Boredoms: Ruf der Wildnis

Nach dem gestrigen Konzert der Boredoms konnte man sich nicht so schnell einig werden: “Das ist Musik, die in den Kopf geht. Man koennte sich anschnallen und die Rakete vor seinem geistigen Auge einfach durchstarten lassen.” Mal wieder waren alle Besucher der Volksbuehne sitzen geblieben als die Kultband aus Japan mit der Teufelsaustreibung begann.

Oder war es die Beschwoerung Satans? Doch so sehr das Ganze als abstrakte Hirntapete funktioniert, die sich aus vollstaendig transformierten Elementen bekannter Musikstile zusammensetzt: >Das ist gleichzeitig Musik, die durch den Koerper geht und koerperlich ist insofern, als dass man von ihr wie von Elektroschocks zur Bewegung animiert wird.< Sie waren mit einem fetzigen Poster angekuendigt worden: Das Fotonegativ einer startenden Rakete in grelles Gruen getaucht und darauf in grossen orangefarbenen Lettern der Bandname: The Boredoms. Damit hatten wir den ganz grossen Wahnsinn in Aussicht gestellt bekommen. Die Band, die in den 1980er Jahren >Noise< quasi erfunden hatte und seitdem zu einer der kreativsten und konsequentesten Konzept-Kombos des Planeten aufgestiegen ist, wuerde bei ihrem Plan >alle musikalischen Barrieren samt der mit ihnen einhergehenden kulturellen und sozialen Konditionierungen niederzureissen< neuerdings auch keinem Halt vor Weltmusik machen. Sicherlich duerften Yamatsuke Eye, Yoshimi und Otomo Yoshihide, der am gestrigen Abend leider fehlte, in letzter Zeit viel Weltmusik gehoert haben, vor allem percussionbetontes Zeugs aus Afrika und Indien. Aber sie werden vermutlich genauso viel auf den Goa-Raves der Welt abgehangen haben, die seit geraumer Zeit natuerlich auch in Japan stattfinden und auch dort die Trommler im oeffentlichen Park hervorgebracht haben. Jene Freaks, die, in Batikklamotten getaucht und mit Rastafarizoepfen behaengt, in mehrkoepfigen Konstellationen einfach mal drauf los improvisieren: repetitiv, rauschhaft. Durchaus vorstellbar, dass Yamatsuke Eye und seine Freunde da ab und an mitmischen. Was >The Boredoms< aber daraus gemacht haben? Drei Schlagzeugsets in einem Kreis aufgebaut [konzentriertes Powerplay], Synthesizer [meist abstrakt-psychedelisch, aber auch folklorisch konturiert], ein selbstgebasteltes XXL-Xylophon [Breitleinwand-Gitarrensounds] und Mikrofone [ekstatisch- konzentrierte Schreie]. Seine besten Momente hatte das Konzert vermutlich dann, als sich die Schlagzeuger in ihren komplexen aber immer praezisen Rhytmusgebaeuden zu verlaufen schienen und damit den Labyrinth-Charakter ihres Spiels erst zum Vorschein treten liessen, der Synthesizer derweil in betoerenden Loops scheinbar vertraute Klaenge in die kuehlen Weiten der Echokammer entliess und Yamatsuke Eye auf diesem alles zersetzenden >Teppich< anfing, seine fragmentarisch-fetzenhafte Gesangsstimme zu intonieren - eine in dieser Form selten erlebte Wildheit, die den Rahmen der Volksbuehne irgendwie sprengte.

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