Von Innen erneuern

Ich bin Doktorand an der University of Cambridge und arbeite ueber die transatlantische Sicherheit nach dem Kalten Krieg im Studienbereich Internationale Beziehungen. Zuvor habe ich in Oslo Geschichte und Politikwissenschaften studiert und bin seit Mai 2003 Direktor der Sicherheitsabteilung am >Oxford Council on Good Governance< - ein liberales, unparteiisches Think Tank. Zur Zeit habe ich ein Fulbright Stipendium and der Columbia Universitaet in New York. [Zuletzt erschien in der Berliner Gazette ein Beitrag Tojes ueber den Iran, 31.03.2004].

Als unabhaengige Disziplin ist das Fach Internationale Beziehungen mehr oder weniger aus einem Buch von Edward Hallett Carr >The Twenty Years Crisis 1919 ­ 1939< hervorgegangen. Carr versuchte darin zu erklaeren, wie es dazu kommen konnte, dass so viele Menschen so lange die Intentionen von Nazi-Deutschland missinterpretiert haben. Carr war gegen die Einfuehrung von Internationalen Beziehungen als unabhaengige akademische Disziplin, denn er befuerchtete mit einiger Berechtigung, dass das politikwissenschaftliche Element in politischen und ideologischen Kommentaren verloren gehen koennte. Das Buch wurde zu einem der Grundstein in der Tradition des politischen Realismus. Kulturtheorien hatten immer eine prominente Stellung innerhalb der internationalen Beziehungen. Die heutigen Kulturtheoretiker im Bereich der nationalen Sicherheitsstudien sind eine heterogene Gruppe, die eine Vielfalt an Fragen und Theorien beisteuern. Allerdings sind so gut wie alle Kulturtheoretiker, die sich mit internationalen Beziehungen beschaeftigen davon ueberzeugt, dass der Realismus, der Faktoren wie das materielle Machtgleichgewicht an erste Stelle setzt, ein theoretischer Ansatz sei, der sich ausgelebt habe. Ihrer Meinung nach sind Kulturtheorien, die >ideationalen< Faktoren beruecksichtigen, viel besser dazu geeignet, zu erklaeren, wie die Welt funktioniert. Die Studenten der 1970er Jahre Generation sind nun Professoren und verharren in den Theorien, die sie damals gepraegt haben. Obwohl die Idee, dass der Mensch ein vollstaendig konstruiertes Wesen ist, sich als falsch erwiesen hat, scheint sie das Paradigma der europaeischen Sozialwissenschaften zu bleiben. Die Tatsache, dass die Nuetzlichkeit dieser Annahme kaum angezweifelt wird, birgt allerdings eine Chance, denn dieser Umstand ermoeglicht es uns dem Wesentlichen anzunaehern: Zum Beispiel sich der Tatsache zu vergewissern, dass der Nationalstaat, ebenso wie Buendnisse, soziale Konstrukte sind. Konstruktivismus ist nicht zuletzt deshalb notwendig, weil er Vorreiter der europaeischen Integration ist: Er bietet die Moeglichkeit, dass wir uns durch gemeinsame Abmachungen ueber die Geschichte der Realpolitik und der Kriege erheben, die Europa ueber Jahrhunderte verfolgt haben. Die Integration wuerde niemals funktionieren, wenn wir Staaten allein anhand ihrer historischen Laufbahn bewerten wuerden. Das Problem dabei ist allerdings, dass Forschung, die von Erwartungen an die Zukunft gepraegt ist, die Gefahr birgt, die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen. Die Idee >Aussenkulturbeziehungen< als ein neues Studiengebiet zu etablieren sehe ich eher skeptisch. Was man durch die Unterteilung von Unterdisziplin wie Gender Studies, Ethnic Studies, Area Studies und Cultural Studies als unabhaengige Faecher gewinnen kann, geht oftmals durch die Verwirrung, die sie erzeugen, verloren. Meiner Meinung nach fuehren solche Unterdisziplinen dazu, dass ein allgemeines Verstaendnis ueber das Studiengebiet verschwindet; darueber was die Hauptforschungsfragen sind und wie sie sich verstehen lassen. Die Frage der >Kultur< ist ein Faktor, der von den Internationalen Beziehungen beruecksichtigt werden muss, aber ich finde nicht, dass es gerechtfertigt ist, hierfuer ein eignes Studienfach zu haben. Allgemein gesprochen koennen solche Versuche, ein Geschlecht, eine Region oder eine Kultur aus dem groesseren Kontext zu entfernen, immer nur einaeugig sein. Die Einrichtung solcher Disziplin wie die >Kulturwissenschaft< hat vielleicht mehr mit der Anstellung einer grossen Anzahl an Sozialwissenschaftlern, die die deutschen Universitaeten produzieren, als mit dem tatsaechlichen Bedarf fuer solch ein Forschungsgebiet zu tun. Auf Kultur sollte bei den internationalen Verhaeltnissen als letzter Faktor zurueckgegriffen werden. Denn Kultur birgt die Gefahr, die Fortschritte der Sozialwissenschaft umzukehren und Phaenomene, die sich mit messbaren Variablen erklaeren lassen, in ein schwarzes Loch fallen zu lassen, welches, Kultur genannt, im Grunde nur einen Rueckschritt in die Zeit vor den Sozialwissenschaften bedeutet. Ein Beispiel ist, dass die militaerisch schwache Europaeische Union so darauf aus ist, Konflikte zu vermeiden, waehrend die militaerisch hochgeruesteten Vereinigten Staaten eine eher offensive Haltung einnehmen, koennte mit der fast schon mystischen Verbindung unter dem Label >strategische Kultur< versponnen werden. Demnach koennen Entscheidungen nicht unabhaengig von einem kulturellen Kontext existieren. Und daraus folgt, dass gute Anthropologie ein Fundament fuer gute Strategien ist. So wie Sun Tzu Wu vor 2500 Jahren meinte: >Kenne den Feind und dich selbst und du wirst Hundert Schlachten gewinnen.< Kulturelle Erklaerungen muessen nicht zwingend andere Erklaerungen ausschliessen, aber vielmehr koennen bewaehrte Modelle durch eine kulturelle Dimension verbessert werden.

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