenz-Bewegung“ zu skizzieren, doch vor allem listet er eine Vielzahl ähnlich gelagerter Projekte und Initiativen auf, die sich dem Umgang mit öffentlichen Informationen verschrieben haben: “As these projects proliferate, a community of practice is steadily evolving with some common understandings about how best to work together.“

Wie sich aber nun tatsächlich aus einer Plattform zur Offenlegung von Spendengeldern in den USA, einer Website zur Berichterstattung von Wahlbetrug in Kenia, der Öffnung staatlicher Datenbanken in Großbritannien oder eben der über-nationalen Plattform WikiLeaks so etwas wie eine kohärente, global vernetzte Bewegung formiert und wie dabei eine transnationale Arbeitsteilung aussieht, das kann Sifry nicht überzeugend entwickeln. Immerhin erhalten die LeserInnen eine Vielzahl von Beispielen, Hintergrundinformationen und Denkanstößen, eine wirklich runde Sache ist das Konzept allerdings (noch) nicht.

Auch die spezifische Rolle und Bedeutung von Julian Assange in diesem Prozess wird nicht näher diskutiert – die WikiLeaks-internen Scharmützel werden knapp wiedergegeben, die insgesamt undurchsichtige Organisationsstruktur kritisiert und auch Assanges Schriften über Regieren als Verschwörung finden Erwähnung. Vielleicht ist es der knappen Produktionszeit geschuldet, doch Sifry verzichtet auf eine eigenständige Interpretation und Einschätzung der Texte aus Assanges inzwischen stillgelegtem IQ-Blog, stattdessen referiert er verschiedene Essays anderer Autoren.

Assange als neue Form des Schriftgelehrten

Zwar sind es die richtigen Texte, wie der lange Assange-Essay von Alan Bady oder die Einschätzungen von Clay Shirky, Jay Rosen oder Mark Pesce zur Zukunft öffentlicher Kommunikation nach WikiLeaks. Für die LeserInnen in Deutschland ist aber auch dies schon ein wichtiger Schritt zum besseren Verständnis des Geschehens, gewissermaßen eine aktualisierte und vertiefende Ergänzung zum eilig kompilierten Suhrkamp-Band WikiLeaks und die Folgen.

Insgesamt ist Sifrys Zurückhaltung gerade an dieser Stelle sehr schade, denn eine differenzierte Betrachtung der Rolle von Julian Assange für das “Transparency Movement“ würde die Perspektive noch weiter öffnen. Innerhalb Sifrys Argumentation könnte Julian Assange nämlich sehr gut als „Bewegungs-Intellektueller“ verstanden werden, der seine speziellen Kenntnisse und Fähigkeiten als Programmierer nutzt, um sich in den öffentlichen Diskurs um Transparenz und Demokratie einzuschreiben – als eine neue Form des Schriftgelehrten.

31 Kommentare zu “Konturen der Transparenz: Micah Sifrys Buch “WikiLeaks and the Age of Transparency”

  1. danke für diese kritische würdigung von a) dem buch und b) der wikileaks-sache und c) der transparenz-bewegung.

    “eine wirklich runde Sache ist das Konzept allerdings (noch) nicht.”

    das ist ein interessanter punkt, nur der grund leuchtet mir ein oder ich habe die argumentation nicht verstanden.

    das hier wird zwecks untermauerung der these vorgebracht:

    “wie eine kohärente, global vernetzte Bewegung formiert und wie dabei eine transnationale Arbeitsteilung aussieht,”

    * wie kann eine global vernetzte Bewegung “kohärent” sein? das scheint mir ein widerspruch zu sein und auch etwas, das einer jedweden bewegung eigentlich nur schaden kann, denn die bewegung/dynamik liegt nicht in der kohärenz, sondern in der pluralität

    ** hat die transnationale arbeitsteilung vielleicht deshalb keine so genaue kontur, weil a) ganz viele unterschiedlíche modelle verfolgt werden und b) eben alles noch im entstehen ist?

  2. die WikiLeaks-Kritik ist nachvollziehbar, aber ganz klar ist mir nicht: ist WikiLeaks das Problem oder der Hype drum herum? und wie kann man beides voneinander treffen? wie kann man dennoch einen Zugang finden, ohne es links liegen zu lassen, wie der Autor dieses Buchs? Immerhin, es ist Weltgeschichte… oder sowas…

  3. Frage zu GuttenplagWiki/Open Data:

    Auch von mir Danke für den Beitrag – ich habe eine Frage zu deiner Einschätzung des Guttenplag-Wikis: Handelt es sich hier tatsächlich um ein Open Data-Projekt? Meinem Verständnis nach geht es bei Open Data um den (kollektiven) Versuch, Daten von Regierungen und anderen demokratischen Institutionen offen zu legen (wie die Beispiele aus Kenia oder Kroatien zeigen). Darum ging es bei GuttenplagWiki aber nicht. War dieses Projekt nicht eher ein Beispiel für Schwarmintelligenz im Netz. Ich meine die Daten (die Dissertation) gab es ja schon – hier ging es darum, die Verknüpfungen offen zu legen.

  4. @soddiay: aus der sicht der “sozialen bewegungsforschung” gibt es einige befunde zur gestalt neuer/digitaler bewegungen, die sifry nicht systematisch überprüft. wäre allerdings auch eine andere disziplin, er knüpft ja zunächst einmal wichtige verbindungen mit seinem essay. allerdings hätte er den bewegungsbegriff schon noch etwas ausführlicher vorstellen und am transparency-beispiel diskutieren können.

    @Joh: sifry lässt wikileaks mitnichten links liegen, für ihn ist es anders als für die anderen aktuellen bücher nur ein symptom für eine größere wirkung in der folge/im hintergrund. es ist das sichtbarste und am stärksten diskutierte fallbeispiel aus der debatte, sifry reichert sie um weitere, ähnlich strukturierte projekte an. das ist eine wichtige leistung des buches. bei der positionierung von assange “im weltgeschehen” bleibt sifry angenehm zurückhaltend, denn dafür ist es noch viel zu früh.

    @magdalena: das “open data”-hafte am guttenplag-wiki ist für mich nicht die herkunft der daten, sondern der offene und kollaborative umgang damit. im sinne von sifrys “transparency”-ansatz, der sich im zuge der open data-projekte realisieren lässt, geht es um das kollektive auswerten großer datenmengen – ob es sich hierbei um regierungsdaten oder (zB) unternehmensdaten oder (wie bei guttenplag) um den text einer dissertation (die ja zwingend veröffentlicht werden muss), ist dabei erst in zweiter linie wichtig. und der mehrwert des guttenplag-wikis, die beschleunigte offenlegung der plagiatsstellen und damit die beeinflussung des skandalverlaufs, wäre absolut im sinne von sifrys transparenz-anspruch.

  5. die Kritik am suhrkamp-Band kann ich gut teilen, ich finde da wird genau sowie in der gesamten Hype-Rezeption alles über die Person aufgezogen und keiner fragt danach, was sie eigentlich für eine Organisation aufgebaut hat und was diese Organisation für Veröffentlichungen gemacht und was woederum diese bewirkt haben.

    doch wären all diese Grundlagenforschungen nicht überhaupt erst der Ausgangspunkt für die Möglichkeit WikiLeaks einzuordnen in die Transparenz-Bewegung bzw. Transparenz-Bewegungen?

  6. Guy Rundle hat einen Essay über “WikiLeaks, Assange and vanguardism in the Information Age” geschrieben, der Assange offenbar gefällt, er posted via seinen WikiLeaks-Twitter-Kanal:

    “Good essay on Assangism”

    ( http://web.overland.org.au/previous-issues/issue-202/feature-guy-rundle/ )

    Wer ist Guy Rundle?

    Guy Rundle is currently Crikey’s global correspondent-at-large. Born in Melbourne, he was a co-founding editor of Arena Magazine and has worked with Arena publishing group for twenty years. A frequent contributor to The Age, Sydney Morning Herald, The Australian, Spiked and many other publications, his books include The Opportunist: John Howard and the Triumph of Reaction and half of The Happy Phrase (with Shane Moloney). He has written for and produced a wide variety of TV programs, and co-devised Comedy Inc, Shark Bay and worse. He has written three hit stage shows with and for Max Gilles, with fourth, Godzone, to premiere in 2009. At the time of writing he lives in New York.

  7. die Guttenberg-Geschichte eingepflochten zu sehen — großartig, wirklich gelungene Art, ein Buch zu besprechen und auf Diskussionen hierzulande zu übertragen, mitunter ein stückweit das Buch ergänzt und im Crowdsourcingverfahren erweitert : ) Sollte der Autor unbedingt erfahren ; )

    Dann aber aus aktuellem Anlass — meine Frage: wären die Aktionen der hedonistische Nuklearen nicht ebenfalls hier in diesen ganzen Transparenz-Baukasten aufzunehmen?
    und wie würde man sie einordnen?

    http://www.netzpolitik.org/2011/artomlobby-zensiert-dann-doch-noch-die-twitter-satire/

  8. das Problem der bisherigen WikiLeaks-Rezeption (und mir scheint, das oben besprochene Buch ist davon nicht auszuschließen?) ist: fast alles bezieht sich auf die wenigen großen Publikationen des Jahres 2010, dabei umfasst die Geschichte (auch die Publikationsgeschichte) inzwischen fünf Jahre.

    Wer sich ernsthaft, d.h. auch wissenschaftlich für Wikileaks interessiert, und das Projekt einordnen will, sagen wir im Kontext der Transparenz-Bewegung, kommt nicht umhin sich von der bisherigen Boulevard-Rezeption zu lösen, die eben nur Interesse an den besonders skandalträchtigen Momenten (aus dem Jahr 2010) zeigt.

    Dabei ist die Publikations-/Transparenz-Praxis des Jahres keineswegs identisch mit den Vorjahren und dem Folgejahr.

  9. Die grüne Bundestagsfraktion hatte am Dienstag zu einem “Fachgespräch” geladen. Es ging um die Programmatik eines neuen Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) und wie sich in diesem die Idee Open Data wiederfinden könnte. Das Papier der Grünen, das kommende Woche unter der Überschrift “Grüne Bürgerbeteiligung” veröffentlicht werden soll, spielte dabei nur am Rand eine Rolle. Vielmehr wurden diverse Aspekte rund um Open Government und Open Data angesprochen.

    Eines wurde deutlich: Was genau “Open” bedeutet, ist noch längst nicht ausgemacht. Die zentralen Merkmale von Open Data – Maschinenlesbarkeit der Daten und ungehinderter Zugang und Nutzung – sind offensichtlich noch nicht überall verstanden worden.

    http://blog.zeit.de/open-data/2011/03/24/informationsfreiheit-ins-grundgesetz/

  10. @Krystian: ich denke schon man sollte unterscheiden, zwischen den ersten großen spektakulären Publikationen anno 2010 (inklusive deren Rezeption) und zwischen der Blouveradisierung der WikiLeaks-Geschichte (die erst später einsetzt). Auch die Bücher, die in diesem Jahr erschienen sind, sind nicht entweder/oder, sonder eher der einen und eher der anderen Rezeptionsgeschichte verschrieben, wobei natürlich alle auf Assange abfahren als Maskottchen, als Ikone, das sieht man auch bei dem Suhrkamp-Titel…

  11. @#14: das sehe ich auch so, nur weil etwas in den massenmedien besprochen wird zu deren bedingungen etc. ist es noch lange nicht gleich automatisch bouleward…

  12. Im Unterschied zu reinen Nachrichtenmedien ist die emotionalisierte Berichterstattung, in der Informationen vorenthalten oder pauschalisiert und Sachverhalte verkürzt oder verzerrt dargestellt werden, in Boulevardmedien ein übliches Mittel.

    In Rundfunk und Fernsehen werden Boulevardthemen häufig in Magazinformaten veröffentlicht, in denen Katastrophen, Unfälle, Verbrechen, Mode, Prominenz und Konsumthemen im Vordergrund stehen.

    Eine Studie der Universität Jena bestätigte eine zunehmende Boulevardisierung von Fernsehnachrichten. Der Kommunikationswissenschaftler Georg Ruhrmann nannte in seiner Studie im Auftrag der Journalistenvereinigung Netzwerk Recherche: „Die Auswahl der Nachrichten orientiert sich jedenfalls nicht mehr ausschließlich an journalistischen Aktualitätskriterien. Kundennachfrage und -zufriedenheit sind ebenfalls gefragt. Die ‚Serviceorientierung‘ spiele eine immer größere Rolle.“ Nachrichtenthemen vor allem der Privatsender werden seiner Meinung nach unpolitischer und verstärkt durch Themen von menschlichen Schicksalen, wie Katastrophen und Kriminalität verdrängt. „Die Nachrichtenfaktoren Personalisierung, Kontroverse und Aggression nehmen nach Ansicht der befragten Journalisten zu“.

    Quelle:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Boulevard_%28Medien%29

  13. @#14-16: okay, das ist richtig. Massenmedien sind nicht gleich Boulevard, obgleich häufig konstatiert wird, dass eine Boulveradisierung unaufhaltsam alle Bereiche der Massenmedien durchdringt (siehe auch Studie der Universität Jena). Umso wichtiger natürlich, zu differenzieren: unterschiedliche Momente der Rezeption, die unterschiedliche Merkmale der Transparenz-Bewegung kodiert haben — speziell für die Frage, ob und wie Open Data-Anliegen künftig breitenwirksamer kommuniziert werden können, die Christoph Biebers Text ja dankeswerter nahelegt.

    Bei der Differenzierung scheint mir jedoch noch eine andere Sache von Bedeutung: die “Boulevardisierung”, die WikiLeaks an sich selbst vorgenommen hat. Gerade das “Collateral Murder”-Video war ein Moment, in dem das angestammte Terrain des Offenlegens von zurückgehaltenen Daten verlassen wurde und mit den psycho-dramaturgischen Mitteln der Massenmedien Betroffenheit, Zorn und eine ganze Reihe anderer Gefühle geweckt wurden.

  14. wie kann die Transparenz-Bewegung den WikiLeaks-Hyper für sich nutzen? Wie kann sie davon profitieren? Worauf muss sie achten, damit sie die Schattenseiten des “Image-Transfers” nicht runterziehen?

  15. wie kann die Transparenz-Bewegung den WikiLeaks-Hyper für sich nutzen? Wie kann sie davon profitieren? Worauf muss sie achten, damit sie die Schattenseiten des “Image-Transfers” nicht runterziehen?

    vielleicht noch allgemeiner:

    was können Transparenz-Aktivisten von der WikiLeaks-Episode lernen?

    hilft das oben besprochene Buch in dieser Frage weiter?

  16. @”selbst-boulevardisierung”: treffend beobachtet, dazu passt auch der trubel und die inszenierung um die neu-publikation des hacker-romans “underground”.

    @was können transparenz-akteure lernen: sifry entwickelt in seinem buch durchaus ein modell dafür, wie und unter welchen bedingungen solche projekte funktionieren. stets gibt es dabei eine “schlüsselperson”, die das projekt anstößt und dann auf die öffentliche bühne bringt. eine “systematik”, die übertragbar auf andere kontexte (länder, inhalte, formate, organisationsform) ist, fehlt jedoch noch. vielleicht ist es dafür aber auch noch zu früh. sifry portraitiert viele “best cases” und versucht sie als “transparency movement” zu rahmen.

    @assange-fixierung: wie am schluss des textes angedeutet, könnte sich die fixierung von öffentlicher debatte und medialer berichterstattung auf assange auch aus dessen rolle als “bewegungs-intellektueller” verstehen lassen. aus meiner sicht tritt assange zB deutlich “politischer” auf als etwa daniel domscheit-berg bei OpenLeaks. assange folgt dem gestus des “speak truth to power” (amitai etzioni) und begreift “seine” arbeit für WikiLeaks nicht nur als persönliches, sondern eben auch als konsequent politisch gedachtes projekt. dass die dahinter liegende “ideologie” durchaus bedenkenswert ist – na klar. aber grundsätzlich würde ich hier eine unterscheidung machen: OpenLeaks kommt eher als eine “technische lösung” für ein gesellschaftliches problem daher, während WikiLeaks sehr viel stärker als intellektuelles projekt verstanden werden kann, das sich auf eine kontroverse mit “den mächtigen” einlassen will.

  17. ein Hinweis an dieser Stelle zum Thema: ein Gespräch mit Suelette Dreyfus über ihr Buch “Im Untergrund mit Assange”. Sie hat 1997 mit Julian Assange ein Buch über die Jahre in der illegalen Hacker-Szene geschrieben. Jetzt erscheint “Underground” auf deutsch. Ein Gespräch über die Anfänge des politischen Internets und die Motive des Wikileaks-Gründers.

    ( http://www.sueddeutsche.de/kultur/im-gespraech-suelette-dreyfus-im-untergrund-mit-assange-1.1079610 )

  18. sönke schulz sagt der open government/data bewegung in deutschland keine rosige voraus, was er auch auf den gesetzgeber zurückführt, ich finde das traurig, warum hinkt deutschland einer weltweiten entwicklung hinterher? liegt es wieder daran, dass man in deutschland allen tech nischen innovationen im bereich der kommunikation so grundlegend skeptisch und unaufgeschlossen gegenübersteht?

    der kommentar von s. schulz findet sich hier
    http://www.government2020.de/blog/?p=641

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