Wie die Zeit das Internet entdeckte

>Wie das Internet unser Leben veraendert<, kuendigt DIE ZEIT derzeit auf Plakaten, in Print und TV an, wird der erste Teil ihrer Beilagen-Trilogie erlaeutern - gefolgt von >Wie das Internet unsere Gesellschaft veraendert< und >Wie das Internet unsere Kultur veraendert<.

Man muss das typisch grossformatige Heft mehrmals drehen, um zu glauben, dass es sich nicht um eine neue Reihe des Spiegels oder gar um Fakten, Fakten, Fakten handelt. Erst das stumpf-graue Papier bringt Gewissheit: Es ist doch die ZEIT, die hier Geschichte fortschreibt, also staunt man ueber den Umfang der thematischen Platzierung. Es muss wichtig sein.

Dabei lassen schon die drei grossen Themen [Leben, Gesellschaft, Kultur] vermuten, dass hier entweder mit theoretischer Praezision vorgegangen oder in atemraubender Beliebigkeit sich ueber die Schoene Neue Welt gewundert wird. Ein erster Blick auf die Themen entpuppt sich als Reise in die Vergangenheit: >Onlinetreffs werden immer populaerer<, >Internetlaeden bieten immer neue Nervenkitzel<, >Wie man im Internet nicht auf falsche Informationen hereinfaellt<. Geschichte wiederholt sich immer wieder. In der Beilagenredaktion der ZEIT ist man wieder im positivistischen Computer-Bestaunen der Neunziger Jahre angekommen. Das waere verzeihbar als literaler Happen im Kampf um Wissenskompression im Print-Markt. Eben >Alles was man wissen muss<. Unverzeihlich jedoch ist das vollständige Fehlen einer Problematisierung oder wenigstens Reflektierung. Statt das uebliche Technik-Gerede, die iPhone-Schwaermereien und E-Learning-Phantasmen zu konterkarieren, ihnen entgegenzudenken oder mit ihnen einen neuen Diskurs zu oeffnen, wird in der ZEIT-Beilage einer analogen Zeit nachgetrauert, die es nie gegeben hat, und zugleich ein digitales Utopia entworfen, das es nie geben wird. So schliesst man die Beilage, wendet den Blick aus dem Fenster und denkt an etwas anderes. An die folgende Ausgabe nicht.

Ein Kommentar zu “Wie die Zeit das Internet entdeckte

  1. Haha! Vielen beherzten Dank – die Welt brauht echt nicht noch einen von den “… für Dummies-Ratgebern”. Die waren nämlich auch in den Neunzigern aktuell (und nötig).
    Und von der erhofften Reflektion findet sich tatsächlich kein Funke.. unglaublich.

Kommentar schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.