SlutWalk Berlin: Die Metaebene des Minirocks

High-Heels, Strapse, Minirock, bauchfreies Top: Ist jede Frau, die solche Kleidung trägt eine offene Einladung zum Sex? Eine weltweite Protestbewegung, SlutWalks genannt, demonstriert gegen dieses Frauenbild. Ihre Strategie: Klischees mit Klischees bekämpfen. Ergo: Freizügigkeit als Protestform. Berliner Gazette-Autorin Annika Bunse guckt den aufbegehrenden Frauen unter den Rock.

Über 3000 Frauen, Männer und Transgender trafen sich am Samstag zum SlutWalk Berlin auf dem Wittenbergplatz. Die Demonstranten trugen ihre Unterwäsche, Miniröcke und Bikinioberteile dabei im Bewusstsein, ein Zeichen gegen die „Die-hat´s-doch-provoziert“-Mentalität zu setzen. Sie kämpfen auf diese Weise gegen Männerfantasien und deren Vertreter, zum Beispiel den kanadischen Polizisten Michael Sanguinetti. Er hatte Anfang des Jahres erklärt, Frauen sollten sich nicht wie „Schlampen“ anziehen, wenn sie nicht zu Opfern von Vergewaltigungen werden wollen.

Rasant formierte sich nach der Aussage des Polizisten eine internationale Protestwelle gegen die willkürliche Verknüpfung von sexualisierten Verbrechen und aufreizender Kleidung. In Kanada gingen die Frauen zu Tausenden auf die Straße. Über Facebook, Twitter und in Foren wurde die Nachricht verbreitet, schnell waren die „Schlampen“ allerorts auf den Straßen. Nach den Demos in Kanada und den USA schwappte die Welle auch auf Europa über. In Newcastle, Cardiff, Glasgow, Amsterdam, Kopenhagen und Stockholm protestierten seither die „Sluts“, um auf die Verharmlosung von sexualisierten Übergriffen zu verweisen.

Das Schweigen brechen

Spätestens seit den Fällen Kachelmann und Strauss-Kahn erleben feministische Bewegungen wie das „SlutWalk“-Konzept auch in Deutschland einen regen Zulauf. Der Freispruch des Wettermannes und die womöglich fallen gelassene Anklage gegen den ehemaligen Direktor des Internationalen Währungsfonds hat den Glauben vieler Frauen an Gerechtigkeit für Vergewaltigungsopfer stark erschüttert.

„Von den Vergewaltigungen, die zur Anzeige gebracht werden, werden nur 18 Prozent der Täter verurteilt.“, weiß Kerstin Grether, die Organisatorin des „SlutWalk Berlin“. Zusammen mit ihrer Schwester Sandra und einem 20-köpfigen Team aus Bloggerinnen, Autorinnen, Musikerinnen und Kunstschaffenden hat sie den „SlutWalk Berlin“ auf die Beine gestellt. Für Kerstin Grether, die selbst von sexueller Gewalt betroffen war, ist der Protest besonders wichtig.

Ihr hätten kurz die Tränen in den Augen gestanden, als sie auf die vorbeiziehenden Menschen geblickt habe. Der Protest wäre für sie wie ein „Befreiungsschlag“ gewesen. „Der Slutwalk war enttraumatisierend für mich. Wenn es schon damals, als ich nach einem Übergriff zitternd in meinem Zimmer saß, eine ganze Bewegung von Frauen gegeben hätte, die ganz bewusst das Schweigen bricht, dann hätte ich mich nicht so allein gefühlt.“, so Grether.

“Sex sells” vs. Feminismus

Das Schweigen ist nun gebrochen, aber wird das ehemals Unaussprechliche jetzt anders aufgenommen? Dringt diese wichtige Botschaft überhaupt noch ins tiefere Bewusstsein einer nur noch oberflächlich Medien konsumierenden Gesellschaft vor?

Wenn man die Berichterstattung in den etablierten Medien über die „SlutWalks“ verfolgt, erkennt man: Hier geht es nicht darum, ein kritisches Bewusstsein für das Thema zu schaffen, sondern viel eher darum, Schaulust zu schüren. Genüsslich werden Schlampen-Wortspiele als Titel veranschlagt, dekorative Bildergalerien mit möglichst vielen Brüsten beigestellt und Videos mit starker Fokussierung auf Hinterteile gezeigt.

Das Paradoxe daran ist, dass die Kampfansage der Frauen unter das Diktum „Sex sells“ gestellt wird und somit wieder entkräftet wird. Da die Mainstream-Medien derartige Darstellungsformen bevorzugen, wird es der feministischen Botschaft erschwert, überhaupt anzukommen.

Warum überhaupt Minirock?

Die Frauenrechtlerin und Philosophin Simone de Beauvoir schreibt dazu konform in „Das andere Geschlecht“, die Menschheit sei männlich geprägt und „der Mann definiert die Frau nicht an sich, sondern in Beziehung auf sich; sie wird nicht als autonomes Wesen angesehen.“ Wenn der Mann die Frau aufgrund ihrer Kleidung zur „Schlampe“ degradiert, stiehlt er ihr eben jene Autonomie. Moderne Frauen, die selbstbewusst in einem kurzen Rock auftreten, wollen mit derartiger Kleidung eben nicht ihre Promiskuität verdeutlichen, sondern ihre Persönlichkeit zeigen. Das haben auch heute noch nicht alle verstanden.

Mit dem „SlutWalk“ wollen selbstbestimmte Frauen wie die Zwillinge Kerstin und Sandra Grether als dezidiert selbstbezeichnete Schlampen die Verknüpfung von Kleidung und sexueller Offerte weiter auflösen. Ihnen ist klar, dass nicht jeder die ironische Brechung dahinter begreift. Sandra Grether, die Musikerin in der feministischen Band Doctorella ist, sagt dazu: „Eine Demo gegen Atomkraft erkennt jeder sofort – bei uns erschließt sich der Sinn erst auf den zweiten Blick, wenn man auf die Plakate schaut. Die Metaebene des Minirocks bleibt vielen verschlossen. Wir arbeiten dran.“

Die von ihrem Team vorangetriebene Bewegung hat sich gerade erst richtig in Gang gesetzt. „Dieser Tag gehörte uns und das war erst der Anfang!“, erklärt die junge Schriftstellerin Kerstin Grether bestimmt. Der Zulauf war groß. Mittlerweile kann man von einer „Slutwalk“-Kultur sprechen, die sich gegen sexuellen Missbrauch ausspricht. Auf dem Schild einer Gruppe am Schluss des 3000-Mann-Zuges in Berlin prangt deren gemeinsames Ziel: „Rape culture must die“.

Anm.d.Red.: Fotos von MmeCoquelicot und Devon Shaw (beide by-nc-sa).

46 Kommentare zu “SlutWalk Berlin: Die Metaebene des Minirocks

  1. hm. mir bereitet das schon bauchschmerzen. verstehen diese form des protests mit einem augenzwinkern nicht eh nur die hippen berliner leute?

  2. Ich kann mit dem SlutWalk Thema wenig anfangen. Genausowenig wie mit dem Katzenwelttag vor ein paar Tagen. Schlicht überflüssig.

  3. H-Heels, Strapse und Minirock sind keine automatische Einladung zum Sex.
    Statistisch gesehen ertappe ich mich häufig in einer Form des Fremd-Schämens. Ich frage mich ob diese Person niemanden in Ihrem Umfeld hat, die Ihr einmal die Wahrheit sagt.
    Schlicht und einfach. Das sieht echt Scheiße aus. Das kannste so nicht tragen. Da biste nicht der Typ dazu, oder noch deutlicher.
    Ich glaube, daß die H-S-M Symbole heutzutage öfter eine Ausladung zum Sex darstellen als umgekehrt.Grundsätzlich kann meinetwegen jeder das tragen was ihm gefällt.Ich bin gegen Anstößigkeit, Sexismus oder ähnlichen bürgerlichen Vorstellungen relativ immun. Selbst das Tragen von Burkas lehne ich nicht ab, weil jede Kultur seine eigene Unterdrückung selbst entknechten muß. Das kann nicht von außen kommen.
    Diese SlutWalk Bewegung hat offensichtlich keine anderen Probleme als sich mit einer schrägen Form der Mode-Diskussion zu beschäftigen, ja dafür sogar zu protestieren. Es gibt wirklich interessantere und wichtigere Dinge als für seine Unterwäsche, den Minirock und seinen freitragenden Fettbauch zu demonstrieren und dann auch noch das andere Geschlecht in diese sinnlose Diskussion hinein zu ziehen.

    Ich wünsche den SlutWalk Lad`s einen Platzregen, 15 GradTemperatur Sturz und niemanden, der sich für so viel Oberflächlichkeit interessiert. Mal sehen, ob die überhaupt Kaffee kochen können.

    Meine Aufmerksamkeit wird dann wieder angeregt, wenn Alice Schwarzer sich bei der nächsten Demo an die Spitze stellt. So richtig aufgemotzt um dem Thema endlich die richtige Kontur zu geben.
    Zugegeben, das wäre dann schon Voyorismus. Aber in diesem Fall stehe ich dazu.

  4. @#6: die SlutWalker kämpfen gegen Klischees/Stereotype — was sie bei diesem Kampf einsetzen sind ebendiese Klischees/Stereotype.

    Hast du eigentlich den Artikel gelesen?

  5. mobilisieren, organisieren, eine gemeinsame Sprache finden, ein Feindbild definieren, auf die Straße gehen — all das und einiges mehr würde ich als einen Kampf bezeichnen, an denen sich Menschen beteiligen, die wie die OrganisatorInen des Berliner SW traumatisiert sind, aber nicht sein müssen, sondern die Verhältnisse nicht ertragen wollen, unter denen solche Traumatisierungen zustande kommen.

  6. die einzig mögliche lösung für dieses problem ist allgemeiner, absoluter und nachhaltiger verzicht auf jegliche bekleidung. ausser vielleicht im winter, da könnte es dann transparente ganzkörperwarmhalter geben.

  7. @#9: ok. Ich habe Dich verstanden.

    Mir machen die Vergewaltigungen in Somalia in Zeiten der Dürre und der Übergriffe mehr Sorgen als dieses Thema.
    Da sehe ich Handlungsbedarf. SRY.

    Ich habe Videos gesehen vom Berliner SlutWalk. Die waren nicht traumatisiert sondern auf einem Spaziergang. SRY.

    Slutwalk Berlin 2011 – (the No-Comment Video)
    http://www.youtube.com/watch?v=inxh6K9qKZg

    Wer sich traumatisiert fühlt sollte zum Arzt/Anwalt gehen.

    Wie ich sehe gibt es schon die Gegenbewegung.
    Intense New Zealand All Blacks Haka War Dance
    http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=JqnimvUMCAk

  8. @ #11: Ob Du wohl anders denken würdest, wenn Deine Freundin/Frau/Tochter/Mutter/Bekannte vergewaltig werden würde? Oder hätten dann immernoch die Vergewaltigungen in Somalia Vorrang? (Versteh mich nicht falsch, was in Somalia zur Zeit geschieht ist furchtbar.)
    Denk mal drüber nach.

  9. Ich find das Thema sehr interessant und den Artikel toll!!!
    Schönster Satz für mich: “Die Metaebene des Minirocks bleibt vielen verschlossen. Wir arbeiten dran.“ – Unglaublich gut.

  10. #11 nur kurz, weil ich mich mit patriarchailschen Äußerungen, die so vermutlich nicht mal gemeint waren, es dennoch sind, nicht länger als notwendig befassen möchte:
    Frauen, denen eine Mitschuld an Gewalt, die ihnen angetan wurde, angelastet wird, weil sie “die falsche Kleidung” trugen und damit zu Mißbrauch und Vergewaltigung “einluden”, müssen offenbar definitiv Bewußtsein erwecken, auf der ganzen Welt, wenn Leute immer noch denken, es geht beim Slutwalk nur um Mode. Mode, oder genauer gesagt, Kleidung, ist in dieser Gesellschaft immer auch ein Ausdruck von Persönlichkeit und das Recht, ihre Persönlichkeit auszudrücken ist allen zu gewähren, ohne die Gefahr, dass daraus Gewaltanwendung entsteht.

    Es gibt viele Probleme auf der Welt und viele sind lebensbedrohend. Ich wünsche dir viel Erfolg dabei, auszurechnen, welches momentan in diesem Augenblick das Dringlichste ist und sage vorab, dass ich die Aufrechnung von Problemen oder Geschehnissen abartig finde. Alles, was Menschen oder Tiere oder die Natur verletzt oder bedroht, ist als schrecklich zu betrachten und niemand kann bestimmen, was denn nun eigentlich das Schlimmste ist, denn in dieser Kategorie gibt es meines Erachtens kaum ein gültiges Wertesystem.

  11. ich hatte nur den teaser gelesen. jetzt auch den artikel. der protest richtet sich ja offenbar nicht dagegen dass kleidung als einladung für sex verstanden/gemeint werden bzw. eine sexuelle komponente haben kann, sondern gegen leute, die freizügige kleidung als aufforderung nehmen, sich sex mit gewalt zu erzwingen. ein durch und durch sinnvoller protest.

  12. @#11: menschen engagieren sich für dinge, die ihnen auf den nägeln brennen.

    der schmerz, der durch feuer versursacht wird — sollte er via telekinese zu stärkeren reaktionen führen oder via den direkt-kontakt mit der eigenen haut?

    ich denke letzteres, womit ich ersteres nicht ausschließen will.

    man sollte vor der eigenen haustür ordnung halten bevor man sich vor den haustüren anderer leute zu engagieren beginnt.

    und dann geht es eben nicht immer nur um einen selbst und das private (un)glück, sondern um schulterschlüsse: wenn ich merke, dass der dreck vor meiner eigenen haustür quasi identisch ist mit dem dreck vor den haustüren meiner unmittelbaren nachbarn, dann wird der brückenschlag entscheidend:

    die kollektive reaktion leistet nicht nur mehr als jede individuelle behandlung durch welchen arzt auch immer, sondern sie vermag auch das private leid in eine politische dimension zu übersetzen. und darum geht es hier. politik.

  13. #1 Ich glaube nicht, dass nur die “hippen Leute in Berlin” diesen Slutwalk verstehen, denn Slutwalks gibt es in ganz Deutschland und auf der ganzen weiteren Welt. Wenn wer nicht sofort versteht, was da grade vorgeht, dann beginnt die eine oder der andere ja eventuell dennoch, darüber nachzudenken, wofür diese Menschen denn da grade eigentlich auf die Straße gehen.

  14. @#16 Ulf Schleth: Danke für deinen Hinweis! Ich finde, dass hier vielleicht ein generelles Problem bei der Kommunikation der Message der SlutWalks zum Tragen kommt: Mixed Signals. Ich musste mir erst einige Texte zum Thema durchlesen, um zu verstehen, worum es eigentlich geht. Wie in dem Text ja auch steht, bei einer Anti-Atom-Demo, weiß jeder, worum es geht. Sexismus (und die anderen Themen, die damit zusammenhängen) und der Protest gegen Sexismus lassen sich viel schwieriger kommunizieren.

  15. Interessante Diskussion. Euer Wortgefecht hat mich animiert, einen Kommentar abzugeben.

    @#11, Uwe: Deine Sichtweise ist ziemlich … ähm … also sagen wir mal “begrenzt”. Jeder Frau (natürlich auch jeder Mann) kann und darf das anziehen, was sie will. Unabhängig davon, was für eine Figur sie hat. Wenn es Dir nicht gefällt, dann ist es alleine Deine Geschmackssache. Wo kämen wir hin, wenn alle das tragen würden, was allen gefällt. Eintönigkeit und Langeweile wären die Folge. Ich will Vielfalt. Und dazu gehört auch ein peinliches Outfit.

    @Uwe: Wenn Du eine Frau wärst, und Du müsstest Dich fürchten, vergewaltigt zu werden, nur weil Du Dich mal ordentlich in Schale geschmissen hast, würdest Du anders denken. Manche Männer haben ihre Hormone eben nicht unter Kontrolle, wenn sie eine “Pretty Woman” sehen. Und meistens passiert derartigen Männern nach einer solchen Straftat nichts.

    Ja, es gibt viele andere Probleme auf dieser Welt. Aber wir sollten uns nicht anmaßen, anderer Leute Probleme als unwichtig einzustufen. Die SlutWalkerinnen haben entschieden, dass ihre persönlichen Probleme wichtig genug sind, um darauf aufmerksam zu machen. Das sollte man respektieren.

  16. @#2 Laut den Veranstaltern waren rund die Hälfte der Demonstranten Männer, die sich solidarisch mit den „Sluts“ zeigten. Eine bärtige Gruppe in Schottenröcken hatte sich etwa auf ihr Banner geschrieben: „Echte Männer vergewaltigen nicht. Echte Kerle unterstützen die „Schlampen“.

  17. #13 Vielen Dank. Die Mädels von Doctorella hatten einiges auf dem Kasten. Die haben keine leeren feministischen Parolen von sich gegeben sondern genau reflektiert, in welcher Form sie ihren Protest zum Ausdruck bringen. Ihnen ist ja auch klar, dass das nicht jedem auf den ersten Blick ersichtlich ist, dass Frauen in Lingerie ein Symbol gegen Vergewaltigungsmythen sein sollen. Das war gut zu sehen.

  18. #11 Lieber Uwe Dammann, das Somalia-Argument hinkt, weil es so langsam langweilt, von Problematiken, die die direkte Lebenswelt betreffen, mit dem Hinweis “In Afrika ist alles viel schlimmer.” abzulenken.
    Der Unterschied ist, dass ich im Gegenzug zu dir auf dem Slutwalk war. Du sagst: “Ich habe Videos gesehen vom Berliner SlutWalk. Die waren nicht traumatisiert sondern auf einem Spaziergang.” Schade. Fast alle Frauen, die ich interviewt habe, waren schon mal sexeuller Belästigung oder gar Mißbrauch ausgesetzt. Wenn du denkst, das war eine Spaßveranstaltung für die Opfer, dann möchte ich dir ein Beispiel geben:
    Mitten unter dem bunten Volk stachen immer wieder kleine Gruppen von Frauen heraus, die ganz in schwarz gekleidet waren: „Dunkelziffer“ stand auf ihren T-Shirts geschrieben. Sie erklärten mit, dass sie sich bewusst für diese Darstellungsform entschieden hätten, weil sie damit zeigen wollen, wie groß der Anteil an Vergewaltigungen sei, die nicht zur Anzeige gebracht werden. Ihr Anblick lässt jedem das Lachen vergehen. Betrachte doch auch mal stärker solche Aspekte!

  19. @#16 & 19 Das ist absolut richtig, es sind “Mixed Signals”. Und die sind auch das Problem der Feministinnen.
    Sie versuchen den Begriff der Schlampe ironisch zu brechen. Das ist, wie ich finde, eine kluge, aber auch kommunikativ betrachtet eine schwierige Sache, da – wie ich geschrieben habe – der primäre Reiz eben “Wäsche” ist. Und das ist mehr eine “Optik”, wie die Zeitungsleute sagen, denn ein Aufruf zum tiefgehenderen Diskurs.

  20. #23/11: Gewalt/sexuelle Gewalt, insbesondere gegen Frauen und Kinder, ist abzulehnen und zu verurteilen – überall auf der Welt.Das gilt in besonderem Maße für das, was in Elends-, Hunger- und Kriegsgebieten vor sich geht, wo es z.B. in Ex-Jugoslawien, Kongo, Ruanda, Somalia und anderswo zu Massenvergewaltigungen kam und kommt.Insofern finde ich die Bemerkung, dass “…Somalia-Problem hinkt, weil es so langsam langweilt…” einfach unangebracht.Gegen das, was sich dort offensichtlich abspielt, ist Slutwalking ein Luxusproblem.

  21. #25 Jürgen, Du hast recht, ich habe vergessen dazu zu schreiben, dass ich mich mit dem hinkenden Vergleich auf den “SlutWalk”-Kontext beziehe.
    Das was mich langweilt ist um Gottes Willen nicht das Leid der Menschen in Somalia! Im Gegenteil. Ich gehe völlig d´accord mit dir in dieser Hinsicht.
    Was mich hingegen manchmal nervt ist, dass immer auf Afrika verwiesen, bzw. diese Thematik benutzt wird, wenn von einem anderen Thema abgelenkt werden soll, für das eigene Argumente fehlen. Wenn andere Themen – wovon sexuelle Gewalt nur eines ist – immer wieder dem Afrika-Problematik untergeordnet werden, endet die Kommunikation über diese Themen meistens an diesem Punkt. Dann wird das Afrika-Argument zum Totschlagargument. Das ist es was mir manchmal aufstößt. Ich hoffe es ist so klarer formuliert.

  22. #26 Annika: Selbst, wenn man von dem Thema Slutwalk ablenken wollte, was wäre so schlimm daran? Lassen wir mal Afrika beiseite und nehmen Deutschland.Was wäre schlimm, wenn jemand auf die “stille”, anonyme Gewalt in deutschen Schlaf- und Kinderzimmern hinweisen würde, auf das was – manchmal bruchstückhaft – aus deutschen Reihenhaussiedlungen, aus ansonsten idyllischen Gegenden unseres Landes an die – zuweilen gierig lauschende, manchmal schockierte – Öffentlichkeit dringt. Was wäre schlimm daran, wenn jemand auf gewesene (und heutige?) Gewalt in staatlichen und kirchlichen Heimen hinweist? Sind diese Dinge, man könnte noch viel mehr anführen, nicht wesentlich wichtiger, als dieses, durch Medien beförderte Thema Slutwalk? Geht es darum, wieder einmal eine neue Sau durchs Dorf zu treiben oder geht es darum, dass man sich als Medium mit den wirklichen bzw. großen Themen der Zeit beschäftigt und bei manchen Themen einfach mal diie Klappe hält?
    Wenn man in Berlin mit offenen Augen durch die Stadt geht, dann sieht man – neben dem, was schön und gut ist – auch die kleine Gewalt, die unbemerkte Demütigung, die es aber leider selten bis in die Schlagzeilen schafft.

  23. #27 da habe ich eine Lösung für dich. Wenn du dich nicht an dieser Diskussion beteiligen möchtest, weil sexuelle Gewalt und Schuldzuweisung an Opfer dir irgendwie nicht wichtig genug erscheint, beteilige dich doch einfach nicht an der Diskussion.

    Es gibt leider kaum etwas langweiligeres und unhöflicheres als zu sagen, dass man das, worüber grade gesprochen wird, total unwichtig findet… Was soll das bei dir da eigentlich sein, eine Medienkritik, eine Tatsachenkritik? Tut mir leid, aber ich sehe da nicht so viel Stringenz in deiner Argumentation.

  24. @#Jürgen und #28 Kari: Ich kann Kari nur Recht geben, es kann doch nicht darum gehen, Probleme gegeneinander aufzuwiegen. Es gibt tausende von Problemen in unserer Welt, auf die nicht oft genug und nicht offen genug hingewiesen wird, die unter den Teppich gekehrt werden. Das kann doch aber kein Grund sein, das Thema/ den Cause der SlutWalkerinnen für unwichtig zu erklären. Ich bewundere die SlutWalkerInnen dafür, dass sie auf die Straße gehen und ein Bewusstsein schaffen. Allein, dass wir hier so intensiv diskutieren, kann aus meiner Sicht als voller Erfolg gewertet werden.

  25. @# 26 & 28 & 29 Jürgen
    Jürgen, auch diese Themen werden doch in der kritischen Presse aufgegriffen, vielleicht zu wenig, aber dennoch sind ebenso die Themen stiller sexueller Gewalt auf der Agenda.
    Es ist nur so, dass eben, um ein Thema medial aufzubereiten ein sog. “Aufhänger” gegeben sein muss, da sonst wenig Aufmerksamkeit generiert wird. Es sind die Leute selbst, die zeitlose Hintergrundreportagen o.Ä. weniger lesen, als solche mit aktuellem Bezug. Dieses Prinzip hat auch in den Medien Schule gemacht, da sie als Unternehmen auf die Auflage etc. achten müssen und deshalb derartige Themen bevorzugen. Man denke an den Mißbrauchsskandal der Kirche – da ist genau so ein Thema verborgener Gewalt medial soz. “explodiert”.

  26. #28 & 29 Kari und Helga
    Danke, dass ihr dieses kritische Bewusstsein unterstützt! Es lag mir daran, genau das mit dem Artikel rüberzubringen. Ich freue mich, dass ihr euch so rege für diese Protestform aussprecht. Sie ist ja mittlerweile weltweit vertreten, das ist meiner Meinung nach ein Zeichen dafür, dass die Nachricht der SlutWalkerinnen angekommen ist. Wie bei euch! Das ist sehr gut!

  27. Der Slogan des Slutwalks “no means no” war ein Schlag ins Gesicht für mich.

    Ich bin Vergewaltigungsopfer, und bei mir war der Vorwurf, dass ich nicht Nein gesagt hätte. Ich wäre kein Kind mehr gewesen, und wenn ich nicht Nein sage, dann wäre ich selber schuld! Dabei wußte der Täter sehr genau, dass ich nicht Nein sagen können würde.

    Ich habe ein Problem damit, dass so ein ernstes Thema, was mich immer noch sehr belastet, zu einer Spaßveranstaltung gemacht wird. Irgendwie werden schwere Vergewaltigungen und anzügliche Bemerkungen gleich behandelt.

    Etwas mehr Respekt und Verständnis seitens der Veranstalterinnen und Teilnehmerinnen für Vergewaltigungsopfer wäre gut gewesen!

  28. #@32 Liebe Noname, ich finde es wichtig und sehr mutig von dir, dass du dich hierzu äußerst. Es ist bestimmt sehr schwierig selbst als Opfer in einem fröhlichen und bunten Zug mitzulaufen, der wenig “ernsthaft” ausgestaltet ist.
    Hast du das mit den Dunkelziffern weiter oben gelesen? Diese Mädels hatten nicht den Anschein gemacht, auf einer Spaßveranstaltung zu sein. Aber wie gesagt, das waren auch nur kleine Gruppen…
    Die Veranstalterinnen haben das, was du beschreibst, auch gesehen und deshalb ein Forum eingerichtet, in dem Vergewaltigungsopfer ihre Geschichte anonym aufschreiben können und mit anderen darüber reden können. Vielleicht ist die Aufmerksamkeit, die sie durch den Protestmarsch bekommen haben, gut dafür, auch derartige Möglichkeiten weiter voran zu treiben.

  29. Hallo Annika Bunse,

    Danke für die Antwort. Nein, ich bin kein Dunkelziffer, sondern ich habe eine Anzeige erstattet. Dass ich nicht Nein gesagt hatte, das war eins von den Gründen, warum das Strafverfahren eingestellt wurde.

    Für mich sieht der Slutwalk mit dem Slogan “no means no” also so aus, dass die Veranstalterinnen ähnlich denken wie die Staatsanwaltschaft und die Schuld auf Opfer schieben.

    Das macht mich sehr traurig und wütend.

  30. Zu #35, allerdings geht es da um Kindesmissbrauch (mit ganz anderen gesetzlichen Rahmenbedingungen). Für diese Opfergruppe gibt es seit letztem Jahr auch offiziell den Runden Tisch Kindesmissbrauch (www.beauftragte-missbrauch.de). Wobei mir dort auch von Fachberaterinnen gesagt wurde: Sie waren doch kein Kind mehr, irgendwann mal muss man anfangen, für sich selbst die Verantwortung zu übernehmen.

    Und zu dem S-Bahn-Opfer: ich habe neulich so eine Körperverletzung als Passant miterlebt. Die Reaktion des Umfeldes war da auch: vielleicht hatte der Geschlagene den Schläger provoziert. Vielleicht sind sie Freunde und haben nur Streit und wollen gar nicht die Polizei. Schließlich ist das Opfer ja keine Frau. Ich wurde ausgelacht, weil ich die Polizei gerufen habe. Die Frage der Polizei an das Opfer: haben Sie sich gewehrt?

    Also: so anders ist es auch bei männlichen Opfern nicht. Und dass man gerne eine Gewalttat bagatellisiert und den Täter entschuldigt, das ist nicht nur bei Sexualdelikten so.

  31. Und eine Korrektur der Zahlen im Artikel: von den Vergewaltigungsanzeigen kommen ca. 15% zur Anklage. Verurteilt werden ca. 10%, Tendenz fallend.

    Das kommt auch davon, dass mit dem Anstieg der Anzeigen auch die Anzahl der Falschanschuldigungen gestiegen ist, und das Gericht um so penibler arbeitet.

  32. #33 Zu der Idee mit Forum mit Geschichten.

    Da sollte man sehr gut aufpassen, wie man das macht.

    Mitbedenken sollte man, dass
    1) die Betroffenen beim Lesen von Geschichten sehr getriggert werden können (mit Folgen bis hin zu suizidalen Krisen)
    2) auch Täter solche Foren gerne lesen
    3) man eine Unterlassungsklage und Verleumdungsanzeige riskiert, wenn der Täter zu identifizieren wäre.
    4) es auf solchen Foren immer auch leider Scherzeinträge mit falschen Geschichten gibt. Diese sind für wirkliche Betroffene zusätzlich missbräuchlich, gerade wenn man für diese Personen Mitgefühl aufbringt.

    Also, einfach ein Forum ins Netz stellen reicht nicht aus. Man muss wissen, was man tut, sonst gefährdet man die Opfer.

  33. #40 Ich weiß nicht genau, was Du meinst. Aber ich habe schon Sachen in Chats und Foren zum Thema Missbrauch erlebt, und auch habe ich erlebt, wie gut meinende Laien (z.B. ehrenamtliche Mitarbeiter vom Weißen Ring, Feminismusgruppen) Opfer retraumatisieren oder diese in weitere Gefahr bringen.

    Und da ich beim Slutwalk nicht so überzeugt bin, dass die Veranstalterinnen sich mit dem Thema auskennen oder Erfahrungen im Umgang mit Vergewaltigungsopfern haben haben, mache ich mir Sorgen, dass sie aus Aktionismus genau dieselbe Fehler machen und damit Opfern (ungewollt und unwissend) schaden.

  34. Nein, genau solche Gedanken sind gefährlich.

    Wenn man einen bestimmten Täter “verpfeiffen” will, sollte man lieber eine offizielle Strafanzeige machen. Bei einem anonymen Betroffenenforum muss es in erster Linie um die Verarbeitung der Tat für sich gehen.

    Und eine Vergewaltigungsanzeige möchte ich nicht als Whistleblowing bezeichnen. Denn man ist hier sehr stark selber betroffen. Vergewaltigung (anders als eine sexuelle Belästigung) ist eine Straftat, mit 2 Jahre Mindeststrafe.

  35. Zudem finde ich es nicht gut, dass die Wahrheitsfindung zunehmends nicht vorm Gericht stattfindet, sondern durch PR in der Presse. Siehe Kachelmann. Da haben sowohl die Kachelmann-Seite als auch die ClaudiaK-Seite die Medien benutzt, um ihre Sicht der Dinge darzustellen.

    Für viele Vergewaltigungusopfer ist aber gerade eine solche Medienexposition ein Albtraum, und genau deshalb überlegt man sich dreimal, ob man eine Anzeige erstattet.

    Und wenn ich den Täternamen im Netz nenne, kann man meine Identität noch so gut schützen – das Umfeld wird wissen, wer ich bin, schon alleine aufgrund der Tatbeschreibung.

    Bitte nicht vergessen, dass es bei einer Vergewaltigung um ganz intime Sachen geht.

    Würdet Ihr über Euren Sex gestern öffentlich schreiben, auch wenn das schön war?

    Gaffer brauchen Opfer nicht.

  36. Interessant wäre natürlich ein Forum, wo Vergewaltigungsopfer ihre Erfahrung schildern können, was sie alles schon gesagt bekommen haben, als sie sich offenbarten. Reaktionen von Behörden, Beratungsstellen, Arbeitgebern, Polizei, Krankenkassen usw. aber auch von Verwandten, Freunden und Bekannten….

    Allerdings fürchte ich, dass das für andere Opfer, die gerade überlegen, sich zu offenbaren, eher entmutigend und beängstigend wirkt. Und ich weiß nicht, ob das gut ist.

    Ich habe z.B. gerade von der Antidiskriminierungsstelle gehört, dass wenn das Strafverfahren eingestellt wurde, dann wäre die Tat doch wohl nicht so schlimm gewesen….

  37. @noname
    ich danke dir für deine reflektierenden Gedanken – als nicht unmittelbar und mittelbar Betroffener ist es sehr hilfreich, wenn Betroffene ihre Gefühle und Gedanken in Worte fassen und transparent machen.

    Mein Respekt für deine Darstellung – deiner Empfindungen!

    Ich hoffe meine nachfolgenden Zeilen bringen dir keine unangenehmen Gefühle!

    ————-

    Ich nutze die Gelegenheit den Regisseur einer der Fernsehbeiträge, welche gestern auf 3sat gelaufen sind, zu zitieren.

    aus dem Begleittext zum Beitrag auf:
    http://www.3sat.de/programm/?viewlong=viewlong&d=20110906&dayID=ClnDaN06&cx=56

    Zitat:
    “Meine Recherchen haben mir gezeigt, dass viele Leute, die den Missbrauch geahnt haben, trotzdem nicht gehandelt haben, weil sie nicht emotional begriffen haben, worum es eigentlich geht. Genau das wollte ich mit diesem Film ändern”, so Christoph Röhl.

    zu seinem Dokumentarfilm: Und wir sind nicht die Einzigen – Deutschland 2011

    Am selben Abend sind noch zwei weitere Beiträge gelaufen – jeder für sich – nachhaltig be(ein)dru(e)ckend…
    Unter der Themenüberschrift: „Anklage: Missbrauch“
    1. Zuletzt befreit mich doch der Tod – Dokumentarfilm von Beate Middeke, Deutschland 2008
    2. Laut und deutlich – Dokumentarfilm von Maria Arlamovsky, Österreich/Deutschland 2002

    Ja, es geht um Emotion und Empathie (es sollten sich die angesprochen fühlen, die gemeint sind)

    abschließende Anmerkung:
    es ist allen (auch hier) ggü gestellten Missbrauchs- und vielen weiteren Leid-situationen gleich – es geht um Macht und somit um Unter- bzw. Überordnen – und dies sind nun mal patriarchalische Strukturen.
    Das mag (uns) vorwiegend männlich-geprägten Menschen im Besonderen unpassend scheinen und somit schwieriger fallen, mit dem Wiederstand von Betroffenen sachgerecht umzugehen…

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