Reisen mit Zombies

Vor Wochen zitierte mich ein Kollege noch Montagsabends um 23.30 Uhr zu einem serioes gemeinten Termin in eine Berliner Bar, um ihm ueber eine gemeinsame Produktion Bericht zu erstatten. Dabei mussten natuerlich diverse Biere beruecksichtigt werden, die mich, gegen 3.30 Uhr in einer ungewohnten Montagnacht, an die Haltestelle eines der legendaeren Berliner Nachtbusse spuelten. In solch fortgeschrittenem Zustand ziehe ich, bei geeigneter Witterung, stets die aeusserst oeffentlichen Verkehrsmittel vor.

Allein um in den zweifelhaften Genuss noch zerruetteter Existenzen als der meinigen zu kommen. Nun stand ich dort, bei lauer Luft, in froher Erwartung der Nachtlinie, die mich vom neuen Osten in den alten Westen der Stadt bringen sollte. Mein vom bayrischen Hopfen http://de.wikipedia.org/wiki/Hallertau geschwaengerter Atem, wuerde sich beim Oeffnen der Bustuere mit den ausgesprochen ungestuemen Basargeruechen Berliner Naechte mischen. Doener Kebab, das Glutamat befeuerte Aroma diverser Asiapfannen, Saazer Hopfen oestlicher Biere und eine Kopfnote billigen Wodkas, abgerundet mit Schweiss unterschiedlicher Qualitaet.

Diese Mischung koennte mich wie ueblich warm umschliessen und sanft auf einen der wenigen freien Sitze betten. Die letzten Fahrten auf dieser Linie waren von angewiderten Blicken untoter Berliner Busfahrer begleitet, die vom Dauergesang spanischer Easyjet Raver http://de-bug.de/mag/5098.html und Resten anglo-amerikanischer Pubcrawler total enerviert waren.

Ich wuerde mich wie immer durch den langen Gelenkbus kaempfen und ab dessen Mitte den Spott tuerkischer Jungs mit zu grossen, schief sitzenden Kappen auf Stecknadelkoepfen vernehmen koennen, die unter Auslassung aller gaengigen Casi und Artikel, die meist breiten Hueften der Spanierinnen kommentieren. Dann an einem etwas zu elegant gekleideten Kubaner vorbei draengen, der seiner schon in die Jahre gekommenen, blond-anorektischen deutschen Salsa-Tanzpartnerin, in viel zu blumigen Worthuelsen die Ueberlegenheit seiner DNA sehr nahe zu bringen versucht. Ich wuerde sogar die asiatische Designstudentin ungestoert mit ihrer ungewoehnlich gepiercten Freundin Zungenkuessen lassen. Mein Platz waere, wie so haeufig, recht weit hinten im schaukelnden Gefaehrt. Bei dem farblos-knittrigen, 45 Jahre alten ewigen Jungen, der in einem verwaschenen Neubauten T-Shirt, immer noch der Tatsache nachtrauert, vielleicht seinerzeit in Dessau das erste Punk- und Wavefestival der DDR organisiert zu haben, aber daraus kein nachhaltigen Vorteil gezogen zu haben.

Er wuerde mir und jedem im Bus irgendwann sehr laut erklaeren, das Ernst Thaelmann ein verkanntes Genie seiner Klasse gewesen sei und man dessen Schicksal bis heute nicht ausreichend Genuege getan habe. Dabei wuerde er recht oft die Faust hoch recken.

Doch heute stimmt etwas nicht! Der Bus rollt langsam heran, die Tuere springt auf und ein seltsam laechelnder Busfahrer heisst mich freundlich willkommen! Keine Fastfoodgestank, kein Laerm, keine Menschenseele! Der Bus ist vollkommen leer! Erschrocken suche ich vorsichtig tastend einen Platz. Was war geschehen in Berlin? Hatte von mir unbemerkt eine schreckliche Epidemie die Stadt entvoelkert oder zombiefiziert? Einsam rollt der Bus mit mir als einzigem Gespenst an Bord durch Berlin. Niemand steigt zu. Schrecklich. Erst am Hackeschen Markt legt mein fliegender Hollaender gegen 3.45 Uhr an und oeffnet seine Luken, um endlich menschliche Ladung an Bord zu nehmen. Unwirklich nuechterne, kerzengerade Gestalten vielgestaltiger ethnischer Herkunft betreten das Gefaehrt. Sehr leise und vor allem geruchlos verteilen sie sich gleichmaessig auf ihre Sitzplaetze. Gut zwei Dutzend dieser Ausserirdischen Lebewesen umgeben mich nun. Maenner, Frauen, Maedchen, alle sauber, ungewoehnlich wach, versehen mit freundlich-waechsernen Gesichtern.

Der Bus setzt seine Reise durch die historische Mitte Berlins fort, einige dieser speziellen Hominiden steigen noch hinzu, doch die ersten verlassen uns alsbald sehr geschaeftigen Schrittes. Man nickt sich allenfalls stumm zu, ansonsten unterbleibt jegliche Konversation. Der Dom huscht an uns vorbei und nun nehme ich doch erste olfaktorische Eindruecke wahr. Sie sind eher klinischer Natur. Von vorne draengt die scharfe Note einer Fluoridzahnpasta, von hinten schleicht langsam billiges Rasierwasser an mich heran.

Diese Menschen sind nuechtern, ausgeschlafen, frisch gereinigt und moenchischen Mutes. Kein Gaehnen, keine Verbissenheit, kein Hass im Gesicht. Gleichmut und Genuegsamkeit allenthalben. Nicht zu vergleichen mit den frustrierten Gesichtern von noch Rest-alkoholisierten Schichtarbeiter, die sonst gegen kurz vor Sechs morgens, mit faltig-zornigem Verliererblick die Tram bevoelkern.

Eine bislang unentdeckte Spezies, in dessen Mitte ich mich durch puren Zufall geschmuggelt habe. Menschen die gegen drei Uhr nachts aufstehen, um ihren Arbeitstag zu beginnen, der sie ab vier Uhr morgens in die Flure, Kuechen und Saele grosser Hotels, Botschaften und Regierungsgebaeude fuehrt. Merkwuerdig zufriedene Existenzen, die sicher jeden Abend Punkt 20.30 Uhr zu Bett gehen. Ich komme mir sehr fremd vor. Mich ueberfaellt etwas Demut und Scham. Ich versuche meinen Bieratem, den trueben Blick und die muede Haltung zu ueberspielen, um nicht aufzufallen und entdeckt zu werden.

Zoegernd und beinahe aengstlich schaue ich aus einem Fenster des Busses. Im dunklen Hintergrund das Hotel Adlon, im matt-hellen Vordergrund: Ich! Da war es wieder, dieses Professor Ambrosius Gefuehl in >Tanz der Vampire<: Ich bin der einzige Sterbliche im Ballsaal, der ein Spiegelbild besitzt! Oh Schreck! Noch bevor mich diese Untoten erwischen koennen, springe ich bei der naechsten Haltestelle aus dem Bus und laufe den Rest des Weges zu Fuss nach Hause. Welch seltsame Geheimnisse Berliner Naechte doch in sich bergen koennen, wenn man sich zur falschen Zeit am falschen Ort aufhaelt! Carpe noctem!

2 Kommentare zu “Reisen mit Zombies

  1. Nutze die Nacht! Das sag ich mir auch imma und dann schlaf ich schon um 12 Uhr ein. Manchmal weiß ich nicht: ist es gerade Tag oder nacht. Dann hör ich daß der Spaz zwitschert und weiß es dann. Heute wird ein heißer Tag!

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