Wahrnehmungswelten

Meist nutze ich das Medium am spaeten Abend, als Schlafpille sozusagen. Dann stehen meist die Tagesthemen auf dem Programm, und danach manchmal noch Harald Schmidt. Aber nicht immer. Schmidt haelt man nicht immer aus. Auf Dauer wirkt er naemlich verdammt langweilig. Es kommt aber auch vor, dass wir zur prime time einen Thriller oder Kinohit auf SAT1, RTL, oder ProSieben gucken oder Sonntag Abend dem >Tatort< folgen. Aber auch der eine oder andere Fussball-Termin wird von mir nicht ausgelassen. Seitdem meine Frau ihre Liebe zu Bayer Leverkusen entdeckt hat, guckt sie Fussball mit.

Ich gehoere zu der post-68er-Generation, die zum ersten Mal grossflaechig durch das Fernsehen sozialisiert worden ist. Anders als unsere revoltierenden Vorgaenger wuchsen wir nicht mit Sartre, dem >Zauberberg< oder den >Wirrungen des jungen Toerless< auf, sondern wurden mit >Lassie<, >Fury< und >Rin Tin Tin< am Nachmittag, sowie mit den Familien-Soaps >Vater ist der Beste< bzw. >Mutter ist die Allerbeste< amerikanisiert, ehe wir uns dann fuer Jimi Hendrix, Frank Zappa oder Jefferson Airplane begeistert haben. Insofern habe ich auch keine Beruehrungsaengste, weder mit dem Fernsehen noch mit anderen Medien der Popkultur. Fernsehen verdummt nicht mehr als Schinderhannes. Meine Befuerchtung ist eher, dass es ab und an die Massen zu bestimmten Haltungen und Meinungen verfuehrt oder anstachelt. Ein Zeitlang herrschte ja hierzulande, ausgeloest durch die Luhmann-Rezeption, die Meinung vor, dass Medien, und insbesondere das Fernsehen, Zuschauer und User mit ihren Botschaften aufgrund zunehmender Medien-Diversifikation, aber auch wegen der Struktur des Gehirns gar nicht erreichen, geschweige denn manipulieren und verdummen koennten. Das ist aber, wie wir wissen, ein Trugschluss. Allein die Bilder- und Betroffenheits-Berichterstattung zur Flut, die, wie wir wissen, die Bundestagswahl entscheidend umgedreht haben, zeigt, welche Moeglichkeiten das Fernsehen bietet, wenn es gilt, das Publikum auf eine Sache einzuschwoeren, oder es fuer bestimmte Dinge und Zwecke zu sensibilisieren und zu vereinnahmen. Die empirischen Forschungen der 20er Jahre in den USA sind da einschlaegig. Sie muessten nur richtig gewuerdigt werden. Ich glaube nicht, dass das Fernsehen sich in den naechsten Jahren grundlegend veraendern wird. Wer will sich schon auf diesen Mini-Bildschirmen ein Fussballspiel ansehen? Vermutlich zielt die Entwicklung eher in eine andere Richtung. Das Fernsehen wird versuchen, das Kino nachzuahmen. Das heisst, der Trend wird zu grossflaechigen Formaten gehen, zu Heimkino aehnlichen Strukturen einerseits, sowie zu gemeinschaftlichen Erlebnissen andererseits. Bei der WM in Suedkorea hat man gesehen, wie das aussehen koennte. Das Fernsehen ist dort erstaunlich selbstreflexiv geworden, es berichtet dann wieder ueber sich selbst. Wenn ich meinen Sohn anschaue, ein typischer Vertreter der Handy- und Internet-Generation, dann guckt der Fussball nur in Kneipen. Zu Hause interessiert ihn das Null. Inhaltlich werden wir wohl noch einige Niveau-Unterschreitungen erleben. Nach unten sind die Schranken offen. Das garantiert schon unser Bildungssystem, das auch staendig das Niveau nach unten schraubt, indem es den Kindern und Jugendlichen immer weniger abverlangt, gleichzeitig aber die Abiturienten- und Studentenzahlen steigern will. Und auch was Sex, Drugs und Gewalt oder den Trend, andere zu Spott- und Witzfiguren zu machen oder sich vor laufender Kamera einem Seelen-Striptease zu unterziehen angeht, haben wir gewiss noch laengst nicht die Fahnenstange erreicht. Mit nicht zu unterschaetzenden Folgen und Auswirkungen auf die Wahrnehmungswelt unsere Kinder. Denn was muessen die fuer einen Eindruck von der Welt und den Beziehungen der Menschen untereinander haben, wenn sie ihre Erfahrungen ausschliesslich ueber solche Sendungen beziehen?

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