Porno sucht Sehnsucht: Welche Folgen haben Ausflüge in die Parallelwelt der ständigen Erregung?

Das Genre des Pornos hat sich heute stark ausdifferenziert. Für jede Neigung gibt es die passende Befriedigung online oder auf DVD. Doch wer nutzt diese speziellen Angebote und welche Folgen haben die Ausflüge in die Parallelwelt der ständigen Erregung? Was wir sehen, ist die schiere Masse an Angeboten, aber nicht, wer sie eigentlich nutzt. Berliner Gazette-Autorin Nancy Chapple hat darum ein “Porno-Scanning” unternommen und drei Konsumenten befragt.

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Der ursprüngliche Plan war, zwei Männer mit unterschiedlichen Geschichten zu interviewen. Andy und Hannes sind sich auf bestimmte Weise ähnlich: Klein gebaut und vom Typ her eher Kategorie „Frauenversteher“. Es fällt einem leicht, mit ihnen über Persönliches zu reden – beide sind Akademiker in fester Anstellung, gesellschaftlich integriert, um die 60 Jahre alt.

Doch in einem Punkt unterscheiden sich die beiden: Andy ist US-Amerikaner und betrachtet sich als ganz normaler Porno-Konsument, während Hannes, der Deutsche, damit zu kämpfen hat, dass sich seine Frau gerade von ihm wegen seiner Internet-Pornosucht scheiden lässt.

Zwei Frauenversteher und eine Frau erzählen Intimstes

Doch dann wurde klar, dass auch die weibliche Seite nicht ungefragt bleiben sollte. Darum sprach ich mit einer lesbischen Freundin (wir nennen sie Justine).

Justine drückte es dann so aus: „Wenn von Pornografie die Rede ist, bleibt es oft bei Assoziation ‚Männer-geilen-sich-an-anonymen-Frauen-auf’. Das nervt mich. Männer schauen sich Männer an. Frauen schauen sich Männer an. Männer schauen sich Frauen an. Frauen schauen sich Frauen an. Paare schauen sich andere Paare an.“

Das Tier im Käfig

Ich wollte nun noch genauer wissen, was Andy, Hannes und Justine bevorzugen:

Andy:
„Es liegt in der Logik unserer Evolution, dass man Randgebiete absucht. So wie ein eingesperrtes Tier nicht in der Käfigmitte verharrt, es wird immer am Rand sein: Es guckt, wo es rauskommen, flüchten kann. Du lernst dich nochmal kennen in diesem Moment, fragst dich: Wie hoch kann ich springen, wie komme ich da rüber?“

„Du suchst auch nach jungen Frauen, sie werden dann 18, 17, 16. Rein biologisch gesprochen das ideale Alter, um ein Kind zu zeugen. Ich schätze, dass wir so strukturiert sind. Das sieht man an natürlichen, einfachen Kulturen.“

Justine:
„Ich genieße Pornografie verschiedenster sexueller Vorlieben. Interessanterweise bin ich in meinem echten Leben offen gegenüber Sado-Maso, aber es nervt mich meistens, wenn ich es in Filmen und auf Fotografien sehe.“

Hannes:
„Ich guckte mir Oral- und Analverkehr an. Immer mehr. Je expliziter, desto besser – wie jede Form von Sucht. Normaler Sex in Onlinevideos funktioniert nicht mehr, also muss man etwas anderes finden.“

Dabei selbst Hand anlegen

Ich stellte mir dann die Frage, ob sich jeder, der Pornos anschaut, dabei auch immer masturbiert.

Hannes:
Für Hannes, den Süchtigen in Behandlung, kann dies bejaht werden, da er sich zu 80 bis 90 Prozent der Zeit, während der Porno läuft, selbst befriedigt. Derzeit ist er aber durch seine Behandlung bei einem Sex-Therapeuten und seinen wöchentlichen Diskussionssitzungen bei Sexaholics Anonymous abstinent. Er sagt selbst: „Das wird nicht für immer halten, aber im Augenblick muss es sein….“

Bei Hannes ist der Grund für seine intensive Sucht nach Internet-Pornos in der Entfremdung zwischen ihm und seiner Frau zu suchen. Hannes sagt: „Vereinfacht gesagt wurde der Online-Porno eine Art Selbstmedikation, wie jede Droge oder wie Alkohol – die Dinge laufen nicht gut, ich will mich besser fühlen, mich einloggen und masturbieren. Das fühlt sich besser an. Bei meinem ersten Sexaholics Anonymous-Treffen sagte ich mir: Ich habe wohl ein Problem, aber diese Leute sind echt krank! Manche Leute können sagen: Ich interessiere mich zwar für dieses Zeugs, aber ich kann es weglegen und mit meinem Tag weitermachen. Sucht heißt, ‚ich kann es nicht weglegen’. Die Zwanghaftigkeit, die Muster, anhand derer du überhaupt über Sex denkst.”

Justine:
„Zum Masturbieren brauche ich keine Pornografie – meistens nicht mal in meinem Kopf. Ich schaue mir pornografische Filme und Fotografie an, weil es eine Augenweide ist und mir gut tut. Manchmal entsteht daraus Sex, aber es ist auch sehr aufregend, dem Kribbeln mal nicht körperlich nachzugehen – sondern einfach mal nur zu spüren, ohne sich zu berühren oder berühren zu lassen und die Energie in etwas anderes umzuwandeln, zum Beispiel in eine Geschichte oder Szene.“

Andy:
„Du lernst diese Bilder zu sehen und einen Geschmack zu entwickeln, wie beim Essen. Nach einer gewissen Zeit ist es natürlich nicht nur Masturbieren. Obwohl das auch vorkommen kann. Du schulst deine Wahrnehmung. Ein Bild ist gut, wenn es dir ein gutes Gefühl gibt. Und dann überlegst du dir vielleicht, warum du ein gutes Gefühl hast. Was ist das Besondere, könnte ich das auch, kann ich davon auch lernen? Es kann auch etwas Abstoßendes sein, vielleicht ein Schock. Das lernt man dann zu sehen. Es geht immer weiter. Und weil sich Erlebniswelten auftun, nur vom Sehen her, ist das Masturbieren (von meinem Alter abgesehen!) nicht mehr der Lebensmittelpunkt. Es ist einfach ein Mittel, um den Rausch anzustoßen.“

Andy erzählt, dass er vor den Möglichkeiten des Internets oft Schmuddelkinos und Peep-Shows aufsuchte, dass er danach viele Videos gesammelt und zu Hause geguckt hat. Er war lange verheiratet, bis seine Frau plötzlich und sehr früh verstarb. Er glaubt nicht, dass sein „schmutziges Hobby“ für sie problematisch gewesen wäre, aber dass er viel um die Häuser gezogen ist, sich öfters mal verliebte – „das wäre nicht immer leicht für sie gewesen“.

„Nur mehr davon“ – Porno-Hamsterkäufe

Zum Schluss stellte sich noch die Frage, ob sie sich auch Porno-Sammlungen angelegt haben.

Hannes:
„Ich habe damals zehn verschiedene Videos heruntergeladen – ganz schnell, so dass ich nicht dabei ertappt wurde. Schnell speichern. Aber wenn sie mich langweilten, habe ich sie gelöscht.”

Andy:
„Ich sammle nicht mehr als andere. Das Sammeln an sich gibt einem das Gefühl, dass man was Nützliches getan hat. Man hat nicht immer die Zeit, das auch zu schauen. Man sammelt auch immer mehr Pilze, als man essen kann. Man trocknet welche – aber diese getrockneten Pilze isst man nicht mehr – es ist zu viel.“

„Die Sammlung ist in uns, es ist ein Wiedererkennen der Dinge. Aber es ist nicht das, was man sich aneignet. Es belebt das Sehen wieder. Man spürt sich dadurch selbst. Man verlässt Begrenzungen, die man hat – nicht nur räumlicher Natur, sondern körperlicher, vom Alter her, alles mögliche. Und das ist etwas Schönes, weil diese Einschränkung wirklich nicht sein muss.“

Und die positivsten Worte kamen wohl von Justine: „Pornographie entspannt, inspiriert, bereichert, erregt und befriedigt.

21 Kommentare zu “Porno sucht Sehnsucht: Welche Folgen haben Ausflüge in die Parallelwelt der ständigen Erregung?

  1. Aber bei rum kommt wenig. Was sind denn nun die Folgen dieser Ausflüge? Bisschen mehr als Zitatesammlung müsste da schon drin sein, oder?

  2. danke für den interessanten artikel. muss mich “2.” etwas anschließen. wär schön gewesen noch ein bisschen mehr zum thema “folgen” präsentiert zu bekommen.

  3. schon interessant, dass hier von Schönheit der Bilder gesprochen wird und schade, dass das nicht mehr vertieft wird, denn ich wüsste sehr gerne, was damit gemeint ist. Welche Bilder in Pornos sind SCHÖN?

  4. @2+3: na ja, die Folgen kann man auch selbst ablesen: Erweiterung des Schönheits-Sinns, wenn man das positiv fassen will; Scheidungen, bzw. neue Beziehungsmuster entstehen, wenn man das positiv fassen will; und einiges mehr, was im psychologischen Bereich liegt und an Original-Aussagen besser ablesbar ist als an bereits vorgefassten Interpretationen!

  5. Ich finde einen nüchternen, fast empirischen Blick auf das Thema Pornografie sehr gut. Jeder kann sich selbst weiterführende Gedanken machen bei dieser offenen Form. Mich überzeugt der Artikel vor allem durch den Protokoll-Stil.

  6. “Das Sammeln an sich gibt einem das Gefühl, dass man was Nützliches getan hat.”

    Das ist ein ironischer, fast schon bissiger Hint auf das schlechte Gewissen (einer der Folgen????) beim Ausflug in Porno-Country…

    Haha

    Hoffentlich sammeln sie mit System.

  7. Ich finde folgenden Satz kritikwürdig: “Du suchst auch nach jungen Frauen, sie werden dann 18, 17, 16”, das sagt Andy gleich am Anfang – offen über Pornos und Pornokonsum reden, finde ich gut, aber wo liegen die Grenzen? Wie jung sollen die Frauen sein und was ist mit den Rechten der Dargestellten, die vielleicht noch kein Bewusstsein für ihr Handeln haben?

  8. Vielen Dank für die bisherigen Kommmentare. Ja, es ist “nur” eine Zitatensammlung. Aber z.B. Iq (@5) hat die Schlüsse gezogen, die ich andeuten wollte.
    @Magdalena: In der Tat hat mich dieser Satz beunruhigt. Es war das erste Mal, dass ich jemanden das in dieser Form zugeben hörte (und sein Verhalten dann auch noch sozusagen zivilisationsgeschichtlich zu begründen!). Für mich war Schritt 1, diese Aussage klingen zu lassen, Schritt 2 wäre dann die wohl berechtigte Kritik dazu.

  9. Scheint mir doch ziemlich süchtig machend und verrohend, diese schöne neue Porno Freiheit. Passt zum suchtfördernden Kapitalismus. Fleischbeschau gaaanz nah, jede Arschlochfalte ein Kunstwerk ……. Na wat is dat wieder schön, morgens, mittags, abends! Ein pornosüchtiger Mann hat mir die Faszination von Pornos mal erklärt: “Beim Porno-Schauen fühle ich mich mächtig”- und oft genug ist die Frau das willfährige, gefickte Objekt, oder sie vermännlicht, indem sie so gefühllos “wie ein Mann” ficken gelernt hat wie die Karrierefrauen in dem Film “Shame”. Als Frau finde ich Pornos gerade mal einige Minuten antörnend- dann nur noch stupide und stumpf. Die haben wenig mit meinem Gefühl für Ästhetik zu tun, geschweige denn mit meiner Lust. Männer, die das permanent brauchen, sollten sich in Therapie begeben, genau wie bei anderen Süchten auch!

  10. Ja, interessant aufgeschlüsselt. Aber welche Bilder in Pornos sind denn nun schön oder sollen schön sein???

  11. das mit der Schönheit, das interessiert mich auch maximal. Ich kann mir selbst schon was vorstellen unter schönen Bildern im Porno, aber ich kann mir nicht denken, was die Personen, die hier interviewt worden sind, sich darunter denken.

    Weiß die Autorin darauf eine Antwort? Hallo Nancy?

  12. Justine spricht von einer “Augenweide” – möglicherweise sind die Bilder und Videos, die sie bei ihren Interessen guckt, tatsächlich anders als das Gros der Bilder. Und Andy davon, “Ein Bild ist gut, wenn …” Aber die Worte “schön” und “Schönheit” kamen erst in den Kommentaren hinterher auf.

  13. — natürliche, einfach Kulturen??
    — normaler Sex??

    Ich finde, man sollte über die ein bisschen grenzüberschreitenden, ein bisschen exotisierenden Blicke auf diese anonymen Prono-Gucker nicht das kritische Hinterfragen vergessen.

    Wenn man sich mit einem hoch inszenierten medialen Sektor beschäftigt, dann muss doch bei so einem hobby-ethnologischen Vergleich zu jung gebährenden Frauen in welchen Kulturen auch immer nachgehakt werden!

    Gerade wenn es um Pornografie und Porno-Konsum geht und um das Ausloten der Grenze zu den sexuellen und geschlechtlichen Randbereichen, dann könnte es doch das Interview in eine spannende Richtung lenken, wenn Oral- und Analverkehr schon die Abweichung von der Norm sind…?!

    Drei Personen sind zwar eine sehr kleine Versuchsgruppe, aber mit den richtigen Fragen, hätte das ein spannender Versuch werden können.

    Britische ForscherInnen um Clarissa Smith haben übrigens grade eine der ersten großen Umfragen zum Pornokonsum unter Porno-Nutzern gemacht, mit über 5.000 Befragten: http://schönschrift.org/artikel/clarissa-smith-interview-pornresearch-org-porn-studies/

  14. Irgendwie setzt der Artikel an in ganz viele verschiedene Richtungen sehr spannend zu werden und sagt am Ende doch nichts wirklich aus. Man hätte weiter hin Richtung der Veränderlichkeit sexueller Vorlieben aufgrund von steigendem Konsum gehen können als Beispiel. Spannend ist, dass Pornografie kein Randthema mehr ist sondern immer häufiger auch offen diskutiert wird. Wichtig finde ich das persönlich aus dem Grund, dass die exessive Nutzung von Pornografischen Medien tatsächlich zu einer Sucht werden kann die Depressionen auslöst, zu Impotenz führt u.a. Mehr Infos dazu auf: http://harri-wettstein.de/pornosucht/

  15. Praxis für Internetsucht-Hilfe in Berlin

    Psychologische und Pädagogische Beratung und Hilfe bei Internetsucht (auch Pornosucht) in Berlin

  16. Im Internet zählen Pornos zu den Anwendungen, die ein besonders hohes Suchtpotenzial haben. Schon bevor das Internet erfunden wurde, wurden pornographische Erzeugnisse konsumiert, was auch zu suchtartigen Verhaltensmustern führte. Durch das Internet hat die Verbreitung und die Verfügbarkeit von Pornografie ganz erheblich zugenommen – und damit auch die problematischen Konsummuster. 12% aller Internetseiten haben pornografische Inhalte und auf diese wird monatlich milliardenfach zugegriffen. Das suchtartige Verhalten wird dadurch unterstützt, dass die durch das Internet angebotenen pornographischen Inhalte ständig verfügbar sind. Schamschwellen, die beim Besuchen von Sex-Shops oder Videotheken überwunden werden müssen, gibt es im Internet nicht mehr. Zu jeder Zeit kann anonym jeder beliebige pornografische Inhalt von zuhause aus abgerufen werden – oft ohne weiteren finanziellen Aufwand. Der Benutzer kann auf diese Weise mit nur ein paar Mausklicks seine sexuellen Phantasien mit Bildern bedienen. Eine Verlockung, der auch Studierende oft nicht widerstehen können. Dieser Anwendungsbereich des Internet wird öffentlich eher tabuisiert. (Schumann, 2009, S. 4) Weitere Informationen zum Thema Internetsucht und dem Unterthema Pornosucht bzw. Onlinesexsucht gibt es auf http://www.internetsucht-hilfe-berlin.de/onlinesexsucht-und-pornosucht/

  17. „Schön” an Pornos ist, wenn zwei – in der Regel Normalsex treiben – sprich „Liebe machen” und zumindest simulieren, dass es ihnen Spass macht… je echter umso besser…
    natürlich wird dabei „masturbiert” – kommt das von Mastodon ??? – kommt mal von Eurem hohen Ross – natürlich fühlt mann sich dann mehr mit sich im Reinen – wie nach dem Glas Wein, mit Blick auf die leere Wand ;-)
    dumm wird´s, wenn ihm dann irgendwann auch mal wer „reell” begegnet – und sie dann mit dem sogenannten „dirty talking” anfängt, obwohl sie weiss, dass er schon gar keine mehr Erinnerung dran hat wie und wieso… makelovenotporn.com ist ein Tipp – auch für Frauen mit Listen…;-)
    Empathie, Achtsamkeit sind Neoblablas….. Porno ist ein gesellschaftliches Problem – vielleicht mal aus diesem Blickwinkel den erhöhten Konsum sehen: da fehlt wohl einigen was heutzutage…
    aber immerhin hilfreich, um sich was vormachen zu können: bei kaputter Ehe; bei totaler Einsamkeit; bei unserer auch sexuellen Leistungsgesellschaft, wo manche net mehr nachkommen (guckt Euch die Erwartungen von Frauen auf dating sites an – unglaublich…) usw usf…daraus einfach ne Sucht zu machen…vielleicht bei einigen Blendern, Frauenhelden …bei Otto Normal dagegen…hilft das wie das Glas Wein ;-)

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