Pseudomaenner und Superfrauen

Ich plane immer alles im Voraus wenn ich in meine Heimatstadt Warschau fahre. Ich mache einen Termin beim Frisoer, bestelle Theater- und Konzertkarten; ich weiss immer ganz genau, welche Filme ich sehen will, welche Ausstellungen es gerade gibt, welche Buecher und CDs ich mir besorgen sollte. Dann fahre ich mit einem kleinen gruenen Renault durch die Stadt, die ich mal gut kannte. Ich fuehre bei meinen Kurztrips nach Warschau mein ganz privates >Luxusleben<. Freunde organisieren Partys, weil ich gerade in der Stadt bin. Toll. Doch nun, seit ein paar Jahren schon, ist alles ganz anders: Ich bin fremd in der Stadt, in der ich gross geworden bin. Als ich das letzte Mal da war, habe ich >Shirley Valentine< im Theater Polonia gesehen. Es ist das erste private Theater in Polen, gegruendet von Krystyna Janda, ohne Zweifel eine Superfrau. Eigentlich ist sie Schauspielerin, durch Filme von Wajda beruehmt geworden. Sie spielt Shirley, eine frustrierte, nicht gerade junge Frau, die sich einsam fuehlt und deswegen mit der Wand in ihrer Kueche redet. Sie schafft es letzten Endes und fliegt nach Griechenland, ganz alleine, ohne ihrem Mann Bescheid zu sagen. Erst dort faengt sie wirklich an zu leben. Das Theater ist voll, das Volk lacht und weint. Eine One-Man-Show, oder besser gesagt: One-Superwoman-Show. Ein paar Tage spaeter bin ich zu einem Konzert von Marysia Peszek gegangen. Ich musste nach Praga, einen Stadtteil, den ich nicht so gut kenne, auf der anderen Seite des Flusses. Marysia trat in einer ehemaligen Fabrik auf; sie spielte mit Wasser und Licht auf der Buehne.

Sie sang ueber Warschau, wo auch sie gross geworden ist. Eine Stadt, die aus Licht entstanden ist; eine Stadt mit vielen Gesichtern. Sie ist voll von Pennern, Prostituierten, teuren Autos und grossen Kirchen. Eine Stadt voll von Superfrauen und Pseudomaennern; eine laute Stadt, die nicht atmet und nie einschlaeft. Marysia hat keine Zeit fuer Sex, obwohl sie die gerne finden wuerde. Marysia hat auch keine Zeit fuer Liebe. Jede Nacht spaziert sie mit ihrer Katze durch den Himmel und sammelt Sterne. Sie wuerde gern weg, aber sie kann es nicht; sie liebt Warszawa und fuehlt sich fuer sie verantwortlich. Manchmal fuehlt sie sich hier auch fremd, manchmal hasst sie die Stadt in der Pseudomaenner entscheiden, ob Superfrauen abtreiben duerfen. >Ich hasse dich, meine Stadt<, singt sie dann, >verpiss dich!<

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