Russendisko

“Ich wollte die russische Musik niemandem aufdrängen” sagt Bestseller-Autor Wladimir Kaminer über die Russendisko im Kaffee Burger in der Torstraße. Ein Ort, den er scheußlich findet, der aber trotzdem Heimat für ihn wird. Ebenso Berlin, das er wegen der Mentalität schätzt und den ganzen Knallern, die von überall her ziehen. Ein Blick auf die Großstadt und die Geschichte einer Disko.

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Ich fuehle mich als Mann, der in einer sehr interessanten Zeit aufgewachsen ist. Ich werde oft gefragt, ob ich aus Russland komme, oder was mein Herkunftsland ist. Aber ich habe mit dem heutigem Russland nicht viel zu tun. Da muss ich enttaeuschen. Ich komme aus der Sowjetunion, aus einer ganz bestimmten kulturellen Tradition, die es nicht mehr gibt. Diese lebt in unseren Herzen weiter und ich glaube man kann ein Land nicht per Beschluss aufloesen, genauso wie man auch eine Tradition nicht aufloesen kann. Ich glaube, das alles wird auch weiter existieren, ueberall auf der Welt, ob nun in Amerika oder Deutschland, bis der letzte den Loeffel abgibt, der von sich behaupten kann: Born in der U.S.S.R.!

Seit dreizehn Jahren lebe ich in Berlin und ich muss sagen, die Mentalitaet hier, wenn man von einer allgemeinen Mentalitaet sprechen kann, gefaellt mir ganz gut. Das ist zunaechst einmal die einzige richtige Grossstadt in Deutschland, wo jeder untertauchen kann und so leben kann, wie er das will. Er muss sich nicht verstecken, egal welche Macken und Pannen er hat. Deswegen ziehen auch alle Knaller nach Berlin, aus ganz Deutschland. Nach der Russendisko im Kaffe Burger finden wir immer viele Ausweise von Leuten, weil sie zuviel getrunken haben oder sonst was. Du findest keinen einzigen Ausweis, wo dann als Geburtsort Berlin steht. Das sind alles Zugezogene, aus allen moeglichen Ecken.

Wie ich auf die Idee kam, die Russendisko zu machen? Ich bin Musikfan, schon immer gewesen. Aber ich wollte die Russische Musik niemandem aufdraengen. Georg Pappenfuss, der Kneipen in Kulturobjekte verwandelte, kannte ich vom Siemik in der Riekestrasse, wo ich ein paar Mal Geschichten vorlas. Vor drei Jahren hat er mich gefragt, ob ich nicht in seinem neuen Kaffe Burger auflegen moechte, das habe ich dann auch mit meinem Freund
Juri Gurche, der auch Musikfan und Sammler ist, getan. Inzwischen sind wir sehr erfolgreich, wir bekommen die neuesten Songs von richtig guten Bands, bevor sie ueberhaupt in Russland erscheinen.

Die Partys werden immer rauschender. Manche sehen die Massen vor der Tuer und drehen gleich ab, aber dieser enge Koerperkontakt von den paar hundert Leuten, die da reinpassen, ist das, was wir wollen. Wir werden staendig gefragt, >warum sucht ihr nicht einen groesseren Raum?

Ich gehe auch in meiner Freizeit, von der ich gar nicht so viel habe, auch oefters mal ins Kaffe Burger, obwohl der Laden natuerlich scheusslich ist. Ich weiss nicht… aber ich kenne dort alle, es ist zu einem Stueck unseres Lebens geworden. Allerdings moechte ich diesen Laden ueberhaupt nicht weiterempfehlen. Da gibt es nichts zum Essen, die Getraenke sind… das sind die scheusslichsten Weine, die es ueberhaupt nur gibt in Berlin, schlechte Luft… aber die Atmosphaere finde ich gut! Das ist natuerlich nicht jedermanns Sache. Seit drei Jahren wollen wir jedes Mal mindestens zehn Leute bei der Russendisko ihre 5 EUR zurueck haben und sagen zu uns: >Wie koennt Ihr nur so eine Scheisse veranstalten, hier kann man ueberhaupt nicht atmen?!

Anm.d.Red.: Das Foto oben stammt von Heinrich Klaffs und steht unter einer Creative Commons-Lizenz.

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