Starbucks-Jugend

Wir wollen ein nicht dekadentes Leben führen und dabei die Verschwendung, die allgegenwärtig ist, ausblenden. Wie ist das möglich? Berliner Gazette-Autorin Miriam Belling reflektiert die Starbucks-Jugend zwischen Dekadenz und Verzicht.

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Lügen, Lügen, nichts als Lügen. Das kommt dabei heraus, wenn ich mich frage, wie dekadent ich bin. Oder zumindest Notlügen. Nein, ich bin nicht dekadent, wenn ich im Sommer mit Freunden im Park auf der Wiese sitze und ein Radler trinke. Oder wenn ich im Frühling mein verstaubtes Fahrrad aus dem Keller hole, um damit zur Uni zu fahren. Doch Schluss mit all den Lügen!

Komme ich morgens aus dem Berghaindie ersten Sonnenstrahlen streicheln gerade den Fernsehturm – führen meistens alle Wege zu Starbucks. Nachtschwärmerfrühstück. Doch könnte ich das nicht genauso in irgendeinem anderen Café zu mir nehmen? Natürlich, aber das fast schon legendäre Symbol auf dem weißen Pappbecher scheint mir ein gewisses Gefühl der Zugehörigkeit zu geben.

Ich will ein Mitglied der Starbucks-Familie sein und wie die anderen Jugendlichen, die dazugehören, dort etwas trinken gehen, weil ich es mir leisten kann. Der Gegensatz dazu sind jene Jugendlichen, die schon morgens mit einem Sternburg in der Hand am Alex sitzen. Oder etwa nicht?

KIK oder H&M

Gibt es nichts dazwischen? Die Dekadenz hat uns offensichtlich dazu gebracht in Rastern zu denken, den berüchtigten Schubladen. Oberschicht vs. Unterschicht – die einen haben und können, die anderen nicht. Und die einen müssen nicht, die anderen eben schon.

So läuft es zum Beispiel mit Geschäften, wie KIK oder H&M ab. Wenn ich ein einfaches T-Shirt brauche, könnte ich zu KIK gehen und es dort kaufen. Doch ich tue es nicht, gehe lieber zu H&M und zahle den doppelten Preis. Warum? Weil ich vermutlich Angst habe, dann ebenfalls in eine Schublade gesteckt zu werden. “Seht mal, die kauft bei KIK!”, könnte es dann heißen.

Dialektische Dekadenz?

So wie mir geht es scheinbar vielen. Wir wollen ein undekadentes Leben führen und dabei die Verschwendung, die allgegenwärtig ist, ausblenden. Wir versuchen uns selbst zu vertrösten und unser Verhalten mit kleinen Notlügen zu rechtfertigen. Anscheinend schämen wir uns, zuzugeben, dass wir alle manchmal unsere dekadenten Momente haben, in denen uns Wohlstand und Statussymbole einfach wichtig sind.

Darüber denke ich so nach, während ich eine drehe, mit ALDI-Papers, statt Luckys zu rauchen. Seit neuestem.

14 Kommentare zu “Starbucks-Jugend

  1. Liebe Miriam, auch wenn man schon etwas älter ist, ist es toll, z.B. in London zu Starbucks zu gehen und sich gleich genauso zuhause zu fühlen wie in Hamburg. Falls man 2,90 Euro für einen Kaffee etwas teuer findet, kann man sich das auch schönrechnen (siehe meinen Blog “Hamburg, meine Schöne” vom 26.März, http://www.brigittahuegel.de, Titel “So wird man reich”) Also: Starbucks auch “for the young at heart”!

  2. selbst eher ungern und gar nicht in starkbucks, meine ich doch auch in dieser “familie” nicht nur jugendliche beobachtet zu haben. aber vielleicht haben ja die jungen und die alten wie parallelsysteme nix miteinander zu tun?

  3. Starbucks und Sternburg klignt ja schon ziemlich ähnlich. Doch alles das Gleiche?

  4. @ Salvy: in meinen Augen gibt es auch zwischen H&M und KIK keinen wirklichen Unterschied. Zwischen ALDI-Papers und Luckys aber schon, obwohl ich sagen muss, dass ich nicht rauche.

  5. An “Starbucks” sind doch vor allem die Touristen und sonstige menschliche Seltsamkeiten interessant. Mein Höhepunkt war ein Amerikaner, der in Berlin sehr lässig und professionell weltgewandt, einen “Late Machete” bestellte, klang für mich wie eine “Späte Machete”, sollte aber wohl ein “Latte Macchiato” sein. Das gäbe es in Kreisen der digitalen Boheme des Luftkurortes St. Oberholz natürlich nicht!

  6. Es geht ja hier nicht um Starbucks. Ich werde nicht daran sterben meinen Kaffee beim Bäcker um die Ecke zu trinken oder mir Socken bei KIK zu kaufen.
    Das, worum es eigentlich geht, ist doch eigentlich offensichtlich?!

  7. @ Miriam: Starbucks ist das Symbol für Dein dekadentes Leben, schon klar. Dein Blick fällt über die Grenzen der Starbucks-Familie hinaus — Du willst Dein Leben verändern. Aber dann kommst Du doch immer nur auf eine andere Familie: die ALDI-Papers-Familie. Worin liegt der Unterschied?

  8. Naomi Klein hat vor zehn Jahren “No Logo” geschrieben. Sie sagt: Marken dominieren unser Leben. Mehr noch: Sie beherrschen unser Leben, indem sie Ersatzreligionen stiften. Um weiterhin fröhlich zu konsumieren, erfinden die Menschen Lügen: sie betrügen und belügen sich selbst und ihre Mitmenschen, statt sich gegen die Marken und das System, dass sie hervorbringt, aufzulehnen.

  9. paradox irgendwie… ist Aldi nicht die größte und mächtigste all dieser Marken?

  10. ich habe meine Jugend auch bei Starbucks verbracht, jetzt fühle ich mich alt, war die Zeit vergeudet? kein gutes Gefühl irgendwie

  11. Mir ist seit Langem schon nicht mehr nach Konsum zumute, sprich, ich empfinde keine Freude daran.
    Das war schon während des Studiums so und jetzt als Hartz IV Empfänger mit Studienabschluss erst recht. Die Welt soll doch bitte mehr bieten können als die Option, irgendwo Geld auszugeben. Des Portmonnaies Größe wegen zu gewinnen (scheinbar) oder zu versagen..

  12. Beim Hartz IV Regelsatz als Lebensgrundlage nach einem ausgiebigem Studium, ist es mehr als verständlich, keine Konsumfreude entwickeln zu können. Für die Lebensfreude an sich, sind die meisten Menschen, insofern nicht posttraumatischen Belastungsstörungen oder ähnlichem Unbill ausgesetzt, selbst verantwortlich. Und dies meine ich fernab jedes Sarrazinismus, neoliberaler Platidüden oder dem amerikanischen”pursuit of happiness”. In der Mitte eines jeden Gesichtes befindet sich eine Erhebung, an deren Spitze man immer zuerst fassen sollte. Dort ist die Lösung zu finden.

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