Programmieren aus Leidenschaft

Medien gab’s damals genug in den Sechziger Jahren. Ich bin 1959 geboren worden und erinnere mich, dass wir schon in der Grundschule um 1970 mit einem Sony Portapack Videogeraet spielen durften. Es gab auch Kopierer und andere Druckverfahren fuer Schuelerzeitungen.

Entscheidend war da aber nicht den Zugang und die Technik, sondern das Recht, als Kind mit den Geraeten alleine gelassen zu werden, ohne Aufsicht. Es ist eben nicht interessant die Kameratechnik zu beherrschen, auf einer Schreibmaschine zu tippen oder Fotos zu knipsen, wenn der Inhalt staendig kontrolliert wird. Medienfreiheit faengt da an, wo die Kontrollinstanzen [Eltern, Schule] keinen Einblick mehr haben, in das, was an Texten und Bildern hergestellt wird.

Damals wie heute wird >Medienkompetenz< hauptsaechlich ueber den Medienkonsum definiert. Schaut der Kleine nicht zuviel Fernsehn und welche Programme? Wie viele Stunden am Tag darfst du hinter den Komputer hocken? Keine Gewalt und Pornos bitte. Mit wem textest du den ganzen Tag? Das alles nervt und besetzt die Medien negativ. Worum es meiner Meinung nach geht, ist die Freiheit fuer sich zu sein, mit den Medien zu spielen und die Kanaele souveraen fuer sich in Anspruch zu nehmen. Fuer mich fing Medienfreiheit mit 16-17 an, als ich selbstgemachte Fotos in der Dunkelkammer der Schule entwickelte. Ueber Komputer habe ich damals nur in Buechern und Zeitschriften gelesen. Wir sahen sie im Fernsehen als futuristische Grossrechner in Serien wie >Thunderbirds<. Bei meinem Abi im Jahre 1977 waren die Taschenrechner schon einigermassen eingebuergert. Realen Komputerterminals begegnete ich circa 1978 an der Universitaet Amsterdam, wo ich Politikwissenschaften studierte und fuer das Fach Forschungsmethoden und Stastistik mit dem SPSS Programm einfache Berechnungen machen musste. Einen eingenen PC gab's erst 1987, finanziert von meinem Vater. Von IBM-PCs erfuhr ich circa 1983/84; Freunde in der Hausbesetzerbewegung besassen solche Rechner in dieser Zeit und fingen an [in dBaseIV], Datenbanken mit Polizeispitzlern anzufertigen. Damals war schon klar, das Komputer sich vernetzen wuerden, aber dem Internet selbst begegnete ich erst im August 1989, auf den internationalen Festival >Hacking at the End of the Universe< im Amsterdammer Paradiso. Der Rest (hacktic, xs4all, Digitale Stadt) ist Geschichte und die habe ich anderswo schon beschrieben. Ob ich in meiner Jugend Internet vermisst habe? Nein. Es war schon spannend genug Ende der sechziger Jahre in Amsterdam, der Drehscheibe der Hippiekultur, aufzuwachsen. Da wir in so einem Zentrum der Welt aufwuchsen, brauchten wir nicht mal die Medien, weil die historischen Ereignisse bei uns um die Ecke stattfanden. Ich rede ungerne ueber Jugend. Ich fand die Bezeichnung damals bloed - und das ist so geblieben. Internet braucht mehr Jugendfreiheit und weniger Jugendschutz. Vor allem im Bereich Informatik, Komputerspiele und neue Medien haben die sogennanten Jugendlichen einen enormen Vorsprung, da sie unproblematisch mit grafischen Oberflaechen und Betriebssystemen umgehen. Sollten wir das ausnutzen? Der Marketingsbegriff >Zielgruppe Jugend< trifft einfach nicht zu. Medien werden derzeit >produziert<, nicht einfach konsumiert. Die Navigationsfaehigkeit von >Jugendllichen< ist viel schneller. Sie wissen vielleicht weniger von Medientheorie, Komputergeschichte und Geisteswissenschaften, das mag sein, und da sehe ich meine Rolle. Meist bin ich umgeben von jungen Leuten und habe mit den Generationen ueber mir kaum etwas zu tun. Der Dialog existiert einfach nicht, und das verstehe ich auch, weil die neuen Medien eine direkte Bedrohung fuer diese Leute verkoerpern. Ich habe in meinem Leben nie nach oben geschaut. Da war die 68er Generation und von denen hatten wir nichts zu erwarten was intellektuelen Austausch, Zusammenarbeit, geschweige Jobs anging. In den 80er Jahren habe ich richtig an meine Generation geglaubt. Wir hatten >no future<, und das hat sich auch bewahrheitet [aktuelles Beispiel: wenn wir in Rente gehen, sind die Alterskassen buchstaeblich leer]. Alle, die nach uns kommen, haben es in einem gewissen Sinne einfacher, weil sie ueberhaupt nichts mehr erwarten und auch nicht im Schatten von 1968 aufgewachsen sind. Gluecklich sind die Ahnungslosen, denke ich da immer. Dafuer haben diejenigen, die nach mir aufwuchsen, sich noch weit mehr als wir, den neo-liberalen Marktprinzipien anpassen muessen. Manche haben davon profitiert - und viele natuerlich nicht. Trotzdem hat die Jugend diese eine Sicherheit: Sie wachsen im Kapitalismus auf, soviel ist klar. Die Idee, wir wuerden im Internet irgendetwas vorfinden, lehne ich ab. Es gibt nicht so etwas wie jugendgerechte Formate, sondern nur die Moeglichkeit eigene Kommunikationsraueme selbst so zu gestalten wie wir sie haben moechten. Diejenigen die nur MSN, StudiVZ oder Facebook benutzen, kennen nur ein Bruchteil vom Internet und verpassen viel. Sogar Komputerspiele koennen wir aendern. Das Medium ist nach wie vor programmierbar, wenigstens wenn wir uns ein wenig muehe machen und dafuer kaempfen, dass die Protokolle und Standards offen bleiben. Es liegt im Interesse vieler Firmen fertige Onlinedienstleistungen anzubieten, aber wir Benutzer duerfen uns davon nicht beeindrucken lassen. Tauschnetze [peer to peer, P2P] sind da viel interessanter. Gehen wir also nachwievor davon aus, dass dieses Medium, ganz anders als Fernsehen, Zeitschriften oder die Tagespresse, veraenderbar ist. Wenn wir jung sind, koennen wir das Programmieren noch einfach lernen und wie wir alle wissen haben Open Source und freie Software eine grosse Zukunft. Spaeter im Leben faellt einem das Code schreiben schwerer. Mein Aufruf waere, mit dem Programmieren schon in der Grundschule anzufangen, fuer alle, also auch Maedchen. Wichtig ist dabei das ganze als Passion und Spiel zu betrachten, und nicht als Fach, sonst wir es langweilig. [Die Redaktion der Berliner Gazette fuehrt im Rahmen des Crashkurses Online-Medien eine Umfrage unter Online-Experten durch und laesst diese ueber ihre persoenlichen Erfahrungen mit Medien sprechen.]

[Anm. d. Red. Der Verfasser des Textes ist Gruendungsdirektor des Institute of Network Cultures in Amsterdam.]

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