Vertrauen ohne Rueckhalt

Sie fragen mich, ob es einen Zusammenhang zwischen dem Ozean und der Gemeinschaft gibt. Ich weiss es nicht. Ich persoenlich bin ein bisschen allergisch gegen fluessige Metaphern: fluessige Gesellschaften, fluessige Identitaeten, usw. Meiner Meinung nach steckt in den Rhetoriken des Fluiden eine Art schlechtes Gewissen. Dieses schlechte Gewissen zwingt uns dazu, ein soziales Modell durch Beschreibungen des Offensichtlichen zu theoritisieren.

Ich denke: Es muss nicht extra betont werden, wie es Zygmunt Bauman sehr gut tat, dass sich der postmoderne Kapitalismus im Bild der fluessigen Gesellschaft spiegelt. Genauer gesagt im Bild eines Buergers, welcher kein anderes Ziel hat, als zu konsumieren, und der in der Lage zu sein scheint, seine eigene Identitaet, als waere sie Wasser, von einer Flasche in die andere zu schuetten.

Eine Gesellschaft besteht aus Koerpern, die ueberhaupt nicht fluessig sind. Die Koerper bestehen aus Wasser, aber sie sind nicht fluessig. Sie sind in ihrer Form nicht fluessig. Sie haben eine Form, einen Widerstand, der sie davon abhaelt, fluessig zu werden, zu fliessen. Die Koerper beruehren sich, aber sie fliessen nicht. Der Mensch ertrinkt im Fluessigen. Der Mensch ist ein Bewohner der Erde. Er braucht Erde, ich wuerde auch sagen, er braucht Verwurzelung, um Gemeinschaft zu erfahren. Der Mensch hat keine fluessige Identitaet. Der Mensch hatte schon immer eine erdverbundene Identitaet. Und die Geschichte der menschlichen Gemeinschaft ist die Geschichte des Versuches, mit den nicht fliessenden Koerpern zu leben, die nicht einmal gleiten, sondern die sich selbst gegenueber resistent sind.

Das Problem der menschlichen Gesellschaft ist nicht das einer Hydrologie, sondern einer Ontologie. Es gibt ein ontologisches Problem des Zusammenlebens. Oder, noch besser, wie es Marc Crepon ausdrueckte: Es geht immer um das Problem des Zusammenlebens auf einer Erde, die begrenzt ist, auf der man nicht von der Stroemung mitgezogen werden kann. Der Mensch hat das Problem des Zusammenlebens mit festen Koerpern, die der Schwerkraft der Erde unterliegen, die seinem Widerstand unterliegen, die seinen Grenzen und den schmerzhaften Bruechen unterliegen, die entstehen, wenn Koerper sich gegenseitig provozieren, sich treffen.

Dieses Misstrauen gegenueber dem fluessigen Element hege ich vielleicht auch deshalb, weil das Wasser immer ein fremdes Element in meinem Leben war. Waehrend das Feuer, die Erde und die Luft in mir immer Freude ausloesten, bedeutete Wasser fuer mich immer Gefahr, ein Risiko, das ich nicht eingehen wollte. Ich kann selber nicht sagen, warum, aber da war immer die Tiefe des Wassers, seine unendliche Tiefe. Es ist eine beschaedigte Beziehung.

Ich habe nie wirklich schwimmen gelernt. Als Kind hatte ich Angst, die Bewegungen des Koerpers im Wasser nicht zu beherrschen. Das Wasser entwischt. Es gibt keinen Halt. Man muss sich ihm hingeben, um in ihm frei zu bleiben, frei von der Schwerkraft der Erde, von ihrem harten Widerstand. Vielleicht hat mir gerade diese Faehigkeit, sich hinzugeben, immer gefehlt. Eine totale Hingabe, eine Art Vertrauen ohne Rueckhalt. Dieses Vertrauen hatte ich nie. Ich wollte immer alles sehen, kontrollieren, den unsichtbaren Grund der Dinge beruehren, wie die Erfahrung von Luft, die die Haut beruehrt. Wasser ist durchsichtig, aber es gibt kein wirkliches Gefuehl der Entfernung, man ist sofort drin, oder sofort wieder draussen.

Vielleicht ist dieser Taumel des sofort-drin-seins der Grund, warum ich das Reinspringen immer liebte. Ins Wasser fallen, eintreten, um sofort wieder raus zu kommen. Der Sprung und die Flucht, aber nie die Hingabe. Wasser, Haut. Wasser auf der Haut. Unerwartete Kaelte. Wasser, das fliesst, und die Haut fuehlbar macht. Das Zittern der Kaelte auf der Haut, wo die Poren aufragen. Aber eben Wasser, Haut. Es gibt einen Unterschied, einen sehr kleinen, aber es gibt ihn, und wir koennen ihn nicht auffuellen [weder mit Wasser, noch mit Erde]: Die Bedeutung, ein Mensch zu sein.

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