Subversive Leserschaft?

Sie haben es sicherlich schon gewusst. Das populaerste deutschsprachige Blog widmet sich ausschliesslich der Bild-Zeitung: ihren taeglichen Luegen, ihrer unertraeglichen journalistischen Selbstgefaelligkeit, ihrem Einfluss und ihrer meinungsbildenden Macht.

Rund 50.000 Menschen tummeln sich taeglich auf der Website des Bildblogs. Verglichen mit den 12 Millionen Lesern der Bild Zeitung nicht gerade viel. Aber genug, um zum Branchenfuehrer der >Blogospaehre< aufzusteigen. Weit abgeschlagen folgen die anderen Blogs mit nur bis zu einem siebtel soviel Visits pro Tag. Dieser Umstand scheint quasi fuer sich selbst zu sprechen. Der zivile Ungehorsam hat sich im Internet dort verdichtet und multipliziert, wo es gilt dem groesstmoeglichen Unrecht zu begegnen. Nichts muesste man dieser perfekten Erfolgs- geschichte des Web 2.0 [alias Digitaler Buergerjournalismus] hinzufuegen, wenn die Macher, insbesondere der Gruender dieser Plattform, kein ehemaliger Angestellter der FAZ waere, der seinen hochdotierten Job bei Deutschlands namhaftester Tageszeitung an den Nagel haengte, um den Bildblog aufzuziehen. Der berufliche Hintergrund des Bildblogkopfes wird allenfalls herbeizitiert, um seinen Altruismus, sein Gespuer fuer das naechste grosse Ding und seine Glaubwuerdigkeit zu belegen. Vielleicht sogar auch, um die Qualitaet des Projekts zu legitimieren. Aber die Tatsache, dass hier ein Profi zusammen mit anderen Profis auseinandernimmt, was die intellektuelle Mittel- und Oberschicht ohnehin undiskutabel findet – muesste sie nicht Fragen provozieren? Koennte, ja muesste man nicht fragen, was es ueber die >Blogospaehre< und den ihr anhaftenden Mythos des sich Gehoer verschaffenden Mobs aussagt, wenn der Branchenfuehrer von einem professionellen Journalisten angetrieben wird und nicht von irgendeinem Durchschnitts- buerger, der einfach genug hatte, sich taeglich von der Bildzeitung aufs Korn nehmen zu lassen? Koennte man ferner nicht in Frage stellen, wer eigentlich diese 50.000 Menschen sind, die sich das Bildblog zu Gemuete fuehren?

Laesst ihr Interesse die Leserzahl des erklaerten Feindes nicht um virtuelle 50.000 steigen? Schliesslich duerfte es sich bei den 50.000 wohl nicht um den gemeinen Leser der Bildzeitung handeln, sondern um Menschen, die es ohnehin schon besser wissen, und – das ist jetzt eine boese Unterstellung – sich darin lediglich bestaetigen lassen wollen. Letzteres ist Spekulation. Gewiss aber ist folgendes: Die gut besuchten Blogs werden nicht vom Mob gemacht. Lawblog und Spreeblick, die neben dem Bildblog unter den Top 10 der deutschsprachi- gen Blogs rangieren, sind Projekte von Profis. Insofern legt der Bildblog nahe: Grasswurzel-Touch sells.

Der Bildblog zeigt aber auch, dass Digitaler Buergerjourna- lismus vor allem dann besonders gut funktioniert, wenn er Journalismus ist, der von Journalisten fuer Journalisten oder Moechtegern-Jorunalisten gemacht wird.

11 Kommentare zu “Subversive Leserschaft?

  1. Naja, ich weiß nicht. Ich lese doch lieber eine kritische Auseinandersetzung eines Journalistien zu diesem Thema, anstatt von Hänschen Müller. Journalisten sind auch Bürger!

  2. zugegeben: journalisten sind auch bürger. aber gibt es “hier” auch bürger, die keine journalisten sind? oder bürger, die keinen intellektuellen hintergrund haben?

    so ein angebot muss sich doch auch an einen größeren kreis richten, zB Menschen, die die Bildzeitung lesen, und eigentlich wäre es sinnvoll, wenn es auch von diesen Leuten gemacht würde. zumindest mitgestaltet würde.

    “demokratie”, denn darum geht es bei diesem projekt offensichtlich, sollte nicht so eine einseitige / elitaere sache sein. insofern erfüllt das projekt nur bedingt das, was es zu versprechen scheint.

  3. schöner kommentar, endlich mal eine andere stimme zum blog, das keins ist.

    schmunzeln musste ich hier:

    „Insofern legt der Bildblog nahe: Grasswurzel-Touch sells.“

    hat diese wurzeln was mit günter g. zu tun? oder gar mit polen? in diesen wurzelhaltigen tagen kommt man schon auf absurde gedanken ;-)

  4. günter grass hat damit vielleicht schon was zu tun. gäbe es einen günter grass blog, dann würde der vielleicht ebenfalls darum bemüht sein, die semantischen neurosen dieses notorschen im rampenlichtstehenmüssers und schlagzeilenliefernmüssers ins visier nehmen. allerdings im zuge dessen eher ein parasit als reproduzent der aufmerksamkeit sein, die der sache ohnehin schon zuteil wird. ein anderer unterschied: die frage nach den bildungsfernen schichten stellt sich hier neu, wie sie einzubinden wären, etc.

  5. @bürgerjournalismus:

    nun ja – ich finde, diese diskussion hat eine gewisse schlagseite. liest man die diversen studien über die nutzungshintergürnde von bloggern (jan schmidt (www.bamblog.de) hat hierzu vieles geleistet), so heißt es da in der regel, dass das aufschreiben und gelegentlich auch verarbeiten privater erlebnisse im vordergrund steht. und blogs gelten nun mal vielen als die keimzelle des bürgerjournalismus.

    wenn aber nun das private umfeld im vordergrund steht, wo tauchen die blogger dann in ihrer bürgerrolle auf? wo bringen sie sich als politische figur in öffentliche kommunikationsprozesse ein? wo sind denn die tatsächlich “politischen” blogs in deutschland, die den kontakt zu akteuren und diskursen suchen? und wo ein bürgerjournalismus, der diesen namen auch verdient? ich habe beides noch nicht gefunden.

  6. Für mich gilt Web 2.0 / Bloggen auch nur unter Vorbehalt als [digitaler] Bürgerjournalismus. Zum einen Mythos zum anderen… na ja, da ist schon was dran. Natürlich geht es in erster Linie um Persönliches/Privates – inwieweit ist das politisch? Aber es geht auch um Politik, um Themen, die die Diskurse der Ziviligesellschaft betreffen: Urheberrecht, Gender, etc.
    Siehe dazu beispielsweise die Blogs von Martin Hufner (www.kritische-masse.de/blog) & (www.urteilskraft.de/kritik)und Mercedes Bunz (mercedes-bunz.de), in denen sich private und politische Themen vermischen: Privates politisch ist, Privates neben Politischem steht, Politik aus “privater Sicht” bearbeitet wird. Auch bei Spreeblick (www.spreeblick.com) sehe ich solche Tendenzen.

  7. Komplexes Feld. Oder doch nur etwas kompliziert? Beides.

    Bildblog: Erfolg, weil erfolgreich. (Keine Tautologie: nirgendwo sonst lassen sich so leicht Fehler beim Abfassen von Texten herausfiltern wie in der BILD. Somit leichtes Objekt, auch wenn die Detailarbeit anstrengend ist. Erfolg, weil diese Arbeit zugleich erfolgreich ist und in Grenzen zur täglichen Schadenfreude beiträgt. Politischer Erfolg? Kann ich nicht bestimmen, dürfte aber sich in Grenzen halten. (Macht ja nichts, aber die Kritik braucht Gegenstände mit denen es einfaches Spiel hat.)

    Punkt zwo: Bürgerjournalismus. Ich fürchte mal, hält sich Begriff und Inhalt in Grenzen. Es hat fast den Anschein, als ob dafür eben doch die konkret handwerkliche Arbeit nötig. Blumenrabatten gestalten, ein Blatt Papier bedrucken und einschließlich Viren und Bakterien weiterreichen. Die elektronischen Welten sind an sich so harmlos und wesenlos. Sie gehen nicht unter die Haut, so wenig wie die CD gegenüber dem “richtigen” Konzert.

    Aus meiner Arbeit heraus kann ich nur sagen. Das Internet wird beschworen, aber es ist für die konkrete Arbeit tot. Im “Hoch”-Kultur-Sektor ist rein fast niemand auch nur annähernd in der Lage, sich in Position zu spielen. Noch läuft das Ganze beim Frühstück im Hotel oder dem viel schnelleren Telefon ab. Das Netz ist häufig genug nur eine weitere, ausführlichere Visitenkarte (jetzt mit Flash, mit Prototype, mit Schnick und manchmal auch mit Schnack.)

    Ich selbst habe nur über die zweiten Ohren mitbekommen, dass beispielsweise “einer” von denen, mit denen ich mich auseinandersetze von Zeit zu Zeit tatsächlich das Zeug liest und das sogar mit Gewinn. Das wars!

    Macht aber nichts. Ich sehe es sportlich, wie damals Walter Benjamin, ich sammle, ich sortiere, für die Geschichte geht nichts verloren.

    Zum Thema Privat/Politisch wäre noch etwas nachzutragen. Mal sehen.

  8. Pingback: Kritische Masse
  9. das internet als extended business card? das klingt jetzt doch arg kulturpessimistisch. mag sein, dass nicht wenige aus dem internet genau das machen wollen. aber selbst wenn: hat nicht die schiere anzahl und unübersichtlichkeit von visitenkarten etwas politisch ( ja,) verstörrendes und ferner die tatsache, dass man klassisch kaum unterscheiden kann zwischen wichtig und unwichtig (damit also hierarchien obsolet, zumindest brüchig werden) fake oder real business card?

  10. Weißte Krystian, da ist was dran. Ich suche schon seit Stunden nach einer nachvollziehbaren Analogie. Da fällt mir eigentlich nur ein, dass meine Aktivität sich vielleicht am besten nach dem Begriff eines “Tante-Emma-Ladens” verstehen lässt und die Berliner Gazette wäre dann immerhin schon ein Bio-Kaufhaus :-)

    Die Bigseller darf man dann getrost als Medienmärkte oder Shoppingwalls einstufen.

    Die “Kulturläden” allerdings sind häufig nach dem Prinzip der schlecht organisierten Selbstpflücker zu beorten.

  11. mit dem bioladen könnte ich mich anfreunden, ich meine ich mag jetzt nicht nur das image daran, das ja häufig hohl ist, sondern einige ideen daran, den organischen touch und die meistens auch “organischen” produkte. wenn mir hinsichtlich dessen eine andere/bessere analogie einfällt, melde ich mich nochmal zur wort ; )

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