Von Facebook ins Feuilleton


Zuerst ein Geständnis: Ich liebe das Internet und Facebook ist mein liebstes Spielzeug. Doch eines kann das Netz nie vollständig ersetzen: Die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Ich lerne nur im Umgang mit realen Menschen. Ich lerne aus dem Zusammenspiel ihrer Gestik und Mimik, ich lerne aus der Schnelligkeit, mit der unser reales Gespräch im Gegensatz zum textbasierten Chatten vonstatten geht.

Überhaupt war das Lernen bei mir schon immer an die persönliche Begegnung gebunden und die Sympathie für den Lehrer. So ein Lehrer kann ein eindrucksvoller Charakter sein: ein bewundernswerter Komödiant oder ein liebenswerter Nerd. Von wem ich wirklich lernen wollte, hing immer von der Persönlichkeit ab.

Auch wenn ich noch recht jung bin, kann ich doch sagen, dass sich das Lernen in den letzten Jahren stark verändert hat. Als mein Großvater zur Schule ging, war es ja vielleicht noch sinnvoll, die Flüsse der Umgebung auswendig zu lernen. Doch heute muss Schule grundsätzlich Anderes leisten. Standardisierte Lehrpläne lassen uns jedenfalls nicht zu wertvollen Mitgliedern einer hyperkomplexen, globalisierten Welt werden.

Lehrpläne auf Eis legen

Mein Auswendiglernen von historischen Daten hat mir langfristig nichts gebracht. Wohl aber das Beobachten und Vergleichen von Entwicklungen innerhalb großer Zeiträume im Gespräch mit meinem Geschichtslehrer. Diese grundlegenden Gedanken über die Menschheit und das Entstehen von sozialen Bewegungen prägen noch heute meine Sicht.

Darum muss sich Schule als Ort der Selbstbildung verstehen. Da muss es möglich sein, jeden anderen Unterricht für ein paar Wochen auf Eis zu legen, um ein großes Theaterprojekt zu machen, weil in dieser Zeit durch eigenverantwortliches und gemeinschaftliches Arbeiten so viel wertvolle Charakterbildung von statten geht.

Da es an meiner Schule nicht dazu kam, musste ich mir diese Form der Bildung in meiner Freizeit holen. Das war gut, weil es mir die Freiheit gab, abseits des Bewertungssystems mit neuen Leuten zu arbeiten. Aber ich sah auch, dass einige meiner Mitschüler so eine Erfahrung gut hätten gebrauchen können.

Durch Workshops Zugang schaffen

Inzwischen bin ich raus aus der Schule und mache meine eigenen Projekte. Eines davon heißt Junge Feuilletonisten. Wir sind eine Gruppe engagierter Journalisten und haben uns zum Ziel gesetzt, Workshops für angehende Kulturschreiber zu organisieren.

Wir weigern uns, gutes Schreiben zu unterrichten. Lieber machen wir es uns schwer und versuchen, für unsere Teilnehmer Möglichkeiten zu schaffen, sich auszuprobieren und so die eigene Sprache zu finden. Das kann über Schreibübungen, Feedback und Diskussionen funktionieren– wir wollen das entfachen, was in ihnen und in uns selbst schlummert.

Bei unserem ersten Workshop ging es darum, dass die Teilnehmer eine Rezension zu einem Theaterstück über Rosa Luxemburg schreiben sollten. Wir hatten einen Block vorgesehen, um über mehr zu diskutieren als die Auswahl der Kostüme (gleichwohl ein spannendes Thema bei dieser Produktion!). Wir hatten Anregungen für die inhaltliche Auseinandersetzung, aber was daraus entstand, war von Gruppe zu Gruppe individuell: Von Grabenkämpfen zwischen Kommunismusanhängern und Jungen Liberalen bis gemeinschaftlichem Resignieren über die Unerfüllbarkeit von Idealen war alles dabei.

Die Texte, die in diesem Workshop entstanden, sollten veröffentlicht werden. Nur wo? Wir haben beschlossen ein eigenes Medium ins Leben zu rufen. Zusammen mit der Jungen Presse Berlin haben wir Anfang 2009 eine Webseite angelegt und im Zuge eines weiteren Workshops “Brennpunkt F!” gegründet. Brennpunkt F! versteht sich als Experimentierfeld, das jungen Menschen die Chance gibt, ihre Texte zu veröffentlichen. Es steht dabei glücklicherweise nicht unter dem Zwang jede Woche einen Text zu veröffentlichen. Lieber bleiben wir sporadisch und arbeiten mit den Autoren am best möglichen Ergebnis.

Feuilleton ohne Hierarchien

“Brennpunkt F!” war unsere Antwort auf die Feststellung, dass die Reflexion über Kultur in Schulen viel zu kurz kommt. Deutschlehrer missbrauchen Theater, um der Lektüre nach wochenlanger Wortklauberei noch irgendein nettes Erlebnis abzugewinnen, und die meisten Schülerzeitungen zeigen sich in Sachen Kultur leider im Sternchensystem verhaftet.

Das Wort Feuilleton wirkt natürlich erstmal schrecklich antiquiert und schreit nach Bildungsbürgertum. Ich denke, gerade deshalb muss es unsere Aufgabe sein, neue Formen zu finden oder uns für die vorhandenen Formen einen eigenen Zugang zu erobern. Tatsächlich ist das Feuilleton nämlich ein unterschätztes Juwel: Es denkt interdisziplinär und lässt Raum für die großen Debatten unserer Zeit.

Das Besondere ist, dass wir dieses Projekt gemeinsam kreieren. Wir bauen kein Autoritätsgefälle zwischen uns und den Teilnehmern auf, versuchen vielmehr es zu überwinden, weil wir uns nicht als wissend begreifen, sondern ja auch selbst noch auf der Suche sind.

13 Kommentare zu “Von Facebook ins Feuilleton

  1. meine frage: was genau ist für dich als junger mensch denn der unterschätzte wert des feuilletons? “Es denkt interdisziplinär und lässt Raum für die großen Debatten” – klingt so allgemein. Was ziehst du persönlich daraus? Kannst du all das nicht auch im Internet bekommmen?

  2. Was ist wichtiger: Die Forderung an die Schule zu stellen, sie möge Freiräume für Theater-Projekte schaffen? Oder diese Forderung durchsetzten? ich frage auch, weil ich finde, dass es nicht schlecht ist, dass Deine Schule diese Möglichkeit Dir nicht bieten konnte und Du Dir deshalb erstmal selbst behelfen musstest. Wenn die Schulen alles bieten würden, was das Herz begehrt, gäbe es vielleicht keine Selbstorganisation in dieser Art.

  3. Ich finde: Raus aus der Schule, rein ins Leben! Man kann alles machen, da draußen und die Schule ist nur ein kleiner Teil. Sie wird immer viel zu sehr aufgeblasen und überladen, als wenn es nichts anderes gäbe auf der welt. Dass du dier ausgerechent das Feuilleton als Spielwise gesucht hast: wunderbar aus der Zeit gefallen – aber meinst du, damit kommst du wirklich weiter, vor allem bei jungen menschen? die interessieren isch nun ja nicht grade für interdisziplinäre ansätze – oder?

  4. @Organspender: Unterschätzt ist das Feuilleton schon, wenn man hier schreibt, dass Twitter ein Ersatz dafür sein könnte. Feuilleton im besten Sinne ist eine Insel der Seeligen, ein kontemplativer Freiraum in unserer hyperinformierten Welt. Das Feuilleton muss begreifen, dass es nicht darum geht, der erste zu sein, der die CD bespricht, sondern qualitativ hochwertige Beiträge auch zu gesellschaftlichen Entwicklungen zu schreiben und sich dabei Zeit zu lassen. Eine Form wie in der ZEIT, wo Themenstränge über Wochen hinweg verfolgt und immer wieder neu aufgerollt werden, ist mit 140 Zeichen nicht zu ersetzen.

    @ran: Ich frage mich immer, wie viele SchülerInnen so wie ich aus sich heraus in die Welt gehen und sich künstlerisch-kreativ austoben. Dass sie es alle können, steht außer Frage, aber Zugänge haben doch die meisten gar nicht. Und das ist keine Frage der Schulformen, sondern eine Frage, wie wir Schule begreifen und organisieren. Schulen müssen Bildungsanstalten im Sinne der Selbstbildung werden. Es geht nicht darum, alle zu zwingen, jedes Jahr ein Musical aufzuführen. Oder ständig hochtrabend-anmaßende Abhandlungen über Shakespeare heute zu schreiben. Wenn aber niemand jungen Menschen vermittelt, wie viel Spaß Kultur machen kann und dass man keine Angst vor Kunst haben muss, wie sollen die denn alle auf die Idee kommen, sich damit zu beschäftigen? Von dort sollen sie ausschwärmen in die Welt und eigene Projekte machen, aber die Chance Schule derart zu vertun, ist mir unbegreiflich.

    @ Mrs. Deeds: Ich bin vorsichtig mit Urteilen wie “Jugendliche wollen keine Interdisziplinarität”. Viel zu viele wissen, was Jugendliche wollen und richten ihre Angebote danach aus. Ich jedenfalls kann die ganzen “jugendnahen” Hiphop-Projekte nicht mehr sehen. Feuilleton ist natürlich von viel weniger Lebensrealität von jungen Menschen, aber das ist mir doch herzlich egal, wofür sich diese Leute interessieren, bevor sie mit uns Workshops machen. Wenn sich ihr Blickwinkel aber hinterher geweitet hat, ist das doch ein toller Erfolg. Und wenn sie es verwerfen, nun gut, ich bin ja nicht der Messiahs. Verlorene Liebesmüh kann ich hier nicht erkennen.

    @Jerome Kaiser: Welch wunderschön nonchalanter Seitenhieb.

  5. ich freue mich, wie viel Diskussionsstoff das Feuilleton hergeben kann! Ein Zusammenprall zwischen Feuilleton und Internet gab es neulich ja im Zuge der Hegemann-Debatte – und man sieht, wie nah das Feuilleton am Puls der Zeit ist. Ich denke, dass man fragen muss, wie das Feuilleton der Zukunft aussieht. Meiner Meinung nach ist es nicht an das Format Zeitung gebunden, sondern ist viel eher ein Ort, der auch mit der Zeit gehen kann. Oder?

  6. man muss das eine gar nicht gegen das andere ausspielen. das eine sind nachrichten (twitter), das andere ist hochkultur (feuilleton). so ist mein standpunkt. finde ich gut, wenn sich auch die nachfolgenden generationen fürs feuilleton erhitzen!

  7. eigentlich kann ein Neudenken des Feuilleton nur aus dem Internet kommen! oder?

  8. also ich für meinen teil bin ein großer feuilleton-fan – auch wenn ich es erst spät wurde. zum glück gibt es das digitale mini-feuilleton – da kommt man als auch surfer noch mal auf den geschmack ;)

  9. Kreativität, Kultur und damit auch Kunst sind die einzigen Recourcen, die wir hier haben. Nur mit ihnen können wir in einer globalen Welt noch punkten. Aber wir haben schon viel an Terrain davon abgeben müssen. Deshalb ist es unbegreiflich, warum bei Kürzungen der Mittel die Kulturhaushalte immer an erster Stelle stehen.

    Aktivitäten mit Schülern und Menschen in Workshops sind wichtiger, als nach neuen Ölfeldern zu bohren, die es hier kaum geben wird. Im Feuilleton finden wir unsere Schätze. Dort müssen die aktuellen Diskurse geführt werden. Dazu ist dieser Beitrag hier ein wertvoller und wichtiger Schritt. Dank an den Autor und weiter so!

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