Weiße Flecken im Netz

Letzten Oktober haben wir uns in London getroffen, zwei Freunde aus Studienzeiten kamen aus Helsinki und New York angereist. Auf Nostalgietour gravitierten wir in den Südwesten, denn: Wie sieht eigentlich das Wohnheim, in dem wir uns kennengelernt haben, heute aus? In Battersea kehrten wir nach langem Spaziergang in unsere einstige Wohnstraße ein, konnten aber das Hochhaus nicht mehr finden. Nur diese Sandhaufen mit Bauzaun. Da ruft der iPhone Besitzer aus Suomi: Hier bei Street View steht es noch!

Angefeuert durch den Recherche-Erfolg ließ mein Kumpan den Blick nicht mehr von Google Maps und kündete an, dass dort drüben ein Restaurant oder eine Kneipe zu finden sei. Beim einfachen Hinschauen sahen wir gleich mehrere auf einmal.

Reclaim the Street View

Gedankenpurzeln: Reclaim the Street View! Mit dem SmartPhone die situationistische Revolte evozieren! Mit Nike im April einen Londoner Postbezirk erobern (Claim the Street!) – und von einer Telefonzelle (sogenannte StreetTalks, die dem Werbetafelanbieter JCDecaud gehören) zur anderen rennen. Funktioniert das Derive in der internetgetriebenen Spektakelwelt? Ich nahm erneut Street View in den Blick und begann in Dalston, meinem Wohnort vor einigen Jahren.

Mein Nachbar, der mir seinerzeit das Vorderrad meines Fahrrads aus dem Hintergarten geklaut hatte, bastelte auch auf den Googlefotos mit einem Kumpel an Zweirädern, offensichtlich ohne das dunkle Kameraauto wahrgenommen zu haben. Auf der befahrenen Kingsland Road liess ich mich dann Mausklicktreiben. Ein roter Doppeldeckerbus versperrt den Blick auf die Geschäfte, ein kleiner Freudenmoment.

Weil mich Street View einerseits fasziniert, andererseits vollkommen ankotzt, nahm ich vorige Woche das Google Hauptquartier in Hamburg auf. Kamera auf Stativ, ABC Straße beim Gänsemarkt, verglastes Mehrbürohaus. Nach 50 Bildern wieder weg. Ein kurzer Blick bei Street View: Wie sehen die Google-Häuser andernorts aus – genau so, nur ohne die kleinen Werbevierecke, die auf anderen Gebäuden kleben.

Kürzlich gelesen: Tausende haben Einspruch bei Google eingelegt gegen den Nutzen ihres Wohnorts für Internetwerbung. Vielleicht ein Lager aufschlagen gegenüber dem HQ in der Hamburger Alphabetstraße, wie die Falun-Gong-Protestierenden gegenüber der chinesischen Botschaft in London, und Street View wird durchlöchert von weißen Flecken. Zu schön.

8 Kommentare zu “Weiße Flecken im Netz

  1. Meinst Du nicht, Du übertreibst etwas mit dieser Anti-Street-View-Einstellung, durch Satelliten etc. ist die Erde doch schon länger immer überwachbar!

  2. @richard: wie man sowas angeht ist sicherlich auch ein stückweit geschmacksache, und ich bin auch nicht unbedingt fan von dieser der intervention, aber wir sollten nicht vergessen: neue formen der überwachung sollten nicht durch alte, bereits durchgesetzte formen der überwachung legitimiert werden. im gegenteil. neue formen sollten alte formen in frage stellen; der kampf gegen neue formen sollte alte formen vielleicht ebenfalls zum ziel machen.

  3. Mir ist diese Problematik nur durch einen solchen Text zu vermitteln, denn ich habe die Arbeit von Google auf unseren Straßen noch nicht persönlich mitbekommen, geschweige denn Protestaktionen dagegen. Insofern scheint mir einerseits Sichtbarkeit ein wichtiges Thema zu sein, andererseits Vermittlung.

    Die Aufgabe der Kunst besteht nicht darin, dogmatische, pädagogische oder didaktische Aufklärung zu betreiben, sondern ein ästhetisch denkwürdiges Verhältnis von Sichtbarkeit und Vermittlung hervorzubringen.

  4. Sehr geehrter Herr Woznicki,

    wir möchten Sie darauf hinweisen, dass wir am Montag, den 28.06.2010 um 18 Uhr eine Podiumsdiskussion zum Thema Google Street View im Raum 017 ITZ an der Universität Passau veranstalten. Wenn Sie interessiert sind und kommen wollen, schreiben Sie uns bitte eine Rückmeldung per e-mail oder Fax.

    GOOGLE STREET VIEW

    Was will Google fotografieren und weltweit zeigen? Welche Strategie verfolgt das Unternehmen? Was können Bürgerinnen und Bürger gegen Street View unternehmen?

    In diesem Jahr möchte Google Aufnahmen von allen Häusern in Deutschland für seinen Dienst “Street View” in das Internet stellen. Seit 2008 sind dazu Fahrzeuge mit speziellen Kameras unterwegs, um ganze Straßenzüge zu fotografieren. Aus diesen Bildern sollen 360° – Panorama-Ansichten von Plätzen und Straßen in Deutschland entstehen, die von jedem Interessierten weltweit betrachtet werden können. So wirbt Google für Street View: „Erkunden Sie die Welt und zeigen Sie Ihren Freunden, wo Sie leben.“

    Der Suchmaschinen-Gigant Google fotografiert, ohne Mieter, Eigentümer oder Passanten um Erlaubnis zu fragen. Das ist umstritten und deshalb verschleiert das Unternehmen mit einer speziellen Software auf seinen Aufnahmen Gesichter und Autokennzeichen. Hausnummern zum Beispiel sowie das Wohn- und Lebensumfeld von Mietern und Eigentümern bleiben aber erkennbar, was besonders bei abgebildeten Ein-, Zwei- und kleinen Mehrfamilienhäusern einen erheblichen Eingriff in die Privatsphäre bedeutet.

    Datenschützer haben daher bereits Alarm geschlagen und Google hat sich verpflichtet, Häuser auf Antrag vor Veröffentlichung in “Street View” und auch danach unkenntlich zu machen oder aus den Bildern zu entfernen.

    Ich würde mich freuen, Sie bei dieser Veranstaltung begrüßen zu können.

    Mit freundlichen Grüßen aus dem mit Biergartenwetter gesegneten Regensburg
    Matthias Fischer

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