Wer zuerst kommt, darf laenger warten

Immer schoen hinten anstellen. Es geht hier der Reihe nach. Entlang der alltaeglichen Zivilisiertheit, weniger Ergebnis der Vernunft als Konsequenz schmaler Gaenge zwischen Warendisplays und Leitregalen: Die Schlange bezahlbereiter Konsumenten in deutschen Gross-Discountern. Jeden Tag ersteht man sich hier ein Stueck von der Welt – Einkaufswagenreisen mit dem immer gleichen Ziel: Beduerfnisbefriedigung. Und das ist gut so, und frisch und preiswert. Zumindest glauben wir das. Subtiler als die Praemiumkekse draengt sich in Augenhoehe der Eindruck auf, dass fuer viele Mitkunden der Marktbesuch die einzige oekonomische Partizipation des Tages ist.

Hier haben sie begrenzten Zugang zu einer Gesellschaft, die meist ohne sie stattfindet, ein Leben nach Marktgesetzen, in dem alle Gewinner sind, mal abgesehen von den Verlierern. Konsum geht mit Selbstverwirklichung einher, und weiter: Beide sind in Zeiten einer materiell genormten Identitaets- arbeit praktisch nicht mehr voneinander zu trennen. Und trotzdem wollen alle >billig und billiger<, Qualitaet kann fuer viele aber tatsaechlich kein realistisches Kaufargument sein. Geiz ist niemals geil, sondern oft not-wendig. Eine Frage schiebt sich zwischen Vordermann und der letzten Erkenntnis vor dem Kassenakt: Gibt es eigentlich eine Interessen- vertretung der marginalisierten Kunden? Lobbylos wie sie sind, muessten sie wohl schon selbst die Initiative ergreifen und endlich gesellschaftliche Aufmerk- samkeit erregen. Vielleicht mit einer landesweiten Aktion >gegen die kapitalistische Logik des Schlange-Stehens<, das ja eigentlich nur die hierarchischen Strukturen des Gewinner- Marktes nachzeichnet. Die Letzten nach vorne, wer zuerst kommt, darf laenger warten! Das waere ein echtes Einkaufsparadies mit einer guten Schlange nach der anderen. Mein Vordermann mit Wocheneinkauf sieht mich kurz vor dem Warenband nur mit Milch und meiner Packung Kekse unterm Arm - und laesst mich vor. Freundlichkeit bleibt unverkaeuflich.

3 Kommentare zu “Wer zuerst kommt, darf laenger warten

  1. neulich ein Pärchen im Supermarkt. Sie stehen mit Einkaufswagen vor den zwei Kassen, sind unentschlossen, welche sie nehmen sollen. An beiden stehen bereits vier Leute. Sagt der Mann: “Wer von uns schneller ist. Du stellst dich hier links an und ich rechts.”
    Ist das Sport? Wettkampf? Oder markwirtschaftliche Logik?

  2. Eher das Letztere, denke ich. Totale Ressourcenauslastung bei höchstmöglicher Erfolgswahrscheinlichkeit. Gewinnen garantiert.

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