Verflüssigungen

In unseren Zeiten ist die Beschleunigung aufs Engste mit der zunehmenden Geschwindigkeit der Informationsuebermittlung verknuepft. Informationen, die uns erreichen, veraendern die Richtung, in die wir uns bewegen und dies verwandelt sich in Informationen, die wiederum die Richtung derer modifizieren, die uns umgeben. Es ist offensichtlich, dass die Beschleunigung, die durch die neuen Medien hervorgebracht wird und die eine zunehmend grosse Informationsmasse in Umlauf bringt, sich in jeder Kleinigkeit unseres Alltags bemerkbar macht.

Waehrend wir unter diesen Bedingungen mit der Welt in Verbindung stehen, beeinflussen die Medien, mit denen wir Informationen aufnehmen und uebermitteln, unsere Wahrnehmung von Zeit und reflektieren darueber hinaus die Beschleunigung unserer Umwelt. Darum koennen wir in Wirklichkeit nicht mehr von geografischen Zonen mit vergleichbaren Eigenschaften sprechen, sondern vielmehr von Nischen, Schwaermen, Knotenpunkten, die, selbst wenn einander physisch Nahe stehend, sich vielmehr ueber unterschiedliche Grade der Vernetztheit, der Aktivitaet und des Austauschs in Bezug zueinander setzen. Jedenfalls ist die Zeit und unsere Wahrnehmung derselben, wie so vieles andere auch, etwas, das sich ueber das Modell der Gleichzeitigkeit darstellen laesst: das Persoenliche, das Lokale und das Globale. Abhaengig davon, wie wir diese unterschiedlichen Schichten ordnen, erschliessen wir uns unsere Umwelt.

In meinen Arbeiten geht es darum, das Paradoxon zwischen dem Persoenlichen und dem Sozialen [Lokalen und Globalen] fruchtbar zu machen. Wem gehoert meine Zeit? Hat meine Zeit groesseren Wert oder die Zeit der anderen? Laeuft meine Zeit ab? Verschenke ich sie? Wird sie mir gestohlen? Ist die soziale Zeit eine, die uns grundsaetzlich entfremdet? Die Gesellschaft muss den Zeitverlauf objektivieren, damit der Austausch zwischen den unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren funktionieren kann. Die Globalisierung der Produktionsprozesse bedarf wiederum einer universaliserten Zeit, was eine Analogie im Abstraktionsgrad des global fliessenden Geldes findet. Die Werkzeuge, die uns die Kunst zur Reflektion zur Verfuegung stellt, eine Kunst, die inmitten der sich staendig beschleunigenden Informationsfluesse, eine Art Stoerfaktor bildet, stellen das Paradigma der Transparenz und Objektivitaet infrage und ebnen einer kritischen Perspektive auf die Beschleunigung als Ideal des Forschritts und sozialen Wohlstands den Weg.

Mein Projekt >Time Notes< besteht aus einer Serie von Aktionen, denen ein neues Geldsystem zugrunde liegt: Geldscheine, deren Wert nach Zeiteinheiten bemessen wird [Minuten, Jahre]. Lanciert wurde es vor dem Rathaus von Neukoelln, Berlin. Die Passanten sollten dazu angeregt werden, den monetaeren Kreislauf zu hinterfragen. Dazu wurde ein Stand in einem Kiosk errichtet und zwei Repraesentanten des Hauses >Time Notes< [die Bank des Zeit-Geldes] abbestellt, die Banknoten verteilten, auf denen auf der Vorderseite Geldeinheiten als Zeiteinheiten ausgewiesen waren, waehrend auf der Rueckseite unterschiedliche Zitate zum Thema Zeit und Geld abgedruckt waren. Die Repraesentanten hatten das Ziel, Informationen zusammen zu tragen, ueber die Reaktionen der Passanten auf das neue Geld: wie es ihnen gefiel, wie sie es sparen, wie sie es vermehren wollten, etc. Das Projekt wurde im Rahmen von >Art Goes Heiligendamm< weiterentwickelt. So eroeffnete ich anlaesslich dieses Kunstfestivals im Umfeld des G8-Gipfels ein >Fundbuero fuer verlorene Zeit<. Dieses mobile Buero bot sich der breiten Oeffentlichkeit als ein Ort an, an dem man unwillentlich verlorener Zeit habhaft werden und sie klassifizieren konnte: bei der Armee, durch eine unliebsame Arbeit, im Laufe einer schlechten Beziehung. Nachdem jede Person ueber ihre verlorene Zeit Rechenschaft abgelegt hatte, wurde sie mit einer entsprechend hoch angesetzten Banknote kompensiert, auf der die Umstaende des Verlusts vermerkt wurden. Angesichts des unpersoenlichen Charakters und der abstrakten Homogenisierung des Geldes, zeigt dieses Projekt, wie jeder Banknote das Moment des Idiosynkratischen, des Wunsches und des Glaubens eingeschrieben ist. Gleichzeitig laedt das Projekt dazu ein, ueber die Homogenisierung der Zeit und nicht zuletzt ueber die Besitzverhaeltnisse nachzudenken: Ist es meine Zeit, die ich verkaufe oder ist es meine Zeit, die kaufe?

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