Schlechter Empfang

Der Rueckzug aus der televisionierten Gesellschaft begann mit einem Kontakt in der telefonierten Gesellschaft: >Guten Tag, ich bin umgezogen und moechte den Kabelanschluss anmelden.< - >Das kostet einmalig dreissig Euro, dann dreizehn Euro im Monat<. Diese Antwort, diese beneidenswert praezise Auskunft war einer jener Wegpunkte, an denen man retrospektiv einen Lebenswandel festmacht.

Ein einfaches >Ja< haette gereicht, um die Geschichte an dieser Stelle zu beenden. Doch in Kafkaesker Uebermut brach das Protokoll durch einen unverschaemten Einwand: >Der Anschluss funktioniert bereits, es muss ja niemand vorbeikommen, das Abonnement genuegt< - >Das Anschliessen kostet dreissig Euro. Immer<. Ein aussichtsloses Gespraech zeichnete sich ab. Dem patenten Dialogpartner war mit etymologischen Herleitungsversuchen des Wortes >Anschluss< kaum beizukommen. Logische Argumentationsketten wurden durch wiederholtes Aufsagen der Formel >…kostet dreissig Euro< performativ ausgehebelt [vgl. Austins >How to do things with words<]. Ein gefuehlter, ein Windchill-Che-Guevara uebernahm das Gespraech und fuehrte den Stolz zum Sieg und die Pragmatik ad adsurdum: Das Abonnement wurde nicht abgeschlossen. Sollten sie doch kommen und es abschalten. Sollten sie doch kommen. Sie kamen nicht. Anderthalb Jahre. Taktik. Erst als man sie nicht mehr erwartete, klingelte ein mit kariertem Hemd getarnter Konter-Revolutionaer und saeuselte zum Klicken seines Kugelschreibers: >Guten Tag, ich habe Ihren Kabelanschluss abgeklemmt, sie wollten ihn ja nicht … Komma oder Fragezeichen<. Er bemuehte sich, durch Heben der Stimme am Satzende und Einbauen einer Kunstpause einem peinlich beruehrten >Ach, wir haben einen Kabelanschluss? Nein, schalten Sie ihn bitte an, wir unterschreiben gern das Formular, in dem Sie bereits unsere Namen vorsorglich ausgefuellt haben< einen entspannten Rahmen zu geben, der in etwa einer >Hallo, Herr Kaiser< -Reklame entsprach. Doch abermals lag Revolution in der Luft. >Spiel mir das Lied< vom Tod toente aus dem Off und nur ein rollender Strohballen trennte die Kombattanten. Achtzehn Monate subversiv-egoistische System-Untergrabung, das wuerde ER nicht beenden. Nein, keine Anschlussgebuehr. Der Uebermut uebernahm die Steuerung. Dabei drohte das Chaos. Der Tatortabend. Belaecheltes deutsches Familienritual, gelegentlichen >Frueher war es besser<-Kommentaren ausgesetzt. Nichtsdestotrotz, er nahte. Jedoch ohne Chance auf Realisation. Untergang des Abendlandes [Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte]. Keine Moeglichkeit >er wars!< zu rufen und mit Anmerkungen wie >Was fuer ein schlechtes Drehbuch< und >Ich kann dieses Ermittlerteam nicht leiden, aber gute Kamerafuehrung< auch den letzten Mitseher von der Geschichte abzulenken. Die Tragoedie nahm eine erleichternde Wendung, als ein deus-ex die materialisierte Resistance in einer kleinen Schachtel uebergab. >DVB-T-Receiver mit Aktivantenne<, so klingt Widerstand heute, dachte man sich und gab sich in die Haende eines neuen Abenteuers. Keine Kalaschnikow, kein roter Schriftzug, aber ein von verstoerend grobpixeligen UEberraschungen unterbrochenes Fernsehvergnuegen boten die graue Schachtel und das lange Kabel, das nun eine meterlange Schneise durchs Zimmer zum Fenster markiert. Das Medium wird wieder sichtbar. Fernsehen bedeutet nun manifeste Stolpergefaehr, Wetter-Abhaengigkeit und keine Aufnahmemoeglichkeit mehr mit ueberteuerten Geraeten, die erst wenige Monate vorher angeschafft wurden. Was alles ertraeglich war, denn die dreissig Euro, sie wurden nicht zweckentfremdet und der Tatort schepperte auch weiterhin sonntags in leicht veraenderter Grobkoernung ueber den Bildschirm. Revolution ist eben Lo-Fi. Schon immer. Der Konflikt hat sich zugespitzt. Die DVB-T-Fernbedienung ist einer hektischen Aufraeumaktion zum Opfer gefallen - so die vorlaeufige Diagnose - und das Umschalten am Geraet ist der letzte Stand des heimischen Fernseh-Dispositivs, Fernsehen, das waren einmal dutzende Kanaele in verschiedenen Sprachen zu hunderten Stunden auf einen Festplattenrekorder aufgenommen. Nun ist es das Sehen von >Ausstrahlungen<, nachdem man sich aus reiner Bequemlichkeit fuer einen Sender entschieden hat. Jedoch ist es nicht schlimm, es ist keine Beschraenkung, es ist einfach nur anders. Es ist kein Politikum eines Waldorfschen >Nein, wir nicht<, sondern schlichte Tatsache des Ein-Kanal-Fernsehens mit Wetter-Diagnose. >Wir haben schlechten Empfang – es regnet bestimmt<. Das war vorher nicht moeglich. Dabei haette es dreissig Euro fuer den Anschluss gekostet.

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