Subtiler Sprachsalat

Soweit ich mich an meine Kindheit erinnern kann, hiess es bei uns zu Hause – in einer industriellen Stadt der spanischen Kueste am Atlantik – vor dem Schlafengehen immer: >Gute Nacht! Schlaf gut!< Erst spaeter habe ich begriffen, warum meine Freunde, die bei uns uebernachtet haben, diese vier Woerter komisch gefunden haben. Es kam ihnen wahrscheinlich Spanisch vor.

In dieser Hinsicht war die deutsche Sprache immer in der Naehe – das klarste Zeichen dafuer, dass meine Eltern mehr als 15 Jahre lang in Westdeutschland gelebt hatten. Mein Vater erst als spanischer Gastarbeiter und spaeter als Student und Dozent an der Universitaet Aachen. Meine Mutter als lateinamerikanische Stipendiatin des DAAD.

Nicht, dass wir jeden Tag auf Deutsch geredet haetten. Schliesslich waren wir in Galizien, einer spanischen Region, in der Spanisch und ueberwiegend Galizisch gesprochen werden. Aber Sachen wie >Mach die Tuer zu<, >Mach das Licht an<, oder >Wo ist dein Vater?< waren einfache und schnell verstaendliche Saetze in einer Sprache, die weder Spanisch noch Galizisch war. Selbst heute weiss ich nicht, wie >Unterteller< auf Spanisch heisst. Es scheint mir auch nicht wirklich notwendig zu sein. Schliesslich kenne ich das deutsche Wort dafuer... Deutsch zu lernen, war dennoch relativ schwierig - sogar exotisch - in einer Region, die fuer die Roemer >das Ende der Welt< war und Tausende Kilometer entfernt vom deutschsprachigen Raum lag. Die Buecher von Janosch, Max und Moritz und vor allem jene komische, grosse und unelegante Frau namens Elke, die einen alten roten Mercedes fuhr und ueber Umweltbewusstsein und Muelltrennung sprach, trugen dazu bei, dass ich als Kind nach und nach Deutsch lernte. Das alles und die sporadischen Aufenthalte in Deutschland: 6 Monate in Muenchen, 1 Monat in Aachen, etc. Allerdings erst als Jugendlicher wurde ich mit der deutschen Sprache und Kultur so richtig vertraut. Meine Lektueren habe ich ausser auf Englisch, Spanisch oder Galizisch/Portugiesisch auch auf Deutsch durchgefuehrt; als Querfloetespieler hat mich auch klassische Musik staendig hin zur deutschen Kultur gefuehrt. Der entscheidende Wendepunkt kam, als ich in den 80er Jahren an zwei zweimonatigen Kursen beim Goethe-Institut teilnahm. Ein paar Jahre nach diesen zwei Sommern in Franken und Schwaben [sicherlich interessante Regionen, um die Sprache zu lernen] habe ich mich entschieden, Literaturwissenschaft zu studieren. Germanistik und Hispanistik waren natuerlich meine erste Wahl. Deutsch war nicht mehr die Sprache der >Unterteller< und der >Pilsner<, sondern zuallererst der Zugang zu einem reichen und lebendigen Kulturraum, mit dem ich mich gewissermassen identifizierte. Inzwischen ist Deutsch zu einer zentralen Referenz in meinen kulturellen und wissenschaftlichen Aktivitaeten geworden. Es ist eine Sprache, mit der ich fast jeden Tag in Beruehrung komme, obwohl ich seit mehreren Jahren in England lebe. Eine Sprache schliesslich, die im gewissen Masse meine kulturelle Entwicklung bestimmt hat. Die Stuecke von Brecht, die raffinierte Ironie von Kafkas Kurzgeschichten und die Sonette von Rilke sind unmittelbar mit Deutsch verbunden, genau wie die Aufsaetze von Walter Benjamin oder Adorno. Sogar die Tagebuecher des Antonio Gramsci oder Bourdieux kenne ich nur auf Deutsch. Als internationaler Kulturschaffender ohne festen Wohnsitz, der mehrsprachig aufgewachsen ist und monatelang jedes Jahr in verschiedenen Laendern arbeitet, ist meine Beziehung zu Sprachen manchmal belustigend. Mein Alltag kommt mir manchmal wie ein Stimmengewirr vor, in dem Englisch, Deutsch, Spanisch und Portugiesisch orgiastisch neben einander zusammenleben. Ich habe nicht selten Ueberraschungen erlebt, wenn ich mich mit anderen Germanisten an der Uni in England in ein Gespraech auf Deutsch verwickelte. Ebenso zoegere ich immer, wenn ich zusammen mit manchen Deutschen bin, die ich in einem englischen Kontext kennen lernte: >Deutsch oder Englisch?< Inzwischen haben sie Spanisch gelernt ... Das spiegelt sich auch in meiner Dichtung wider - literarische Selbstanalyse ist eine Art Selbstpsychoanalysierung. Literatur a la Finnegans Awake: vielsprachige Gedichte, in denen deutsche Verben nach der spanischen Grammatik konjugiert werden, waehrend englische Woerter verdeutscht werden. Ich bin mir nicht sicher, ob so etwas als multikulti durchgehen kann; ohnehin finde ich eine Bezeichnung, die ein Freund immer benutzt, viel treffender: >Sprachensalat<. Wenn ich noch heutzutage mit meinen Eltern telefoniere, wird Spanisch oder Galizisch gesprochen, aber am Ende des Gespraechs heisst es immer noch: >Gute Nacht! Schlaf gut

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