Terroristen im Supermarkt

Leeren Sie doch mal ihre Brieftasche aus, nehmen Sie nacheinander jede Kundenkarte zur Hand und denken Sie darueber nach, welche Daten darauf gespeichert sind – es sind naemlich dieselben, die Sie freiwillig in ein kaum zu kontrollierendes Netzwerk eingespeist haben. Klar, das ist ein fairer Deal zwischen Ihnen und dem jeweiligen Laden, eine Belohnung fuer treue Kunden. Nur stimmen in diesen Satz gleich zwei Woerter nicht: Treue und Belohnung. Was ist aus der Treue geworden? Haben wir es alle verschlafen, dass man die Goldene Hochzeit inzwischen schon eine Woche nach der Trauung feiert?

Anders ist es kaum zu verstehen, wie man einem Kunden, der zum ersten Mal in ein Geschaeft stolpert, schon einen Treueausweis anbietet. Na ja, denkt sich der wahrscheinlich, steck ich ihn eben zu den 22 anderen Treueausweisen ins Portemonnaie. Bloss schade, dass meine Frau diese moderne Form der multiplen Treue noch nicht im Privatleben akzeptiert hat. Das zweite wacklige Wort ist die Belohnung. Einerseits stimmt das schon, nur werden nicht die Kunden belohnt, sondern die Haendler, die Supermarktketten und Kaufhaeuser, die sich die Daten gegenseitig zuschieben um immer genauere Kundenprofile daraus zu basteln.

Die Anbieter von solchen Kartensystemen versprechen den Firmen >punktgenaue Marketingaktionen< damit durchfuehren zu koennen. Und wenn Sie an einem Samstagmorgen von einer freundlichen Telefonstimme geweckt werden, die Ihren Namen und Ihre Vorliebe fuer italienische Rotweine kennt und Ihnen ein Treueangebot fuer einen exklusiven Kreis von Weinkennern macht - ja, dann wissen Sie, wie man Treue und Belohnung buchstabiert. Nein, in Wirklichkeit sind Kundenkarten eine Erfindung von Wolfgang Schaeuble. Der war sehr verunsichert, weil man seine Idee der Telefonueberwachung so vehement ablehnte. Dabei war diese Technik bis vor 20 Jahren in einem Teil der heutigen Bundesrepublik gang und gaebe. Man schuetzte zwar nicht die Demokratie sondern den Sozialismus, aber der Schutz fragt ja nicht, wen er schuetzen soll. Der Schutz ist neutral. So wie eine Kundenkarte, dachte unser Innenminister. Mir wollen sie ihre kleinen Geheimnisse nicht verraten, aber bestimmt den Supermaerkten, Internetversendern und Fitnessclubs. Wenn Sie nun aber glauben, der Innenminister wuerde auf Ihre Kundenkartendaten zugreifen, liegen Sie ganz falsch. Koennte er vielleicht, tut er aber nicht. Es ist ganz anders. Jeder, der in Deutschland keine Kundenkarte hat, macht sich automatisch verdaechtig und wird vom Verfassungsschutz unter die Lupe genommen. Nachdem das aber auch die Terroristen wissen, werden sie sich sofort Kundenkarten beschaffen. Natuerlich fuellen sie die falsch aus, was allerdings sofort auffaellt, wenn man die Daten mit denen der durchschnittlichen Einkaufsprofile vergleicht. Auf dieser Basis bekommt Herr Schaeuble dann die Erlaubnis fuer Online-Durchsuchungen. Und endlich wird auch der letzte Konsumgegner und Kulturpessimist einsehen, dass Kundenkarten ein wahrer Segen sind.

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