Wer weiß über uns Bescheid? Und wer zahlt dafür?

An diesen launischen Sommertagen wird in Deutschland über das Vermächtnis des Verfassungsschutzes debattiert sowie über eine Verschärfung des Meldegesetzes. Nicht zufälligerweise spielen hier Zeitungsverlage eine symptomatische Rolle. Berliner Gazette-Herausgeber Krystian Woznicki stellt in seinem Kommentar den Zusammenhang her, wenn er fragt: Wer weiß über uns Bescheid? Und wer zahlt dafür?

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Scheinfirmen, Erster-Weltkrieg-Kostüme, finanzielle Unregelmäßigkeiten – ein Bild der Gesetzlosigkeit ist bei den Anhörungen (ehemaliger) Angestellter des Verfassungsschutzes zum Thema NSU entstanden. Nichts scheint mehr undenkbar in der offenbar rechtsfreien Chaos-Zone des Geheimdienstes. Nicht einmal der Verkauf von klassifizierten Informationen an die Werbeabteilungen von Zeitungsverlagen?

Eine umfassende Sanierung des Verfassungsschutzes könnte eine Teilprivatisierung nach sich ziehen, wie sie in den USA bereits vorangetrieben wird. Und wie sie auch hierzulande, etwa im Verteidigungsministerium, längst eine Grundlage hat: Die Auftragsvergabe ist dort in den Händen von privatwirtschaftlichen Unternehmen wie der Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb (Gebb).

Privatisierung von geheimen Daten

Ein (teil)privatisierter Verfassungsschutz wäre effizienter. Beratungsfirmen wie McKinsey wären glücklich, vermutlich auch der Staat. Der Verkauf von klassifizierten Informationen an die Werbeabteilungen von Zeitungsverlagen läge dann in greifbarer Nähe. Greifbarer jedenfalls als zu den Zeiten eines Helmut Roewer. Soviel Geschäftssinn hat nicht einmal der ehemalige Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes gehabt. Soviel Dreistigkeit und Gesetzlosigkeit schon.

So absurd die Frage nach dem Verkauf von klassifizierten Informationen an die Werbeabteilungen von Zeitungsverlagen auch klingen mag, so pervers die absehbare Entwicklung anmutet, die eben dies ermöglichen würde (privatisierter Geheimdienst) – so deutlich zeigt sich darin das aktuelle Dilemma der Zeitungsverlage ebensolche Informationen nicht zu haben. Die Frage indiziert außerdem, worauf Datenschützer und andere Bürgerrechtler künftig achten müssen. Und worauf nicht. Zumindest nicht so stark, dass sie Entscheidendes aus den Augen verlieren.

Schließlich formuliere ich meine Spekulationen in einem Moment, in dem kräftig debattiert wird über die Verschärfung des Meldegesetzes als unlauteres Geschenk an die Zeitungsverlage (respektive an die gesamte Werbebranche), derweil Informationen von geheimdienstlicher Qualität längst in privater Hand liegen – heutzutage von Internet-Konzernen zusammengetragen und von ihren Vertragspartnern gehortet.

Debatte um das Meldegesetz

Natürlich darf es nicht sein, dass der Staat Meldedaten verkauft. Infos wie „Familiennamen, Vornamen, Doktorgrad und derzeitige Anschriften sowie, sofern die Person verstorben ist, diese Tatsache“ (Wikipedia) müssen geschützt bleiben und zwar von sich aus, statt, wie es die neue Widerspruchsregelung verlangt, erst durch die individuelle Bürgerartikulation „ich will das nicht“. Nein, was ich zuallerst nicht will, ist, dass ich dem Meldeamt erst meinen Antrag auf Nicht-Weitergabe meiner Daten an die FAZ- oder Daimler-Werbeabteilung schicken muss. Oder kann mir jemand erklären, warum diese Werbeabteilungen meine Meldedaten einfach so anfragen können sollten? Warum sie erst durch meinen aktiven Widerstand davon abgehalten werden sollten?

Und überhaupt: Wann und wie bekomme ich davon überhaupt etwas mit? Wieviel Papierkram, wieviel Zeit muss ich darauf verwenden, um sicher zu stellen, dass meine Meldedaten nicht weitergereicht werden? Das klingt banal, ist aber eine relevante Frage in einer Gesellschaft, in der Datenschutz nicht nur Chefsache der Experten ist, sondern auch im digitalisierten Alltag der Bürger ausgehandelt wird: auf Schritt und Tritt durch Kommunikationsräume von sozialen Netzwerken, Handyanbiertern, etc.

Der Streit um das Meldedatengesetz ist für Bürger relevant. Für die Regierung bedeutet er: Wir müssen jetzt beweisen, dass wir noch handlungs- und zurechungsfähig sind. Doch was bedeutet er für Datenschützer? Die Antwort lässt sich vom Gegenspieler ableiten: Für die Zeitungsverlage nämlich ist all das nicht sonderlich bedeutsam. Das Tamtam um das unlautere Geschenk lockt Datenschützer auf die falsche Fährte.

Sie haben zwar richtig gehandelt und angesichts des undemokratischen Verfahrens wirkungsvoll Alarm geschlagen. Doch das vermeintliche Geschenk hat schlichtweg keinen allzu großen Wert. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Werbebranche mit solchen Daten noch viel machen konnte. Insbesondere die Zeitungsverlage können davon ein Lied singen.

Welche Daten sind wirklich relevant?

Heute geht es nicht darum, wo Max Mustermann wohnt. Sondern wie und wann er sich bewegt, beziehungsweise was und warum ihn etwas bewegt. Doch woher sollten Zeitungsverlage solche Informationen bekommen? Sie sind doch keine Geheimdienste, die Peilsender anbringen, um uns zu verfolgen. Sie sind aber auch keine IT-Konzerne, die solche Daten von ihren Nutzern freiwillig ausgehändigt bekommen. Wenn ich alles nur über mein iPhone wahrnehme, weiß Apple alles über mich: was ich lese, was ich mag, was ich nicht mag, welche Wörter ich kenne und welche nicht, welchen Bildungsgrad ich demnach haben dürfte, wie meine Augen sich bewegen und so weiter.

Apple aber auch Google, Facebook und Amazon sammeln quasi klassifizierte Informationen und können sie meistbietenden Geschäftspartnern verkaufen. Ich habe bereits an anderer Stelle ausgeführt, dass diese neuen Geschäftspartner Zeitungsverlage sein könnten. Der Medienkritiker Evgeny Morozov bestätigt diese Annahme, wenn er in der Berliner Zeitung sagt: „Den Zeitungsverlagen geht es zunehmend schlechter, also hätten sie sicher Interesse, Werbekunden gefällig zu sein. Auf diese Weise könnten dann Zeitungsinhalte exakt und automatisch auf die Nutzer und auf Werbekunden zugeschnitten werden.“

Kurz, die aktuelle Debatte um das Meldegesetz ist relevant. Aber sie erinnert eben auch daran, dass es in einer Ära der Sensibilierung in Sachen Datenschutz darum gehen muss, die zukunftsweisenden datenpolitischen Entwicklungslinien im Blick zu behalten. Schließlich ist längst bekannt, dass die neuen Geschäftspartner von Apple und Co. auch Regierungen sein können. Die Privatisierung des Geheimdienstes? Da die von ihm gesuchten Informationen längst privatisiert worden sind, muss der Verfassungsschutz nur erwachsen werden. Zynisch gesprochen: Nach der pubertären Phase mit Scheinfirmen, Erster-Weltkrieg-Kostümen und finanziellen Unregelmäßigkeiten muss er anfangen konsequent kapitalistisch zu agieren. Mit Blick auf die Ökonomisierung aller Lebensbereiche wissen wir, dass es so kommen kann.

Anm.d.Red.: Das Foto oben stammt von DeGust und steht unter einer Creative Commons Lizenz.

5 Kommentare zu “Wer weiß über uns Bescheid? Und wer zahlt dafür?

  1. NRW-Innenminster Jäger baut nach Angaben des PIEGEL seinen Verfassungsschutz gerade in einen THINK TANK um. Ist es die Sprache unserer Zeit, dass alles gleich nach einem neoliberalen Projekt klingt oder ist eben genau das: ein neoliberales Projekt?

  2. Sammeln Sie Treuepunkte? Haben Sie eine payback Karte? Sagen Sie mir bitte die Postleitzahl?
    Fragen die gestellt werden, um mich als Kunden transparenter zu machen und das Warensortiment effizienter zu gestalten.
    Oft genug werde ich dann seltsam angesehen, wenn ich genervt dreimal nein sage und es kann auch schon einmal passieren, dass ich von irgendeiner Seite angeraunzt wurde, …nu stellen se sisch doch nit eso an, datt is doch nix Wischtijes (O-ton Rheinland), die wissen doch sowieso alles über uns.
    Die aufgeregten Diskussionen von Datenschützern, als seiner Zeit eine Volkszählung bevorstand, scheinen in Vergessenheit geraten zu sein, war wohl so etwas wie das Hornberger Schießen.
    Much ado about nothing, wenn ich mir nun höre, dass Vater oder Mutter Staat sich mit dem Gedanken trage mit unseren Daten cash machen zu können, es gar bereits tun.
    Was apple und google Recht ist, sollte den Staatsorganen doch, billig sein, oder nicht?
    Kurze Erläuterung zu der Frage: Warum tun die das? Sie können es und es bringt Geld und das regiert bekanntlich die Welt.
    Das war bestimmt keine Aktion des Berliner Sommertheaters, um von noch wichtigeren Sachen abzulenken, so nach dem Motto, nach dem Urlaub gibt es in Deutschland immer noch genug Zeit sich zu wundern, was mal wieder passiert ist, während man abgelenkt, (EM z. B. ) oder nicht da war. Niemandem scheint es wirklich ernst mit dem Thema Datenschutz zu sein.
    Ansonsten noch schöne Sommerferien, Orwell wurde schon längst überholt, oder nicht?
    Hermann – J. Stumm

  3. Nicht nur Zeitungen! Auch Zeitschriften befinden sich im freien Fall..

    “Es sind drastische Zahlen, die der VDZ da verspätet veröffentlichte. Als der Auflagendienst mit den frischen IVW-Quartalszahlen am Montagabend und doch nicht erst am Dienstag erschien, zeigte sich, dass die deutschen Zeitschriften erneut viele Käufer verloren haben. Ganze sieben der 50 meistverkauften und am Kiosk erhältlichen Publikumszeitschriften büßten gegenüber dem Vorjahr keine verkaufte Auflage ein. Besonders hart traf es dabei Joy (-27,8%), die Bravo (-26,3%) und die Freundin (-19,3%)..”

    http://meedia.de/print/ivw-zeitschriften-auflagen-im-freien-fall/2012/07/16.html

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