Totales Sehen im Netz: Wie Medien mit der visuellen Darstellung des Todes umgehen


Eine zentrale Rolle für die aktuelle politische Berichterstattung spielen Bilder: Schematische Darstellungen, Diagramme, manchmal auch Zeichnungen aber vor allem die Pressephotographie. Dabei drängen sich auch ethische Fragen auf, gerade wenn von menschlichen Dramen berichtet wird. Zum Beispiel: Kann das Zeigen eines toten Kindes gerechtfertigt sein? Kann so ein Bild der Öffentlichkeit zugemutet werden? Welche Tabus werden dabei angekratzt? Der Medienkünstler Georg Eckmayr kommentiert.

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Aylan: Dieser Name, der symbolisch für tausende weitere Schicksale steht, die unsichtbar bleiben, ist inzwischen weltweit bekannt. Diese Bekanntheit beruht auf den Bildern, welche von der Photographin Nilüfer Demir von Aylans totem Körper angefertigt wurden. Diese Photoserie, welche einen Buben in blauer Hose und rotem T-Shirt zeigt, wurde zur Ikone, welche das Ertrinken von Flüchtlingskindern im Mittelmeer für eine weltweites Publikum ästhetisch erfahrbar macht.

Genau darin liegt nun auch der Zwiespalt, den diese Bilder auslösen. Kann eine Photographie den Tod eines Kindes wirklich erfahrbar machen? Kann ein Bild überhaupt den Tod einer Person, dieses unfassbare, singuläre, Respekt einfordernde Ereignis, entsprechend darstellen?

Es liegt auf der Hand. Ein solcher Verlust, wie ihn der Tod eines Kindes, eines geliebten Menschen, darstellt, kann nicht in ästhetischen Kategorien übersetzt werden. Jedes Bild davon bleibt nur Klischee für ein Publikum, das diese Person nicht gekannt hat. Die Bilder von Aylans totem Körper bleiben bloß Schatten eines Verlusts, der uns als Publikum, wenn auch stark berührt, nicht persönlich betrifft.

Wir vermissen nichts. Was wir empfinden ist bloß Vorstellung, Erinnerung an einen eigenen Verlust, diffuse Angst, um die eignen Kinder. Das Publikum bleibt bei sich. Der individuelle Aspekt, die Person Aylan, wird in einer Photographie auf das Sichtbare, in dieser Serie, auf den bloßen toten Körper reduziert. Die Person selbst, so wie sie war, so wie sie von Verwandten erinnert wird, ist im Bild nicht enthalten.

Wirklichkeit und Abbildung

Diese Differenz zwischen Wirklichkeit und Abbildung gilt für alle Pressebilder. Sie sticht jedoch beim Versuch dieses singuläre Erlebnis am Ende des Lebens eines jeden Menschen, den Tod, darzustellen besonders stark hervor.

Der den Photographien vom Sterben implizite Voyeurismus, der Schock, der Verkaufszahlen fördert, ist dabei jedoch nicht das Problem. Die monetäre Bewertung der Bilder vom Tod ist ebenso nur Konsequenz, nicht Kern des Tabus, das offensichtlich im Fall der Bilder von Aylan verletzt wurde.

Auch die Frage nach der medienrechtlichen Lage führt zu keiner Erkenntnis in diesem Fall: Darf der Tod eines Kindes abgebildet und einer breiten Öffentlichkeit als Bild offenbart werden? Ja er darf; solange keine Persönlichkeitsrechte verletzt werden, ist daran rechtlich nichts auszusetzen. In Fall Aylans gibt es eine Einverständniserklärung des Vaters, der hier stellvertretend für seinen toten Sohn die Erlaubnis erteilt.

Der Tabubruch, der bei der Veröffentlichung diese Photos passiert liegt auf ästhetischer Ebene. Im Abbilden verliert der Tod seine Unfassbarkeit. Die Bilder von toten Körpern entheben den Tod des Rituals, in welches er gefasst wird, und damit seiner respektgebietenden Einzigartigkeit. Der tote Körper ist als Photographie nicht mehr heilig, sondern steht im kompetitiven Vergleich zu anderen toten Körpern.

Was macht das Bild von Aylan besonders?

Im Vergleich zu unzähligen anderen Photographien ertrunkener Flüchtlingskinder wirken die Photographien, welche Demir vom toten Körper Aylans angefertigt hat, pietätvoller. Es handelt sich dabei um eine behutsame Annäherung an dieses Motiv und um keinen voyeuristischen Blick auf den Tod.

Das Pietätvolle liegt jedoch nicht nur am Blick der Photographin, an der Art und Weise wie die Bilder aufgenommen wurden, sondern auch daran, wie die Leiche des Kindes im Wasser liegt. Aylan liegt in der Dünung des Meeres als ob er schlafen würde, die Arme am Körper angelegt, die Beine gerade, das Gesicht nach unten, beinahe im Sand verborgen.

Die meisten anderen Photographien von ertrunkenen Kinderleichen zeigen hingegen wild verrenkte Körper, die Gliedmaßen unnatürlich vom Körper abstehend mit aufgerissenen Augen. Diese Bilder bieten einen “entstellenden”, einen “unmenschlichen” Anblick. Die verschiedenen Photographien vom Tod unterscheiden sich also nicht nur in ihrer Qualität im Bezug auf ihre Gemachtheit, die gewählte Bildsprache, sondern auch im Bezug auf die Qualität des Motivs.Der Tod, die toten Körper und ihre Posen, werden somit zum Gegenstand von medialen Inszenierungen.

Diesem Umstand ist auch das oben erwähnte hierarchische Verhältnis implizit. Es gibt Leichen, welche sich auf photographischer Ebene für die mediale Verwertung besser eignen als andere. Auf dieser Ebene verliert die Phrase “Vor dem Tod sind alle gleich” ihre Gültigkeit. Manche tote Körper, passen besser in das ästhetische Regime der aktuellen Medienlandschaft als andere. In dieser, dem Medialen, dem Photographischen impliziten Bewertung liegt der Tabubruch. Es gibt besser und schlechter nutzbare tote Körper.

Der Mensch, welcher diesen toten Körper besessen hat, spielt im medialen Zusammenhang keine eigenständige Rolle mehr, er wird zum Darsteller seiner eigenen Geschichte und tritt hinter den Nutzen zurück. Der Tod als mediale, ästhetische Kategorie, die sich an Schau- und Informationswerten orientiert, widerspricht der prinzipiellen Vorstellung eines heiligen, eines einzigartigen Todes und somit auch den üblichen mit dem Sterben verbundenen Ritualen.

Der tote Körper im Bild wird für die Medienlandschaft zum Material, das sich einer strengen ästhetischen Selektion im Hinblick auf monetären, auf aufmerksamkeitsökonomischen, aber auch politischen Mehrwert gefallen lassen muss. Sollten Photographien toter Köper also besser nicht in der breiten medialen Öffentlichkeit gezeigt werden um die Vorstellung vom singulären Tod zu erhalten?

Pics or it didn’t happen!

Die Omnipräsenz des Smartphones im Alltag lässt das Filmen / Photographieren zu einer zentralen Kommunikationstechnik werden. Die oben erwähnte Phrase findet sich im Jargon der jugendlich geprägten Netzkultur. Aber nicht nur dort gilt der Imperativ des photographischen Sichtbarmachens. Wir wissen vom Video, das die Attentäter auf das Satire Magazin Charlie Hebdo beim verüben eines Mordes zeigt. Auch von den aktuellen Anschlägen in Paris kennen wir den Blick auf den Nebeneingang des Bataclan, der flüchtende und schwerverletzte Personen offenbart.

Diese Videos finden sich im aktuellen Diskurs der medialen Berichterstattung, selbst wenn diese Aufnahmen nicht über die klassischen, redaktionell betreuten, massenmedialen Kanäle verbreitet werden, finden sie ihr Publikum. Das umfassende mediale Sehen, das totale Sehen, ist Teil der aktuellen digitalen Kultur.

Es stellt sich insofern nicht die Frage, ob Bilder vom Tod, auch innerhalb des redaktionell betreuten Diskurs der Berichterstattung zugänglich sein sollten, denn es ist von einer prinzipiellen Sichtbarkeit auszugehen. Die Frage, die bleibt, ist: Wie positionieren sich die Redaktionen der klassischen Medienanbieter zu diesen Bildern?

Die Ästhetisierung des “realen” Todes lässt sich nicht aufhalten. Auch im Hinblick auf bereits bestehende digitale Subkulturen scheint dies offensichtlich. Digitale Recherche im Web ermöglicht einen all umfassenden Blick, der den Tod bereits als ästhetische Kategorie beinhaltet.

Das totale Sehen muss akzeptiert werden

Zu praktisch jedem Medienereignis lassen sich mit wenig Aufwand entsprechende Bilder finden, seien es die geleakten gerichtsmedizinischen Photographien der zerfetzten und aufgedunsenen Leichen der Tsunami-Opfer von 2004, die Amateurbilder der Opfer des Boston-Marathon Anschlags 2013, oder die Photographien ertrunkener Flüchtlinge. Über diesen Weg ist der “reale” Tod bereits als ästhetische Kategorie in der aktuellen medialen Welt fest verankert. Diese Entwicklung lässt sich nicht umkehren.

Unter diesen Vorzeichen scheint der Versuch des Verbannens der Bilder des Todes aus den Mainstreammedien nicht nur anachronistisch; Die respektgebietende Einzigartigkeit des Todes kann dadurch auch nicht wieder hergestellt werden. Es gilt das totale Sehen, zu akzeptieren. Die Mainstreammedien entziehen sich durch ein Bildverbot im Dokumentarischen ihrer Verantwortung darüber, wie das Menschliche dokumentiert, wie der Tod dargestellt werden soll und überlassen dieses Feld digitalen Subkulturen, Sozialen Medien und den Propagandaabteilungen auch medial agierender Terroristen.

Es ist selbstverständlich in jedem einzelnen Fall abzuwiegen, ob Bilder eines Ereignisses gezeigt werden sollen / müssen, ob Persönlichkeitsrechte verletzt werden und ob eine inhaltliche Rechtfertigung für die Veröffentlichung besteht. Aber eine generelle Tabuisierung der medialen Darstellung des Todes ist kontraproduktiv für einen würdevollen Umgang mit dem Tod in den Medien. Vielmehr gilt es an einer Ästhetik zu arbeiten, welche entsprechende, respektvolle Bilder ermöglicht. Dies ist letztendlich nicht nur eine Aufgabe für die Medienproduzierenden, sondern auch für das teilnehmende Publikum.

Anm.d.Red.: Die Fotos stammen von Mario Sixtus (cc by 2.0).

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