Kollaborative Konsumenten: Gestern Weltverbesserer heute nur noch Online-Shopper?

Ko-Konsum ist ein soziales Experiment, das Ende der 1990er entstand. Hier fließt kein Geld und trotzdem kann jeder etwas bekommen. Was damals von Idealisten auf die Beine gestellt wurde, ist heute Geschäftsmodell für Internet-Start-Ups. Wie geht die Community mit diesem Widerspruch um? Berliner Gazette-Autorin Gesa Steeger mischt sich unter die Ko-Konsumenten.

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Verschenke Kartoffelsack an Selbstabholer, tausche Babysitting gegen neue Strümpfe, verleihe Bohrmaschine an Häuselbauer. Collaborative Consumption oder auch Ko-Konsum heißt diese Form des Waren- und Dienstleistungsaustauschs, in dem nicht Geld fließt, sondern zwischenmenschlicher Austausch und Vertrauensvorschüsse.

Ende der 1990ger Jahre tauchten die ersten Ko-Konsum-Plattformen im Netz auf. Den Machern ging es um das soziale Experiment, um einen Gegenentwurf zum kapitalistischen System. Es ging nicht um Profit. Es ging um Austausch innerhalb der Community, um Vertrauen, um Nachhaltigkeit. Ein Nischending für Idealisten und Weltverbesserer. Doch mit der Verbreitung des Internets, wuchs auch die Anzahl derer, die sich für diese neue Form des Konsumierens interessierten.

Vom Weltverbesserer zum Online-Shopper?

Laut einer Studie des Berliner „Instituts für Kommunikation in Sozialen Medien“ (IKOSOM) nutzen mittlerweile rund 30 Millionen Menschen Internetplattformen, auf denen sie Wissen, Daten oder Güter tauschen, verleihen oder verschenken können.

Doch nicht alle dieser neuen Konsumnetzwerke atmen noch den idealistischen Gründergeist der Anfangsjahre. Rund 60 Prozent der Plattformen sind kommerziell ausgerichtet. „Viele Leute verstehen dieses Modell mittlerweile als professionelles Businessmodell“ sagt Monika Wallhäuser von IKOSOM.

Da sei Vertrauen zwar wichtig, aber eher als Zusatzwährung. Doch was passiert mit einer Idee, die auf sozialem Bewusstsein und freiwilligem Engagement aufbaut, wenn Firmen plötzlich als Sponsoren auftreten und die Realität des Kommerz Einzug hält? Ein Artikel auf Alternet.org resümiert positiv: “The Real Sharing Economy Is Booming (And It’s Not the One Venture Capitalists Are Cashing In On)”.

Die alternative Ökonomie, sofern von unten gewachsen ist, hat bei dem digitalen Make-Over ihre Glaubwürdigkeit behalten. Noch immer spielen genügend Communities das Ko-Konsum-Spiel nach ihren selbstgewählten Regeln. Doch wie viel Freiwilligkeit, wie viel Idealismus lässt sich retten, wenn das Spiel immer mehr zur Routine wird und auch deshalb immer mehr Professionalität verlangt?

OuiShare: Idealismus und Geldverdienen, beides soll gehen

Das fragt sich auch Thomas Dönnebrink von OuiShare. Die Organisation, die sich das kollaborative Konsumieren und Wirtschaften auf die Fahnen geschrieben hat, ist zwar bisher gemeinnützig und wird ausschließlich von freiwilligem Engagement getragen. Doch der wachsende Erfolg könnte dazu führen, dass bei OuiShare in Zukunft neue Organisationsstrukturen Einzug halten.

„Um die Organisation so weiter zu führen, wie bisher, brauchen wir Leute, die sich Vollzeit mit Leidenschaft und Expertise einbringen “, erklärt Dönnebrink. Dass könnten Freiwillige gar nicht mehr leisten und daher müsse langfristig mehr Geld in die Kasse kommen. Sponsoren könnten da eine Lösung sein. Aber wie erklärt man der Community, das aus “idealistisch” und “nichtkommerziell” zukünftig “professionell” und “kommerziell” wird? Dass sei eben das Problem, meint Dönnebrink. Die Verbindung von idealistischem Engagement und ökonomischen Zwängen, sei schwierig, aber nicht unlösbar.

Dönnebrink schwebt ein System vor, dass von Transparenz und Vertrauen getragen wird. In dem gemeinschaftlich entschieden wird, wer wie viel Geld bekommt und in dem die Übergange zwischen freiwilligem Engagement und professioneller Lohnarbeit fließend sind und das inhaltlich drängende Fragen der Zeit aufgreift: Ab wann muss Arbeit bezahlt werden? Wie viel Selbstausbeutung leiste ich mir? Wie schaffe ich den Übergang vom freiwilligen Engagement zum professionellen Job? Ein soziales Experiment, dass sich an dem Gründergeist der 1990er Jahre orientiert und sich einreiht in den endlosen Kreislauf von tauschen, geben und nehmen.

Anm.d.Red.: Die hier portraitierten Projektemacher waren Gäste bei der Berliner Gazette-Jahreskonferenz COMPLICITY. Die Fotos im Text zeigen Thomas Doennebrink und Monika Wallhäuser bei der Gruppenarbeit und sind im Rahmen des Workshops “Amateure & Profis” entstanden, Credit: Andi Weiland | berlinergazette.de. Die umfangreiche Dokumentation der Konferenz (Live-Videos, Graphic Recordings, etc. findet sich hier: berlinergazette.de/complicity.

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