Wie viel Rettung kann ein Land ertragen?

In Griechenland freut sich kaum jemand über die Rettungsaktionen der EU. Warum das so ist, erklärt der in Thessaloniki lebende Fotograf und Berliner Gazette-Autor Craig Wherlock.

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Einen Moment lang habe ich gedacht, dass die letzten drei Jahre doch nur ein schlechter Traum waren. Denn aufeinmal berichteten die Nachrichtensprecher mit glühenden Worten, wie Griechenland durch seine europäischen Partner gerettet wird und wie durch die Vereinbarung der Rettungsaktion einen Bankrott vermieden wird.

Das Problem ist: Wir haben all das schon einmal gehört. Als 2009 der erste Teilbetrag des Geldes zur Rettung Griechenlands genehmigt wurde, nachdem das Land harte Sparmaßnahmen eingeführt hatte, gab es die gleichen Schlagzeilen in den lokalen und ausländischen Medien. Ich erinnere mich noch an die erste Frage, die mir in einem Interview mit BBC World Service gestellt wurde: “Aber warum sind die Griechen so entzürnt darüber, gerettet zu werden?”

Deshalb sind die Griechen wütend

Die Unfähigkeit der ausländischen Medien die wütende Reaktion der griechischen Öffentlichkeit auf die Kürzungen der Gehälter und Dienstleistungen zu verstehen, wiederholt sich nun trotz dieser drei Jahre. Drei Jahre, in denen die Ökonomie des Landes so stark geschwächt wurde, dass der Rückgang der Wirtschaftskraft vergleichbar ist mit der Situation der USA in den frühen 1930er Jahren, auf dem Höhepunkt der Großen Depression.

Ein Viertel der Bevölkerung ist inzwischen von Arbeitslosigkeit betroffen (der griechische Dachverband der Gewerkschaften schätzt diese Zahl sogar auf 30%), ein Zeichen auf baldige Besserung ist nicht in Sicht. Die Wirtschaftsleistung ist seit 2009 jährlich zurückgegangen und wird weiter sinken, solange nicht von den aktuellen Sparmaßnahmen abgesehen wird.

Wohin werden die Rettungsmillionen fließen?

Die griechischen Mainstream-Medien, im Besitz und kontrolliert von den landeseigenen Oligarchen, feiert heute die Entscheidung der Eurogruppe eine weitere Zahlung von Rettungsfonds zu genehmigen, nicht zuletzt, weil ein Großteil des Geldes zur Rekapitalisierung von Banken, die ihnen gehören, genutzt werden wird. Nachrichtenjournalisten sprechen von dem Geschick, mit dem die Regierung ein Desaster umgangen ist. Sie wissen zu gut, dass Kritik – ob direkt oder implizit ausgesprochen – nur zur Entlassung führt.

Ein viel kleinerer Anteil des Geldes wird für die sofortige Auszahlung von Gehältern und Löhnen genutzt. Auf der anderen Seite bedeutet der gerade abgeschlossene Deal, dass tausende Angestellte im öffentlichen Dienst ihre Arbeit verlieren, eine Entscheidung die lokale Regierungen vollkommen lahmgelegt hat, als Angestellte streikten und Rathäuser im ganzen Land besetzten.

Bitte, rettet uns nicht schon wieder!

Hier in Thessaloniki, der zweitgrößten Stadt Griechenlands und Heimat von einer Million Einwohner, spüren wir die Folgen dieser Politik. Die Buslinie KTEL hat ihren Betrieb eingestellt, die Menschen sind vom Umland abgeschnitten, die Auswärtigen kommen nicht mehr in die Stadt. Der Streit über Geld aus Athen breitet sich in das urbane Transportnetzwerk von Thessaloniki aus, da das lokale Busunternehmen ebenfalls angedroht hat, den Betrieb Anfang Dezember einzustellen, sollte es keine Regierungsgelder bekommen.

Mit dem Beginn des Winters wird das Geld noch knapper, Heizungskosten schnellen in die Höhe – den Griechen sei verziehen, dass sich sich wieder einmal wünschen, die EU und der IWF würden nicht darauf bestehen, sie erneut zur retten.

Anm.d.Red.: Mehr zum Thema in unserem Dossier Europakrise. Das Motiv oben stammt aus der Adbusting-Serie des Autors.

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